Es liegt nicht an den anderen Kandidaten, dass Merz weder CDU-Vorsitzender noch Bundeskanzler werden wird. Es liegt an ihm selbst. Mit jeder zurückgenommenen Kritik und jeder erneuten Konfliktverweigerung offenbart er, dass ihm der Wille zur Macht fehlt.
Nicht erst seit Norbert Röttgen seine Kandidatur für den Parteivorsitz und damit wohl auch die Kanzlerschaft bekannt gab, kann man zumindest eine Teilprognose wagen: Friedrich Merz wird vermutlich nicht Parteivorsitzender und höchstwahrscheinlich schon gar nicht Bundeskanzler. Das liegt nicht daran, dass Röttgen so ein unschlagbar überzeugender Kandidat wäre. Geschweige denn die beiden anderen, also Armin Laschet oder Jens Spahn. Es liegt an Merz selbst.
Er hat zweifellos einen scharfen Verstand, ist analytisch fast jedem gegenwärtigen deutschen Politiker überlegen und zeigte schon als junger Abgeordneter eine beeindruckende Rhetorik. Aber etwas auf dem Weg zur Macht Entscheidendes fehlt ihm. Etwas, das Angela Merkel in höchstem Maße besitzt: nämlich die Charakterkombination aus taktischer Raffiniertheit und unbedingtem, unbeirrbarem Willen zur Macht. Im entscheidenden Augenblick zeigt sich das durch persönlichen Mut zum Risiko und unbeirrbare Bereitschaft zur Konfrontation mit Widersachern. Merkel bewies dies exemplarisch mit ihrem berühmten FAZ-Beitrag vom Dezember 1999, als sie Kohl die Gefolgschaft aufkündigte.
Dieser unbedingte Wille zur Macht ist auch der entscheidende Grund dafür, dass Angela Merkel noch immer vielen Menschen in Deutschland als herausragende Politiker-Persönlichkeit vorkommt. Sie ist es wahrlich nicht, wenn man unter Politik nicht nur den Kampf um persönliche Macht, sondern auch den Kampf versteht um die Interessen derer, die man repräsentiert, und um Überzeugungen, die wichtiger sind als die eigene Person. Diese Kategorie ist ihr völlig fremd. Aber wenn es um ihre Macht geht, kennt sie keine Rücksichten und zeigt keine Nerven. Das beeindruckt viele Menschen mehr als die Ergebnisse der Politik selbst.
Bei Merz ist das anders. Wenn eines seine politische Laufbahn kennzeichnet, dann ist es ein Muster aus herzhaften Sprüchen und schließlich halbherzigen Rücknahmen. Merz wird als derjenige in die Geschichte der CDU und der Bundesrepublik eingehen, der immer dann, wenn es darauf angekommen wäre, ein persönliches Risiko einzugehen, Mut zu zeigen und den entscheidenden Kampf aufzunehmen, Nerven zeigte oder schon zurückruderte, bevor es überhaupt richtig losging. Nun ist mit Röttgens Kandidatur auch offensichtlich, dass die Frage nach dem Parteivorsitz nicht bei vertraulichen Kaffee-Stündchen in Annegret Kramp-Karrenbauers Büro geklärt werden wird, sondern durch einen offenen Machtkampf auf dem nächsten Parteitag. Keine gute Nachricht für Merz und diejenigen, die ihre politischen Hoffnungen auf ihn setzen. Denn einen politischen Kampf durchzufechten, ist seine Sache nicht.
Merkel weiß das längst. Sie hat es erfahren, als sie Merz nach der knapp verlorenen Bundestagswahl 2002 den Fraktionsvorsitz wegnahm. Merz hat ihn sich nehmen lassen. Er hat es nicht auf die Machtprobe in der Fraktion ankommen lassen, sondern ist kampflos ins Glied zurückgetreten.
