Die „Menschenfeinde“

Ein Begriff, begründet von einem Sozialforscher und popularisiert durch einen ZDF-Komiker, soll Hassende bezeichnen – und wird selbst zum Fanal einer Hatz. Es ist eine alte Geschichte.

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Chefredakteure großer Zeitungen, der Parteivorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei (nicht der AfD!) und zahlreiche andere Politiker aller Bundestagsfraktionen, mehrere aktive und emeritierte Professoren verschiedener Wissenschaftsdisziplinen und auch der Herausgeber dieses Mediums stehen auf einer per E-Mail verbreiteten „Liste der „250 Menschenfeinde“.

Der Begriff „Menschenfeind“, den der Absender verwendet, hat in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Karriere gemacht. Er taucht immer öfter auf in der Öffentlichkeit, wenn Meinungen und diejenigen, die sie vertreten, als illegitim aus Debatten ausgeschlossen und salopp gesagt „fertig gemacht“ werden sollen. In der E-Mail des „Geimpften“ heißt es nach einem Vergleich mit „gefährlichen Tieren“, die es zu „entnehmen“ (ein Jäger-Euphemismus für töten) gelte, und mit „schlimmsten Nazis“: „In den nächsten Wochen und Monaten werden diese Menschen aber merken, dass man ihnen auch ganz ohne physische Gewalt große Probleme bereiten kann.“

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Einer der sich mit der Verwendung dieses neuen Kampfbegriffs gut auskennt, ist der Fernseh-Unterhalter Jan Böhmermann. Es gäbe Meinungen, die seien „durchtränkt von Menschenfeindlichkeit“ sagte Böhmermann kürzlich in einer öffentlichen Diskussion mit seinem ZDF-Kollegen Markus Lanz. Dem warf er vor, Vertreter solcher „Positionen, die im Kern menschenfeindlich sind“, in seine Talkshow eingeladen zu haben. Es ging da wohlgemerkt nicht um Apologeten von Terror oder Diktaturen, sondern um Mediziner, die die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung kritisieren.

Die Konjunktur dieses – jungen, beziehungsweise neu-belebten – Begriffs ist wohl kaum dadurch zu erklären, dass er ein neues Phänomen besonders gut trifft. Eher im Gegenteil. Die Kombination menschen-feindlich ist schließlich bei näherer Betrachtung unsinnig. Ist nicht jeder Feind eines Menschen ein Mensch? 

Die „Menschenfeindlichkeit“ des Jan Böhmermann und des irren „Geimpften“ hat mit dem klassischen, durch das gleichnamige Drama von Molière bekannten „Menschenfeind“ („Misanthrope“) nicht viel zu tun. Ein „Misanthrop“ (wörtlich übersetzt eigentlich der „Menschenhasser“), ist grantelnd, ungesellig, einzelgängerisch, vom Leben (das immer ein Leben mit anderen Menschen ist) enttäuscht.

Für diese scheuen Außenseiter haben die zeitgenössischen Verwender des Begriffs kein besonderes Interesse. Die kommen ihnen schließlich nicht in die Quere. Es geht da nicht um den von der Menschheit enttäuschten Pessimisten, der sich selbst wegen Weltschmerz freiwillig ausgrenzt, sondern um jemanden, den es aktiv auszugrenzen gilt. 

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Diese „Menschenfeindlichkeit“ als politischer Kampfbegriff von Böhmermann und anderen selbsterklärten Wächtern der Öffentlichkeit, hat einen Erfinder. Es ist der Bielefelder Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, Gründungsdirektor des dortigen Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Sein gesamter publizistischer und mittlerweile eben auch politischer Erfolg beruht auf der Durchsetzung der These der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, die er mit Hilfe eines Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft in einer jährlich unter dem Titel „Deutsche Zustände“ im renommierten Suhrkamp-Verlag und in der Zeit veröffentlichten Studie weit und oft wiederholt verbreiten konnte. Für ihn selbst hatte das zufolge, dass er als erster „Kämpfer gegen die Menschenfeindlichkeit“ (so der WDR über Heitmeyer anlässlich seiner Emeritierung 2013) gilt. 

