In der FAZ wird die „russische Bevölkerung“ zum „Antimenschentum“ erklärt

Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch hält im FAZ-Feuilleton alle Russen kollektiv für "entmenschlicht". Da sind offenbar in der Redaktion alle Sicherungen durchgebrannt. Solche Entgleisungen tun der ukrainischen Sache keinen Gefallen – und schaden der russischen Opposition.

Wenn in irgendeinem Land der Welt etwas Aufmerksamkeit erregendes geschieht, halten es deutsche Feuilleton-Redakteure traditionell für ihre Pflicht, Schriftsteller aus jenen Ländern in ihrem Blatt zu Wort kommen zu lassen. Die daraus resultierenden Texte bieten meist wenig literarischen und noch weniger Erkenntniswert, sondern eher betuliche Auftragsprosa.

Ein aktueller Beitrag des ukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowytsch in der FAZ vom 8. April (S. 9) fällt nicht in diese Kategorie. Er ist nicht harmlos. Er enthält diese schauerlichen Sätze: 

„Wie würde ich mir wünschen, dass sie nur Marodeure wären. Das würde bedeuten, dass sie, trotz alledem, Menschen geblieben sind. Schlechte, böse Menschen, aber Menschen. Aber alles, was wir sehen, zeugt von Entmenschlichung. Russlands Bevölkerung hat sich erfolgreich selbst entmenschlicht. Das ist eine Antiwelt. Das ist ein Teil der Menschheit, der freiwillig zum Antimenschentum übergegangen ist.“

Dem Autor mag man diese Worte vielleicht verzeihen. Er ist Bürger eines überfallenen, kriegsversehrten Landes, in dem Tausende seiner Mitbürger von Soldaten des Agressorstaates Russland getötet werden. Verständlich auch, dass ukrainische Soldaten für ihre russischen Feinde den nicht sehr schmeichelhaften Kollektiv-Spitznamen „Orks“ geprägt haben. 

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Aber soll/darf man als redaktionell Verantwortlicher in der Frankfurter FAZ-Zentrale unverdeckten Hass, der sich explizit nicht gegen die konkreten Täter und auch nicht gegen Putins Regime (sein Name kommt im ganzen Text nicht vor!), sondern explizit gegen „Russlands Bevölkerung“ richtet, und alle Russen zu „Antimenschen“ erklärt und gleich noch die beiden berühmtesten Schriftsteller des Landes in moralische Mithaftung nimmt (er verballhornt Tolstoi und Dostojewski zu „Tolstojewski … dieses doppelköpfige Monster“), im einstmals angesehensten deutschsprachigen Feuilleton veröffentlichen? Ist nicht die sprachliche Ausgemeindung ganzer Menschengruppen, ja, eines ganzen Volkes, die wichtigste Grenze der publizistischen Moral? Ist das nicht Hatespeech, Hassrede, Aufwiegelung zum Völkerhass? Oder sind alle Russen nun vom FAZ-Feuilleton zum Hassen freigegeben?

Andruchowytsch und das FAZ-Feuilleton haben der ukrainischen Sache keinen Gefallen getan – noch schlimmer: Sie schaden der Sache der russischen Opposition und damit der einzigen Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden in Osteuropa. Der Artikel und vor allem, dass er in der FAZ erscheint, spielt Putins Regime in die Hände. Wer ein Feindeskollektiv entmenschlicht und dämonisiert, stärkt vielleicht den Kampfeswillen der eigenen Seite, aber er verstärkt dadurch auch den Zusammenhalt zwischen der feindlichen Führung und deren Volk. Putin und seinem Regime kann es nur recht sein, wenn die „russische Bevölkerung“ von ukrainischen Intellektuellen im deutschen Leitfeuilleton zum „Antimenschentum“ erklärt wird. Den Russen selbst wird so jede Aussicht, sich vom Putinismus und dessen verbrecherischem Angriffskrieg loszusagen, abgesprochen. Seht her, kann die russische Staatspropaganda anhand dieses FAZ-Textes verkünden, sie hassen uns alle ohne Unterschied, halten alle Russen für „Antimenschen“. 

Nein dieser Text des ukrainischen Schriftstellers, dieses Dokument des undifferenzierten Russen-Hasses hätte von einer verantwortungsvollen Redaktion nicht publiziert werden dürfen. Es geht hier längst nicht nur wie sonst bei Hatespeech-Shitstormen um Gefühle der Kränkung einer Minderheit. Solches Schreiben ist in hohem Maße politisch verheerend: Wenn in deutschen Leitmedien ein derartiges Dokument erscheint, kann bei russischen Oppositionellen der Eindruck entstehen, dass man sie hier aufgegeben hat, dass man auf ihren Widerstand gegen das Putin-Regime keinen Wert mehr legt, dass ein Sturz des Putinismus hoffnungslos oder gar nicht mehr erwünscht ist, weil ja dieser russische „Teil der Menschheit“ nur eine verlorene „Antiwelt“ ist.  

