Endlich! Endlich ist unter dem Eindruck der grassierenden Inflation der Ruf nach einer deutlichen Senkung oder gar Abschaffung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel laut geworden. Dass dieser Ruf nicht (nur) von liberaler Seite kommt, sondern nun von den Sozialverbänden und eher umverteilungsfreundlichen Ökonomen (nicht zuletzt des DIW) erschallt, ist erfreulich.
Der ursprüngliche Kern des Umverteilungsstaates bestand darin, Bürger, die ohne Umverteilung keine ausreichenden Mittel zur Eigenversorgung hatten, zu versorgen – mit Mitteln, die den Steuer- und Beitragszahlern zuvor abgenommen wurden. Man war also als Bürger des Umverteilungsstaates entweder Geber oder Empfänger.
Das hat sich im heutigen, maßlos expandierten Sozial- und Umverteilungsstaat verändert. Zu den Nur-Empfängern ist ein sehr großer Teil der Bürger hinzugekommen, die schon vor dem Abschied aus dem Erwerbsleben auf beiden Seiten an der staatlichen Umverteilung beteiligt sind. Sie sind Steuer-, Abgaben- und Beitragszahler, aber zugleich auch Empfänger von Kindergeld, Wohngeld und anderen „Leistungen“ des Sozialstaates. Ein beträchtlicher Teil des aus vermeintlich sozialen Gründen umverteilten Geldes wird also denselben Bürgern erst genommen, um es ihnen dann unter anderem Namen als vermeintlich soziale Wohltat wieder zu zahlen – nachdem der Staatsapparat selbst sich daran gütlich getan hat. Dieser hat daher ein immanentes Eigeninteresse daran, dass auch Geber zu Empfängern werden – dafür dann umso mehr geben müssen.
Ein effektiver umverteilender Sozialstaat ist immer einer, der möglichst wenig unnötig umverteilt, also vermeidet, dass Geld von Bürgern über die undichten Mühlen des Staates geleitet wird, bevor es – deutlich weniger geworden – dann wieder bei den zu Empfängern umdeklarierten Gebern selbst landet. Bei der – indirekten – Mehrwertsteuer ist das aber immer der Fall. Der Wohngeld-, Kindergeld- und auch der Arbeitslosengeldempfänger zahlt sie bei jedem Einkauf und schmiert damit die Umverteilungsbürokratie.
Staaten mit wenig ausgeprägten Umverteilungsapparaten, etwa die meisten englischsprachigen Länder, sind darum keineswegs per se unsozial. Das ist eine Legende der deutschen Sozialpolitiker. Länder wie beispielsweise Neuseeland verteilen zwar etwas weniger an die nicht Arbeitenden, besteuern aber auch längst nicht so sehr die wenig bis durchschnittlich verdienenden, arbeitenden Menschen – die Mittelschichtfamilien. Ein verwitweter oder geschiedener Lastwagenfahrer mit zwei kleinen Kindern kann in Neuseeland ein halbwegs bürgerliches Leben aus eigener Kraft führen. In Deutschland dagegen gehört er, weil ihm der Staat deutlich höhere Steuern und Sozialabgaben abknüpft, eher zum Prekariat.
Leider setzt sich diese Erkenntnis – Steuersenkung für Geringverdiener als effektivste Sozialpolitik – nun erst unter dem Druck einer extrem steigenden Inflation und entsprechender Unruhe in der Bevölkerung unter traditionell umverteilungsgierigen Sozialpolitikern durch. Offenbar übersteigt in der politischen Klasse allmählich die Furcht vor den gesellschaftlichen Auswirkungen der Inflation allmählich die Beharrungskräfte des umverteilungsstaatlichen Betriebes. Aber besser spät als nie.