Erst danach schimpfte er in einem Interview mit der Berliner Zeitung im Dezember 2002 und warf Merkel Wortbruch vor. Sie habe ihren Anspruch auf das Amt der Fraktionschefin entgegen vorheriger Absprache mit den CDU-Landeschefs von langer Hand vorbereitet. „Frau Merkel war leider nie bereit, sich in den Wochen vor der Wahl in der öffentlichen Personaldebatte um meine Person schützend vor mich zu stellen.“ Er habe auf eine offene Konfrontation verzichtet, obwohl er glaube, „dass ich eine Kampfabstimmung in der Fraktion gewonnen hätte. Aber was wäre übrig geblieben: eine zerrissene Fraktion, eine verunsicherte Partei und eine wochenlange Personaldebatte.“ Auch im eigenen Interesse habe er der Partei die Zerreißprobe ersparen wollen. Er habe sich dann wie Ex-Fraktionschef Wolfgang Schäuble entschlossen, im Interesse des Landes und der Union „ins Glied der Partei zurückzukehren“, so Merz. Der Großteil der Fraktion habe Merkels Spiel „mit geballter Faust in der Tasche“ mitgemacht.
Nach dem Interview in der Berliner Zeitung sagte Merz damals im Dezember 2002 gegenüber der Welt noch, seine Darstellung der Ereignisse sei wichtig, „um eine Legendenbildung zu verhindern“.
Aber auch davon will Merz offenbar nichts mehr wissen. Die Rückkehr von Friedrich Merz in die große Politik – oder besser: das Versprechen der Rückkehr, denn ein politisches Mandat hat er ja nicht – begann mit einer Pressekonferenz im Oktober 2018, in der er seine Bewerbung um den Parteivorsitz bekannt gab. Dieser Schritt allein wurde natürlich von all jenen, die sich darüber freuten, auch als Kampfansage an Merkel und ihren politischen Kurs begriffen. Doch dann sagt er: „Zu versöhnen gibt es zwischen mir und Angela Merkel nichts.“ Er spielt den Streit von 2002 um den Fraktionsvorsitz herunter. Es sei klar gewesen, dass Partei- und Fraktion in eine Hand gehörten, so Merz. Von Wortbruch keine Rede mehr, nur der Stil habe ihn damals verstimmt. Also ist er offenbar doch ganz zufrieden, wenn sich eine Legende von der damaligen Einvernehmlichkeit festsetzt. Kurz darauf sagte er übrigens gegenüber der Rheinischen Post: „Die Zusammenarbeit zwischen Angela Merkel und mir wäre anständig, fair und loyal.“
Glaubwürdig war das natürlich nicht. Schließlich vermutete nicht nur der Spiegel, dass „Rache und Genugtuung“ gegenüber Merkel das tragende Motiv seiner Bewerbung gewesen seien. Aber Rache und Genugtuung bekommt man nicht geschenkt. Es gibt sie, das weiß jeder Western-Fan, nur für den, der kämpft und seine früheren Peiniger zur Strecke bringt. Darum bekam Merz sie auch nicht – und wird sie auch im nächsten Anlauf wohl nicht bekommen.
Als nach seiner missratenen, langweiligen Bewerbungsrede auf dem Hamburger Parteitag am 7. Dezember 2018 (voller Lob und Dank für Merkel übrigens) Kramp-Karrenbauer sich gegen ihn durchgesetzt hatte, schien Merz sogar erleichtert und gab seiner Frau ein Küsschen. Mancher witzelte später, seine Gratulationsrede für AKK sei besser gewesen als seine Bewerbungsrede zuvor. Da stand vielleicht eben ein Mann, der vor allem erleichtert war, dass der Kampf vorbei war. Denn offenbar ist das Kämpfen einfach seine Sache nicht.
Und dann machte Merz weiter wie zuvor: Immer mal wieder ein starker Spruch, der aufhorchen lässt und dann nachträglich abgeschwächt oder ganz zurückgenommen wird. Öffentliche Aufmerksamkeit, ja bitte, aber bloß keinen Konflikt durchstehen, wenn scharfer Widerspruch folgt.