Wenige Tage vor diesem schauerlichen FAZ-Text wurde auf YouTube ein sehenswerter Video-Bericht des Magazins „Vice“ aus der Südukraine veröffentlicht, in dem eine Reporterin vor allem das Leid der Verwundeten und der Hinterbliebenen zeigt. Da berichtet eine alte Frau namens Alexandra im Krankenhaus, wie ihr Mann verwundet wurde, während man diesen samt Wunden auf einer Bahre liegen sieht. Verflucht sie „die Russen“? „Ich bin sehr zornig gegen Putin“, sagt sie weinend. Ihr Mann starb ein paar Tage später, erfahren wir. Ein ukrainischer Soldat sitzt mit der Reporterin im Schützengraben und nachdem er gerade von seinem gefallenen Freund erzählte, sagt er laut Untertiteln, sie müssten „fucking shitty Russia“ besiegen. Er lacht. 

Doch die interessanteste Episode ist die über die junge Olga. Sie hat nahe Familienangehörige in Russland und ruft ihre russische Tante Swetlana vor laufender Kamera an. Die Tante weint hörbar. Und als Olga sie fragt, was Swetlana in den dortigen Medien hört, berichtet die russische Tante laut Untertiteln: „Die Nazis foltern Menschen … Sie vergewaltigen und missbrauchen sie … Olga, die verheimlichen das vor euch … Die russischen Streitkräfte befreien die Ukraine von Nazis“. Und als die britische Reporterin sie direkt am Telefon fragt, ob sie Putin glaubt, sagt sie: Ja, da es um die Befreiung der Ukraine von den Nazis gehe, unterstütze man Putin. 

Diese Swetlana ist sicher nicht „entmenschlicht“. Sie weint um das Leid ihrer ukrainischen Nichte. Aber Russen wie sie stehen im Bann des bizarren, bösartigen putinistischen Narrativs von der vermeintlichen „Nazi“-Herrschaft in der Ukraine. Putins Regime hat auf der kollektiven Erinnerung an die tatsächlichen Nazi-Gräuel des Zweiten Weltkrieges, die für die Sowjetunion identitätsstiftend war, eine bizarre „Nazi“-Wahnwelt der Gegenwart errichtet, in der die Konsumenten russischer Staatsmedien nun gefangen sind. 

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Kommentare ( 35 )

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Freiheit fuer Argumente
2 Jahre her

Danke für diesen Beitrag! Es gibt anscheinend noch ein paar Menschen, für die Völkerverständigung auch und gerade in der Krise ein echtes Anliegen ist – und nicht nur ein Schönwetteraustausch mit Gleichgesinnten.

Wir sollten unsere kulturellen und menschlichen Brücken gerade zu den Bürgern jener Länder aufrechterhalten, deren Regierungen uns nicht wohlgesonnen sind.

Nur so kann Frieden gelingen

Einen gewissen Erfolg dieser Art sehen wir übrigens gerade bei Russland in der Ukraine: „Stell Dir vor, es ist Krieg, und Deine Armee hat eigentlich keinen Bock darauf“

Franz Liszt
2 Jahre her

Richtig ist das die Russen in Russland die besten Verbündeten der Ukraine sind. Richtig ist auch, dass viele Russen Putin’s Unmenschlichkeit unterstützen, egal gegen wen. Die Letzteren sind dem Gründungsmythos der USSR in 2ten Weltkrieg verfallen, sie wollen nicht eingestehen das Der Krieg in 1939 begann, mit Stalin an Hitlers Seite, erst 1941 wurde die zweite Front eröffnet. Da war Hitler schon angeschlagen und Westalliierte haben sofort geholfen. Vor Moskau 1941waren auch Britische Flugzeuge und Panzer im Einsatz, lange vor L&L. Dann wurde in erster Linie mit Amerikanischen Material gewonnen, Hitler’s Industrie war in erster Linie mit den Westalliierten beschäftigt,… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Franz Liszt
Querdenker73
2 Jahre her

Ob Innenministerin Faeser jetzt gegen die FAZ wegen Hass und Hetze vorgeht? Sicher nicht, denn diese Attribute sind ja ihrer Meinung nach ausschließlich „Rechts“ vorbehalten. Also, derartige Blätter liest man einfach nicht.

KorneliaJuliaKoehler
2 Jahre her

Staatlich geduldete pauschale Menschverachtung und Hasstiraden, so wie wir sie in den letzten Jahren und Monaten auch schon anderweitig erleben mussten, provozieren eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Ersetzen wir doch einfach mal „die Russen“, zum Beispiel, in „die Türken“. Hätte es die FAZ gewagt, einen solchen, auf sämtliche Türken Hass ausdrückenden Artikel zu veröffentlichen? Vermutlich nicht, was auch mehr als richtig gewesen wäre. Sind solche diskriminierenden Artikel vielleicht Ausdruck der berühmten europäischen/westlichen Werte, die angeblich anderen Rechts-und Gesellschaftssystemen und Staatsformen überlegen sein soll? Wohl kaum! Werte, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, die der Willkür unterliegen, führen direkt zu deren Abschaffung.

