Für Nancy Faeser endet die Meinungsfreiheit schon bei verletzten Gefühlen

Ein denkwürdiger Auftritt der Verfassungsministerin: Nancy Faeser stellt Meinungsfreiheit unter den Vorbehalt, dass jemand „beleidigt“ werde. Bei der „Letzten Generation“ ist sie da sehr viel großzügiger. Und dann dichtet sie noch einen Wunsch ins Grundgesetz, von dem dort nichts steht.

IMAGO / Jürgen Heinrich
Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Inneren und für Heimat, 08.11.2022

Wenn Nancy Faeser ihre Auffassung über Grundrechte mitteilt, hat das ein besonderes Gewicht. Ihr Amt des Bundesinnenministers umfasst schließlich auch das eines „Verfassungsministers“. Nicht nur gehört das Bundesamt für Verfassungsschutz in ihr Ressort, sondern sie hat auch gemäß § 26 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Bundesregierung gemeinsam mit dem Justizminister ein Widerspruchsrecht, wenn ihnen ein Gesetz- oder Verordnungsentwurf oder eine Maßnahme der Bundesregierung mit geltendem Verfassungsrecht nicht vereinbar erscheint.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Bei einem Auftritt vor der Bundespressekonferenz – es ging um die Vorstellung einer Umfrage über „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes Holger Münch – hat Faeser sich nun indirekt zum Grundrecht der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit „Hass und Hetze“ im Netz geäußert. Bemerkenswert ist dabei auch, was Münch und sie selbst vorher sagten, da es zu der zentralen Aussage hinführte. 

Ein Journalist brachte zunächst eine als Frage verkleidete Forderung vor: Viele Menschen wollten Anzeigen wegen „Hass im Netz“ erstatten, würden da aber auf „Unverständnis“ bei der Polizei stoßen, also: „Was muss da bei der Polizei noch passieren?“. Münch sagte sogleich, dass dieser Bereich „sehr wichtig“ sei, man habe eine zentrale Meldestelle für Internetkriminalität eingerichtet mit dem Ziel, Meldungen entgegenzunehmen, was aber zurzeit nicht stattfinde, weil dagegen geklagt werde. „Es wird aber im nächsten Jahr, spätestens 24, anders werden, weil dann auf der europäischen Ebene eine solche Verpflichtung eintritt, der Digital Service Act.“ Münch kündigte außerdem an, „die Zeit zu nutzen, um viel stärker in Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen zu gehen“, diese könnten dann „die Meldungen gesammelt abgeben“. Und er kündigte auch an, „in den nächsten Jahren“ viel zu investieren, wegen der „enormen Verbreitung“ dieser Kriminalität. Mehrfach empfahl er, sich an Nichtregierungsorganisationen zu wenden, die also offensichtlich zu einer Art Hilfspolizei gegen Hass werden sollen. 

Faeser ergänzte, gegen „Hass und Hetze“ vorzugehen, sei ihr „persönlich ein wichtiges Anliegen“ und dies müsse auch „stärker im Alltag beachtet werden“.

Nancy verweht im Wüstensand
Verschweigen als Methode: Wie Innenministerin Nancy Faeser ihr Amt in Misskredit bringt
Als ein anderer Journalist die banale Feststellung machte, dass Hass ein Gefühl ist, das man nicht objektivieren könne, und wo denn die Straftat beginne, behauptet Faeser: „Dazu haben wir eigentlich sehr gute rechtsstaatliche Methoden in Deutschland. Wir haben Meinungsfreiheit, die an den Grenzen endet, wo andere beleidigt werden, betroffen sind, verletzt werden. Und deswegen ist das eigentlich in einem Rechtsstaat gut definierbar.“

Genau das, was der Journalist mit seinem Einwand der Nichtobjektivierbarkeit des Gefühls Hass kritisch vorbrachte, bestätigte Faeser letztlich, indem sie es bestritt. Beleg für den strafrechtlich zu verfolgenden Tatbestand von „Hass und Hetze“ soll letztlich das Gefühl des Beleidigtseins des Opfers sein. Physische Gewalt soll also nicht mehr nötig sein, damit Hass kriminell wird, Beleidigtsein genügt. Die „rechtsstaatliche Methode“ Faesers besteht also darin, das Subjektive scheinbar zu objektivieren. Klingt absurd. Ist es auch. Und dennoch droht sich diese Rechtsauffassung, die der Willkür gegen das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit den Weg bereitet, zu etablieren.