Das Erscheinungsbild der Bundesregierung nannte er im Oktober 2019 im ZDF „grottenschlecht“. Die „Untätigkeit und die mangelnde Führung“ Merkels lege sich seit Jahren wie ein „Nebelteppich“ über das Land, sagte Merz. „Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass diese Art des Regierens in Deutschland noch zwei Jahre dauert.“ Für den November-Parteitag wurde das als Ankündigung eines Putsches gegen Annegret Kramp-Karrenbauer verstanden. Doch Merz zögerte erneut, hielt eine Jubelrede auf Kramp-Karrenbauer. Er wirkte wie ein schmächtiger, hochgeschossener Junge auf dem Sprungturm, ganz oben auf dem Brett, fünf Meter über dem Wasser – der dann doch nicht springt. Und die Kumpels rufen: Spring doch. Und dann springt er nicht. Er dreht sich um und klettert die Leiter runter.
Das Bild von ihm wieder geradezurücken, das scheint für Merz ein zentraler Antrieb. Und bald darauf gab er sich selbst wieder Gelegenheit, diesem nachzukommen. Er sprach beim Mittelstandsforum von „Gesindel“, das „wieder verschwinden“ solle. Klar, dass man dies auf die AfD beziehen musste, auch wenn der Name nicht fiel. Damit habe er nicht die Wähler der AfD und auch nicht deren Abgeordnete gemeint, sagte er später über Twitter. Aber wen, denn sonst? Offenbar war ihm klar geworden, dass er da gerade jene beschimpft hatte, die er doch in die Arme der CDU zurücklocken möchte.
Keine Woche später wieder ein Merz’sches Paradebeispiel des Geraderückens. Er sagt bei einer Veranstaltung des Aachener Karnevalsvereins: „Im Augenblick gibt’s ja eine richtige Machtverschiebung zwischen denen, die Nachrichten verbreiten und denen, die Nachrichten erzeugen. Und zwar zugunsten derer, die die Nachrichten erzeugen.“ „Wir brauchen die nicht mehr“ soll er über den Journalismus gesagt haben. Der Deutsche Journalistenverband mit seinem Vorsitzenden Frank Überall reagiert empört, unterstellt ihm einen Angriff auf die Pressefreiheit – und Merz knickt sofort ein. „Ich betone in fast jeder meiner Reden die Bedeutung und Notwendigkeit der Pressefreiheit, die ich durch ganz andere Entwicklungen erheblich gefährdet sehe“, schrieb Merz ihm zurück.
Da will angeblich einer Bundeskanzler werden, also demnächst Männern wie Trump, Putin und Erdogan gegenüberstehen – und knickt schon ein, wenn ihn der Chef des Deutschen Journalistenverbandes in völlig überzogener Weise kritisiert, ein Mann namens Frank Überall, der nicht einmal unter Journalisten für besonders einflussreich und wichtig gehalten wird. Er gilt unter engen Freunden als hochsensibel und verletzlich. Es sind bewundernswerte Charaktereigenschaften – aber passen sie auch für die brutale Politik an der Spitze ins Anforderungsprofil?
So verschleißt sich einer selbst, der vor 20 Jahren mal als das größte politische Talent seiner Generation und seiner Partei galt und nun in Ermangelung personeller Alternativen immer noch die Hoffnung vieler konservativer und wirtschaftsliberaler CDU-Mitglieder und -Anhänger ist. Aber diese Hoffnungen werden eben mit jeder zurückgenommenen Kritik, mit jeder Selbstkorrektur, mit jeder Konfliktverweigerung immer wieder enttäuscht. Bis sie langsam ganz verschwinden.