AJMazurek
2 Jahre her

Tatsächlich ist das zaristische Russland zum ersten Opfer des westlichen „Fortschritts“ geworden, der deutsche Kaiser hat den Lenin mit vielen Reichsmark nach Russland geschickt und dieser hat geliefert. Allerdings mit überraschenden Spätfolgen. Nein, den Untergang der westlichen Zivilisation haben nicht die Russen eingeleitet, sie waren die ersten Opfer einer Entwicklung, die Angelsachsen, der einzige germanische Stamm, der die Überlegenheit des römischen Rechts nicht erkannte, ausgelöst hat. Protestantische Angelsachsen wie ein Hume (nicht das Sein bestimmt das Sollen, sondern das beliebige Wollen), Malthus (Menschheit als Plage), Hobbes (der Terrorstaat Leviathan), Darwin (Rasenkunde) und sein Cousin Galton (Eugenik) samt ihrem positivistischen Recht… Mehr

Ali
2 Jahre her

Dieser FAZ-Artikel ist reinste Volksverhetzung.

Die FAZ ist schon lange nicht mehr das was sie mal war. Das setzt dem Ganzen jedoch die Krone auf.

Stuttgarterin
2 Jahre her

Die beherrschende mediale Welt ist tendenziell im Schwarz-Weiß-Modus unterwegs. Genau deshalb fehlen solche Differenzierungen, die so wichtig sind. Wir unterstützen die Ukraine, also ignorieren wir hier ebenso vorhandene Hassbotschaften und geben Melnik eine immer größere Bühne. Wir sind (richtigerweise) gegen den russischen Angriff, also schaffen wir ein unmenschliches Gesamtbild von den tumben Russen – der Boden hierfür war bereits vorhanden – und bewerten Putin als einen von allem losgelösten Alleinherrscher. Sollten wir uns nicht auch darauf konzentrieren, welchen Einfluss Oligarchen in beiden Ländern nahmen und nehmen, welche weltweiten Machteinflüsse noch dazu kommen und wie Wege aus dem Konflikt heraus aussehen… Mehr

Mann und Frau
2 Jahre her

Der Artikel zeigt den ganzen Widerspruch der Situation auf, denn der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch offenbart in seinem Artikel in der FAZ unmissverständlich faschistisches und nationalistisches Gedankengut. Daraus könnte man, wenn man wollte, auf die Gemeinheit schließen und somit hätte die Tante Swetlana Recht. Das wäre allerdings zu einfach gedacht, denn natürlich leben in Russland und der Ukraine zu einem überwiegenden Teil höchst anständige, gute Menschen. Alle dort, aber zunehmend auch hier sind Opfer von Propaganda. Unsere ukrainischen Flüchtlinge waren zum Beispiel entsetzt, als wir sie über Bandera aufgeklärt haben. Sie hatten ihn verehrt ohne zu wissen, wer er wirklich… Mehr

Sabine W.
2 Jahre her

Selbstverständlich ist es ein natürlicher Impuls, sich erst einmal auf die Seite der Überfallenen zu schlagen. Aber die ‚andere Seite‘ vollkommen zu entmenschlichen…? Seid Ihr bekloppt geworden, liebe Mit-Deutsche? Könnt oder wollt Ihr nicht mehr differenzieren zwischen Menschen und Menschen? Seid Ihr mittlerweile so blind, dass Ihr bei aller Sympathie- oder sogar Identifizierungspropaganda nicht mehr unterscheiden könnt und wollt? Es gibt nicht DEN Ukrainer, es gibt nicht DEN Russen – und wenn ein ehemaliges Qualitätsmedium wie die FAZ sich inzwischen in den Bereich der kollektiven Enthumanisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe vorwagt, sehe ich noch schwärzere Zeiten, als wir sie journalistisch sowieso… Mehr

tamquam
2 Jahre her
Antworten an  Sabine W.

So ist es.
Genauso wenig gab und gibt es ‚den Deutschen‘. Meine Eltern und Großeltern sind weder Hunnen noch Nazis. Sie mussten sich allerdings über Jahre bzw. Jahrzehnte so betiteln lassen.

zaungast
2 Jahre her

Literaten sind oft nicht gerade mit großer politischer Weisheit geschlagen – denken wir nur an unseren Günter Grass. In diesem Fall scheint die FAZ nun endgültig zum Kampfblatt des grünen deutschen Beliebigkeitsbellizismus übergegangen zu sein. Dieses Blatt wird mehr und mehr zum Landser-Heftchen für die (schein)gebildeten Stände.