Und ewig lockt die Flugbereitschaft die Spitzenpolitiker

Der Skandal um Christine Lambrecht, ihren Sohn und die Nutzung der Flugbereitschaft für private Zwecke weckt Erinnerungen. Offenbar lernen viele Spitzenpolitiker nicht aus den Verfehlungen anderer – und können formale Regeln nicht von Anstand unterscheiden.

IMAGO / localpic
Bundesministerin der Verteidigung, Christine Lambrecht, beim Besuch eines Lufttransportgeschwaders der Bundeswehr, 3.5.2022

Politiker werden offenbar nicht unbedingt klüger – zumindest nicht aus Fehlern, die immer wieder begangen werden. Die ungerechtfertigte Verwendung der sogenannten „Flugbereitschaft“ der Bundeswehr für Mitglieder der Bundesregierung und ihre Angehörigen ist so ein Fehler, der immer wieder begangen wird. So, wie jetzt die Bundesverteidigungsministerin, stolpern immer wieder Spitzenpolitiker darüber, dass sie nicht den Unterschied begreifen zwischen einer möglicherweise formal recht- und vorschriftsmäßigen Nutzung der Flugzeuge und Hubschrauber der Bundesregierung oder der Limousinen der Fahrbereitschaft eines Ministeriums sowie dem davon zu unterscheidenden öffentlichen Eindruck dieser Nutzung. Allerdings fallen sie meist auch nicht – wie unten aufgeführte Beispiele zeigen. 

Es mag sein, dass Alexander Lambrecht, Sohn der Verteidigungsministerin, weder Recht noch Regelungen gebrochen und auch dem Verteidigungsetat keinen nachweisbaren finanziellen Schaden zugefügt hat, da er den Hubschrauberflug bezahlen wird. Aber was schwerer wiegt, ist der Eindruck der quasi-feudalen Privilegierung, der in der Öffentlichkeit bleibt: Ein Ministersohn lässt sich wie ein hochwohlgeborener Prinz kutschieren – und prahlt damit auch noch öffentlich. 

Eine solche Nutzung ist auch deswegen so besonders verführerisch, weil sie nie akut überprüft wird. Der Pilot, in der Regel ein Bundeswehroffizier, fragt die Ministerin nicht nach einem Nachweis der dienstlichen Notwendigkeit des Fluges, bevor sie einsteigt. Derjenige, der den Flug anfordert, ist für die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich. Zum „Kreis der Berechtigten“, die die Flugbereitschaft der Luftwaffe nutzen dürfen, zählen der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, der Bundesratspräsident, der Bundeskanzler, die Bundesminister und die Fraktionschefs der im Bundestag vertretenen Parteien, aber auch Abgeordnete „auf Anforderung der Präsidentin des Deutschen Bundestages“.

Reisen dürfen Politiker mit der Flugbereitschaft laut Richtlinie nur, „wenn der Zweck der Reise bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder von Kraftfahrzeugen nicht erreicht werden kann, oder wenn andere zwingende Amtsgeschäfte ohne Benutzung des Luftfahrzeuges der Flugbereitschaft nicht erledigt werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die durch den Flug mit der Flugbereitschaft BMVg verursachten Kosten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Dringlichkeit des Amtsgeschäftes und den damit verbundenen Bundesinteressen stehen müssen.“ 

In Lambrechts Fall ging es um den Besuch einer Bundeswehr-Einheit in Schleswig-Holstein. Die liegt in Ladelund in Nordfriesland, besonders nahe an der Insel Sylt, wo die Ministerin unmittelbar danach Urlaub machte – mit ihrem Sohn, der ebenfalls im Hubschrauber geflogen wurde. Über „Bedeutung und Dringlichkeit des Amtsgeschäfts“ und „Bundesinteressen“ können da schon Zweifel aufkommen.