Wenn Faeser und Münch von „Hasskriminalität“ sprechen, geht das ganz offensichtlich weit hinaus über die noch in den Nullerjahren international übliche Definition als „Gewaltkriminalität, die gegen eine Person oder gegen eine Sache allein oder vorwiegend wegen der Rasse, der Religion, der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts, der politischen oder sexuellen Orientierung, des Alters oder der geistigen oder körperlichen Behinderung dieser Person oder des Eigentümers oder Besitzers dieser Sache gerichtet ist“.  

Faesers Appeasement
Wie sich Nancy Faeser bei Demokratiefeinden und Autokraten anbiedert
Nun wird schon der Hass selbst durch die Wortkombination mit „Hetze“ als kriminell erklärt, zumindest sofern er geäußert wird. Das gilt allerdings, wie Faeser bei gleicher Gelegenheit klarmachte, nicht unabhängig von den hinter solchen Gefühlen beziehungsweise ihren Äußerungen stehenden politischen Positionen. Das Beleidigtsein genügt eben nicht unbedingt, um als Opfer von „Hass und Hetze“ zu gelten. In den Aktionen der „Letzten Generation“ zum Beispiel kann Faeser offensichtlich keinen Hass (zum Beispiel gegen Autofahrer?) ausmachen.

Von einem ZDF-Reporter befragt, warum sie den „Begriff Straftäter“ bezogen auf die Aktionen der „Letzten Generation“ benutzt habe, und ob sie „diese Form des zivilen Widerstandes“ für „legitim“ halte, sagte sie: „Wenn solche Aktionen andere Menschen gefährden, dann ist die Schwelle überschritten.“ Für sogenannte „Hate Speech“ im Netz ist die Schwelle also offenbar für Faeser sehr viel schneller schon mit schriftlichen Worten erreicht als für Klima-Extremisten mit handfesten Taten, die für Hunderttausende unbeteiligte Menschen nicht nur irgendwelche subjektiven Gefühle, sondern ganz handfeste objektive negative Folgen mit sich bringen.

Faeser ergänzte noch: „Friedlicher Protest ist sehr erwünscht, steht im Grundgesetz, ist eines der hohen Verfassungsgüter unseres Grundgesetzes.“ Das stimmt nicht. Das Wort Protest findet sich im Grundgesetz nicht, und schon gar nicht „wünscht“ sich das Grundgesetz protestierende Bürger. Es gewährt Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit, aber es fordert die Bürger nicht zum Protest auf für oder gegen was auch immer. Deutschland hat eine Verfassungsministerin, die öffentlich Unsinn über die Verfassung erzählt.  

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 50 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

50 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
skifahrer77
2 Jahre her

Faeser ergänzte noch: „Friedlicher Protest ist sehr erwünscht, steht im Grundgesetz, ist eines der hohen Verfassungsgüter unseres Grundgesetzes.“

Ein wohlmeinender Vater / Erziehendes kann sich wünschen, dass die unmündigen Kinder sich politisch engagieren.
Meine Vermutung ist schon lange, dass die politische Blase, die neuen Feudalherren, genau dieses Bild vom unmündigen und der Erziehung harrenden Bürger haben.

Skeptiker
2 Jahre her

Ein Glück nur, dass die NICHT geäusserte Meinung bis auf weiteres frei bleibt. Aber die Wissenschaft schreitet unaufhaltsam fort – eines nicht so fernen Tages wird sich jeder, der wählen oder Beamter werden will, einen Hassfreiheitstest mit dem Lügendetektor unterziehen müssen.

Querdenker73
2 Jahre her

Diese Frau bekämpft Hass und Terror mit Hass und Terror! Sie ist eine Beleidigung an sich. Also kann ihr Kampf nur Erfolg haben, wenn sie sich endlich verabschiedet!

Ralf Poehling
2 Jahre her

Zitat:“Genau das, was der Journalist mit seinem Einwand der Nichtobjektivierbarkeit des Gefühls Hass kritisch vorbrachte, bestätigte Faeser letztlich, indem sie es bestritt. Beleg für den strafrechtlich zu verfolgenden Tatbestand von „Hass und Hetze“ soll letztlich das Gefühl des Beleidigtseins des Opfers sein. Physische Gewalt soll also nicht mehr nötig sein, damit Hass kriminell wird, Beleidigtsein genügt.“ Das ist genau der Denkfehler, der hier begangen wird. Stichwort „Platinregel“ beim Umgang mit anderen im Internet. Man soll nach dieser Regel andere Menschen im Internet nicht so behandeln, wie man selbst behandelt werden will, sondern so, wie sie selbst behandelt werden wollen. Und das… Mehr

Peter Zinga
2 Jahre her

Wie schon Platon gesagt hatte: Wen du Trotel wählen liest, bekommst du am Ende Trotel an der Macht-oder so.

