Habeck sorgt sich um grüne Dogmen mehr als um die Energieversorgung

Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck sind in Kanada auf der Suche nach einer "Energiepartnerschaft". Doch vor der Abreise hat Habeck noch in der Atom-Debatte gezeigt, was ihm viel wichtiger als die Energieversorgung ist.

IMAGO / Bernd Elmenthaler
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, 21.08.2022

Immerhin weiß man nun noch eindeutiger als bisher, was für Robert Habeck absolute politische Priorität hat – und was nicht. Angesichts der globalen Reisetätigkeit des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz könnte man meinen, es sei die Versorgung deutscher Unternehmen und Heizungsbetreiber mit importiertem Erdgas. Und zumindest in den meisten Medien wird dieser Eindruck derzeit auch wieder befördert, indem sie ausführlich über die Reise von Habeck mit Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kanada berichten. 

Habeck wünscht sich eine „Energiepartnerschaft für die Zukunft“ mit Kanada. Konkret ist die Unterzeichnung eines Abkommens zur Zusammenarbeit beim Thema Wasserstoff geplant. Auch die Lieferung von in Kanada vorhandenen Mineralien und Metallen wie Nickel, Kobalt, Lithium und Grafit steht auf der Agenda.

— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) August 22, 2022

Kanadas Premier Justin Trudeau zu treffen, den Liebling des globalen Juste Milieu, gibt natürlich viel angenehmere Resonanz beim eigenen Publikum, als ein Bückling vor dem Emir von Katar. „Auch Demokratien wie Kanada haben Rohstoffe. Da sollten wir ansetzen“, flankiert der Chef der Deutschen Rohstoffagentur. Man teile „nicht nur gemeinsame Werte“, säuselte der Kanzler nach Ankunft, „sondern auch einen ähnlichen Blick auf die Welt“. Und die Tagesschau ist natürlich genau derselben Ansicht: „Zu Besuch bei echten Freunden“. Dass Kanadas Regierung jenseits freundlicher Worte wirklich einen „ähnlichen Blick auf die Welt“ hat, kann man übrigens durchaus bezweifeln. Denn selbstverständlich blickt man allein schon aus geopolitischen Gründen aus dem flächenmäßig zweitgrößten Land der Welt in Nordamerika durchaus anders auf die Welt jenseits der Ozeane als aus der Mitte Europas. Kanada ist nicht abhängig von Energieimporten und viele tausend Kilometer von Russland oder anderen potentiellen Krisenregionen entfernt. 

Das Ergebnis der Kanada-Reise dürfte, was die schnelle Versorgung Deutschlands mit Gas angeht, ähnlich beschieden sein, wie das von Habecks Katar-Reise. Vom Bundeswirtschaftsministerium hieß es schon ein paar Tage vor der Reise ernüchternd: „Prinzipiell gibt es Interesse an kanadischem LNG – ob es hier zu Lieferungen kommen könnte, müssten die Unternehmen, die handeln, entscheiden.“

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Zu den großen Absurditäten der deutschen Energiepolitik gehört dabei, dass Deutschland aus Kanada und anderen Ländern Gas einkaufen will, für das es weder ausreichend Schiffe, noch die erforderlichen LNG-Terminals gibt und dass dieses Gas in Kanada zum großen Teil durch sogenanntes Fracking gefördert wird, was in Deutschland selbst, wo es ebenfalls große Möglichkeiten dazu gäbe, verboten ist.