Merz will offenbar ins Konrad-Adenauer-Haus und dann ins Kanzleramt getragen werden. Er möchte die Macht nicht erobern, er möchte eingeladen werden. Seine Eitelkeit (die ihm frühere Fraktionskollegen bescheinigen) mag dies erklären: Kämpfe ramponieren nun einmal das eigene Erscheinungsbild. Aber einen, der immer wieder zaudert und zurückweicht, wenn es ernst wird, einen, der nicht mutig und in den entscheidenden Situationen nicht standhaft ist, trägt eben niemand auf den Thron.
„Man muß seine Linie beibehalten und darf nicht wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen reagieren.“ Das soll Merz übrigens auch mal gesagt haben, vor der Rechtschreibreform und bevor ihm Angela Merkel den Fraktionsvorsitz widerstandslos abgenommen hatte.
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Als Merz gefragt wurde, warum er sich Politik und sein Engagement darin nochmal
zumuten will, hat er geantwortet, er habe schließlich Kinder. Sein Verhalten bisher nach dieser Aussage lässt keineswegs vermuten, dass diese Aussage irgendwann zu folgerichtigem Verhalten Hoffnung geben wird. Theoretisch will er, dies gibt er auch so kund, praktisch fehlt ihm die Traute oder hat er vielleicht sogar Angst vor Merkel und ihrer Horrormannschaft?
Knauss hat einen starken Realitätssinn – einer der besten Leute hier!
Ja, so sehe ich das auch.
Ach ,wäre ich doch bei black rock geblieben !
Wieso „braucht“? Es gibt sie doch!
Die Werteunion steht hinter Merz. Merz lehnt die Werteunion ab. Wer seine eigenen Fans verprellt, muss sich nicht wundern, wenn es am Ende nicht zum Sieg reicht.
Über wen sagt das was aus – über Merz oder die Werte-Union?
Ich wette, Sie wissen es … ;->
„Hochsensibel und verletzlich“ sind oft auch der Eitle und der Feigling. Sie begeben sich in keinen Kampf, bei dem immer die Gefahr besteht, Federn lassen zu müssen. Seine Eitelkeit hat ihn erwarten lassen, dass man ihm das Kanzleramt zu Füßen legen müsse. Seine Feigheit ist im Text mit Beispielen gut belegt. Merz ist nicht der durchsetzungsstarke, authentische Kämpfer, den dieses geschundene Land so dringend braucht, um die Demokratie zu retten, sowieVernunft und Achtung voreinander neu zu etablieren. Ich bezweifle, dass Merz ein klares Bewusstsein für die Verantwortung gegenüber dem Land und dessen Souverän hat. Zu lange war er gehorsamer Parteisoldat.… Mehr
Vielen Dank für diesen guten Artikel. Hoffentlich liest er ihn.
– Es ist nie zu spät, seine Pubertät zu durchleben. – Friedrich Merz hat in meinen Augen noch nicht alle Chancen verloren. Und das könnte nicht das Schlechteste für unser Land sein.
*thumb up*
Sehr gute und zutreffende Analyse.
Ich frage mich nur, wie der zu Blackrock gekommen ist, resp. wie er sich da halten konnte – so mit der Verhaltensweise eines „Walldorfschuldirektors“?
Ob jetzt das Quartett „Muttis Lieblinge“ vollständig ist?
Zwei, die es wieder werden wollen, und zwei, die es bleiben wollen.
An die politische Spitze gelangt man nur mit Charaktereigenschaften, die im „normalen“ Leben verpönt sind: in erster Linie Selbstüberschätzung. D.h. Man muß sich für klüger, besser, tüchtiger als alle Konkurrenten halten – wobei es gar keine Rolle spielt , ob das wirklich zutrifft. Insofern geht es nicht ohne einen Hauch von Größenwahn. Das zweite ist eben ein unbeirrbarer Machtwille. Erst wenn man oben angekommen ist, zeigt sich dann, ob man auch Politiker ist, also gestalten will und kann. Da sind dann völlig andere Eigenschaften gefragt Merkel verkörpert exemplarisch Erfolg und Scheitern, Fähigkeit und Versagen zugleich. Ihre Kraft (und wohl auch… Mehr