Der-Michel
2 Jahre her

Nach wie vor gibt es im Bundestag Abgeordnete, die ihre Reden mit: „Sehr geehrte Damen und Herren der demokratischen Parteien….“. Es ist offensichtlich wer da gemeint ist und wer ausgeschlossen ist. Soll ich mir als Wähler der „Schwefelpartei solche Beleidigungen, und als solches empfinde ich solche Worte von geistigen Minderleistern, gefallen lassen? Oder soll ich zukünftig einen Strafantrag stellen?

Markus Machnet
2 Jahre her
Antworten an  Der-Michel

Fragen sie sich mal wie demokratisch die Deutsche Demokratie Republik war. Oder wie demokratisch die Demokratische Kongo ist. Noch Fragen?

Index
2 Jahre her

Das Einzige was ich mich da noch frage, ist, ob all die (Grund)Gesetzesvergewaltigungsorgien so mancher „Politiker“ — anders vermag ich das nicht mehr zu bezeichnen — wieder rückgängig gemacht werden können. Dann könnte man ja noch einen Funken Hoffnung für unser Land haben.
Ich habe das allerübelste Gefühl, dass (mindestens!) seit der „Ampel“ nur noch einäugige Irre, gewissenlose Auftragstäter und verkappte Deutschlandhasser das politische Handeln bestimmen.
Gleiches betrifft übrigens auch das „journalistische“ Handeln der vollverkommenen Staats- und Mainstreammedien.
Wer derart verkommene „Politiker“ und Medien hat, braucht wahrlich keine Feinde mehr!

flo
2 Jahre her

Sehr einfach: Es gibt keine Abgrenzungskriterien zwischen „Hass und Hetze“ sowie subjektiven verletzten Gefühlen. „Wir haben Meinungsfreiheit, die an den Grenzen endet, wo andere beleidigt werden, betroffen sind, verletzt werden.“ Wenn Faesers Definition so zu 100 % stimmen würde, könnten wir uns alle gerichtlichen Verfahren sparen. Jemand bekundet, sich negativ betroffen  zu f ü h l e n, also: Der  Täter“ muss bestraft werden! Die meisten Aktionen, bei denen angeblich rassistische Taten benannt und fleißig gezählt werden, beruhen darauf, dass jemand meldet = behauptet, sich diskriminierend behandelt zu  f ü h l e n. Die gemeldeten Tatbestände werden selten objektiviert und… Mehr

Tammuz
2 Jahre her

Zahllose Kritiker der Regierungspolitik wurden in der Presse und in Social Media schon als „rechtsradikal“ und „Nazi“ beschimpft. Sie könnten in Zukunft also geltend machen, dadurch verletzt oder beleidigt worden zu sein, und die Urheber auf „Hass und Hetze“ verklagen. Hat Faeser das nicht bedacht oder ist sie zuversichtlich, dass unsere rechtsstaatlich alles andere als sattelfeste Justiz solche Klagen abweist?

Last edited 2 Jahre her by Tammuz
Markus Machnet
2 Jahre her
Antworten an  Tammuz

Ich vermute sie hat es nicht bedacht. Schließlich vergessen Ideologiegetriebene schnell alles was im richtigen Leben um sie herum passiert.

Babylon
2 Jahre her

Mich würde mal an Hand von ganz konkret gemachten Aussagen, kataloghaft aufbereitet, interessieren, was „Hass und Hetze“ ist, was an der Schwelle dazu steht und was nicht „Hass und Hetze“ ist, vielleicht aber sehr scharfe Kritik und ähnliches. Dieses nebulöse „Hass und Hetze“ Gerede, ohne genaue Definition durch Beispiele, ist doch mehr als fragwürdig, wenn jetzt auch noch „verletzte Gefühle“ ins Spiel kommen. Und überhaupt, was ist in diesen Fällen „Satire“, wo sich bestimmte Leute, sprich „Staatssatiriker“, maches erlauben können, wofür Nichtsatiriker dann vor den Kadi gezerrt werden?