Schon hier nähern wir uns der Antwort auf die Frage nach den wirklichen Prioritäten Habeckscher Energiepolitik. Man könnte diese beschreiben als unbedingte Verteidigung der eigenen grünen Dogmen – ohne große Rücksicht auf Verluste der Regierten. Was einmal in jahrzehntelanger Framing-Arbeit der eigenen Vorfeldorganisationen als Böse und Bedrohlich etabliert wurde, darf keinesfalls, auch nicht angesichts einer Inflations- und Versorgungskrise, als energiepolitische Alternative aufscheinen. Allenfalls indirekt auf dem Umweg übers Ausland: Fracking-Gas aus Kanada geht notfalls, Atomkraftwerke in Frankreich dürfen Blackouts in Deutschland verhindern. Aber Deutsche dürfen solche Teufelstaten keinesfalls selbst begehen. Sonst könnte ja jemand auf die Idee kommen, dass grüne Politik ein Holzweg und keineswegs alternativlos ist. 

Was wirkliche Priorität für Habeck und seine Partei hat, offenbaren also nicht die Bilder aus Montreal, sondern das Nichthandeln in Sachen Verlängerung der Restlaufzeiten der Atomkraftwerke. Und dieses Nichthandeln hat Habeck am Wochenende auch mit Worten unterfüttert. 

Mit dem AKW-Weiterbetrieb könne man den Gasverbrauch um maximal zwei Prozent senken, sagte der Grünenpolitiker. „Für das wenige, was wir da gewinnen, ist es die falsche Entscheidung.“ Ein seltsames Argument: zwei Prozent des Gesamtstromverbrauchs als Peanuts darzustellen, für die es sich nicht lohne, auch nur einen Bürokraten- und Gesetzgeber-Finger krumm zu machen. Arbeiten seine Referenten im Wirtschaftsministerium nicht gerade an einer Verordnung, die noch das letzte Sparpotenzial aus den Deutschen herausholen soll, etwa indem Ladenbesitzern verboten sein soll, die Türen offen stehen zu lassen? Vermutlich werden dadurch weit weniger als zwei Prozent eingespart. Aber es geraten dadurch auch keine grünen Dogmen in Gefahr.

„Das ist nicht die günstigste Technologie und auch nicht die sicherste Technologie zur Versorgung von Europa und der Welt für die Zukunft“, sagte Habeck. Aber hat das denn irgendjemand behauptet? Den Rufern nach der Laufzeitverlängerung in FDP, Union und anderswo geht es nicht darum, Atomkraftwerke neu zu bauen, es geht allein um den krisenbedingten Streckungsbetrieb, um den akuten Energiemangel im Winter zu mäßigen.

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Ebenso abwegig ist übrigens auch Habecks Kritik an der bayrischen Landesregierung, aus der der Ruf nach dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke kommt. Die eventuellen Engpässe bei der Stromversorgung in Bayern begründete Habeck damit, dass dort zwar viele Solar- aber zu wenig Windkraftanlagen installiert seien. „Mit Solarenergie kannst du nachts im Januar exakt gar nichts anfangen in Bayern, du brauchst auch andere Formen“, schulmeisterte Habeck. Aber bekanntlich gibt es auch für bayrische Winternächte keine Windgarantie.

Habeck scheint das Ausmaß der Krise, auf die das Land zusteuert, noch gar nicht realisiert zu haben. Die Preisentwicklung nicht nur für Gas, sondern auch für Strom ist dramatisch: 2000 Prozent an der Strombörse EEX. Diese Zahlen – in Worten Zweitausend! – zeigen, dass die Krise gerade erst richtig losgeht und die Schmerzen noch kommen. Und dennoch bestimmt die Sorge um die eigene Partei beziehungsweise die atom- und fossil-phobischen Vorfeldorganisationen Habecks Haltung ganz offensichtlicher mehr als die um das Wohl der Bürger. 

Die Grünen mit Habeck an der Spitze scheinen weiterhin gewillt, die Aufrechterhaltung grüner Dogmen mit der Verarmung der Bevölkerung zu bezahlen. Die eigentliche politische Frage des kommenden Winters ist, ob die Deutschen diesen Opfergang bereitwillig mitgehen. Zumal wenn sie sehen, dass zugleich die Regierenden in dieser Krise rein gar nichts zu opfern bereit sind – noch nicht einmal ihre Dogmen.  

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