Die Verführungskraft herausgehobener Dienstleistungen ist groß, wenn sich vor mächtigen Politikern stets alle Türen öffnen und alle möglichen Fahrzeuge in Bewegung setzen – aber auch die Sensibilität von Journalisten. Und so ist die Geschichte der Bundesrepublik reich an Skandalen dieses Kalibers. Dazu gehören beispielsweise:

  • 1994 der Zwischenstopp des seinerzeitigen SPD-Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping auf dem Rückflug von Mostar in Nürnberg – für einen Wahlkampfauftritt seiner Parteifreundin Renate Schmidt;
  • 2000 Wochenendheimflüge von Finanzminister Hans Eichel (der damals kein Bundestagsabgeordneter war, also keinen Wahlkreis zu „pflegen“ hatte);
  • 2003 ein – im letzten Moment wegen einer Spiegel-Recherche abgesagter – Flug in den Amazonas von Verbraucherschutzministerin Renate Künast und Umweltminister Jürgen Trittin;
  • 2008 der Flug des Umweltministers Sigmar Gabriel aus dem Urlaub in Mallorca zu einer Kabinettssitzung; 
  • 2011 der Flug der Bildungsministerin Annette Schavan zur Audienz beim Papst. Ihre Rückreise war „ebenfalls aus zeitlichen Gründen“ mit der Flugbereitschaft erfolgt, weil sie im Anschluss einen Vortrag in Nordhorn gehalten habe; 
  • 2016 die 60-fache Nutzung der Fahrbereitschaft des Bundestags durch den Linken-Abgeordneten Norbert Müller. In der Welt heißt es dazu: „Er begründet die Fahrten unter anderem mit dem Lokführerstreik im Mai 2015 oder der Verpflichtung, sein Kind aus der Kita abzuholen. Dokumentiert sind auch Fahrten vom Volleyball-Platz Beach Mitte oder vom Flughafen Tegel nach Hause.“
  • 2018 der Hubschrauberflug des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ausgerechnet in ein Naturschutzgebiet.

Die Mutter aller Flugbereitschaftsaffären aber ist diejenige von Rita Süßmuth 1996. Es ging um Flüge der damaligen Bundestagspräsidentin nach Zürich, wo ihre Tochter lebte. Und ähnlich wie jetzt hieß es damals: „Alle Flüge in die Schweiz waren dienstlich bedingt. Private Besuche in Zürich sind auch privat finanziert worden.“ 13 Flüge einer Bundestagspräsidentin in zwei Jahren in die Schweiz – dienstlich bedingt?

Der Skandal kam auf, weil sich ein Flugpassagier am Zürcher Flughafen empörte, nachdem er erfuhr, dass sein Flugzeug warten musste, weil das Bundeswehr-Flugzeug mit Süßmuth an Bord Vorrang hatte. Er schrieb einen Brief an den Bund der Steuerzahler, der dann den Weg in die Presse fand. 

Süßmuth war damals wie schon bei einer ersten Affäre 1992 – als ihr Mann Hanns Süßmuth einen ihrer drei Dienstwagen für private Zwecke nutzte und ihre Tochter Claudia für den Umzug in die Schweiz einen Bundestags-Kleintransporter nebst Fahrer der Fahrbereitschaft auslieh – ohne Rücktritt durchgekommen. Auch die oben genannten Politiker stürzten nicht (zumindest nicht über ihre Flug-Affären). Die Öffentlichkeit und – entscheidend – der damalige CDU-Chef und Bundeskanzler Helmut Kohl ließen sich mit einer Auflistung der schweizerischen Termine abfertigen. Der öffentliche Aufschrei hielt sich in Grenzen. Süßmuth blieb. 

Die Richtlinien zur Nutzung der Flugbereitschaft wurden nach diesem und anderen Skandalen 1998 und 2001 leicht verschärft. Wie Lambrechts Affäre zeigt, änderte das aber nichts an der Verführbarkeit von Politikern aus dem „Kreis der Berechtigten“.

Das Fazit, das 1996 der Spiegel in seinem Artikel über Süßmuth zog, bleibt auch heute aktuell: „Tatsächlich sind die Grenzen zwischen privaten und dienstlichen Anlässen zur Benutzung der Flugbereitschaft fließend. Unrechtsbewußtsein oder auch bloß das Fingerspitzengefühl, was dem Steuerzahler zuzumuten ist, sind Bonner Volksvertretern allmählich abhanden gekommen.“ Auch in Berlin jedenfalls haben manche Volksvertreter jenes Fingerspitzengefühl nicht wiedergewonnen. 

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