Gemeint sind mit diesem Begriff angebliche „Mentalitäten“, die „Personen aufgrund ihrer gewählten oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit als ungleichwertig“ markieren. Eine Definition findet sich hier. Um jedoch seinerseits von Heitmeyer als „gruppenbezogen menschenfeindlich“ markiert zu werden, genügt es bereits, den Satz „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein“ abzulehnen oder dem Satz „Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden“ zuzustimmen. Auch die 59 Prozent der Befragten des Jahres 2010, die es empörend fanden, „wenn sich Langzeitarbeitslose auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen“, werden von Heitmeyer unter der Kategorie „Abwertung von Langzeitarbeitslosen“ als gruppenbezogen menschenfeindlich eingeordnet. 

Heitmeyer lieferte mit diesen 10 Studien zwischen 2002 und 2011 alljährlich ein Argument, den „Kampf gegen Rechts“ zu forcieren. Mit alarmistischen Behauptungen, die er aus den Antworten auf die vielfach suggestiven Fragen seiner Studien interpretierte, vermittelte er alljährlich den Eindruck, dass vermeintlich rechtsextreme Ansichten, eben die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ immer noch oder gar mehr denn je in der Mitte der Gesellschaft schwele und die „deutschen Zustände“ präge. Und er lieferte mehr oder weniger die Befragungsmethodik für die ganz ähnlich angelegte „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die „Mitte“, so sollte man demnach glauben, sei eigentlich ziemlich „rechts“. Womit etwas weiter gedacht folgen musste, dass nur links im Spektrum der deutschen Gesellschaft die Menschenfreundschaft gesichert sei.

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Heitmeyer hat damit eine theoretisch-ideologische Grundlage für die Cancel Culture geschaffen – zumindest im deutschsprachigen Raum. Und nicht zuletzt die wissenschaftliche Rechtfertigung für unzählige staatlich finanzierte Projekte und pädagogisierende Regierungsaktivitäten. Es gibt zum Beispiel einen „Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ in Rheinland-Pfalz und im „Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus“ des Bundesfamilienministeriums kommt das Wort „Menschenfeindlichkeit“ 34 mal vor. In zahlreichen NGOs wird Heitmeyers „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ mittlerweile als Grundlage der Aktivitäten zitiert. Die Antonio-Amadeu-Stiftung zum Beispiel hat eine eigene Broschüre und ein eigenes Internetportal dazu eingerichtet. Vermutlich verdanken Tausende Heitmeyer ihren Arbeitsplatz „im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit„.

Die neue Linke hat mit dem „Menschenfeind“ (Heitmeyers Adjektiv „gruppenbezogen“ fällt immer öfter einfach weg) nun eine Anpassung des alten Begriffs „Volksfeind“ an das Zeitalter des Universalismus gefunden. Er steht in der Tradition des „hostis publicus“ im Römischen Reich, des „Vogelfreien“ im Mittelalter, des „ennemi du peuple“ der Jakobiner in der Französischen Revolution, des „Wrag Naroda“ der Bolchewiki. In der Verwendung des Wortes „Volksfeind“ waren sich übrigens Nazis und Kommunisten einig. So wie einst die Kader von totalitären Einheitsparteien behaupteten, für das „Volk“ zu sprechen und in seinem Namen dessen vermeintliche Feinde ausschalten zu müssen, glauben heute nicht nur Drohbriefschreiber, sondern auch Wissenschaftler, Fernsehmoderatoren und andere Meinungsmacher offenbar für alle „Menschen“, also die Menschheit zu sprechen und deren Feinde brandmarken zu müssen. Ein Begriff, der die Hassenden und Hetzenden bezeichnen soll, wird damit selbst zum Werkzeug des Hasses und der Hetze.

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Kommentare ( 29 )

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Rainer Moeller
3 Jahre her

Drei kurze Nachbemerkungen:

  1. Schon die Kommunisten waren dazu übergegangen, ihre Gegner als „Feinde der Menschheit“ zu bezeichnen – der SPD-Mann greift da also auf Vorbilder zurück.
  2. Wenn man sich anschaut, wo die Bezeichnung „Menschenfeinde“ popularisiert wurde, dann war das zum größten Teil über den deutschen Linksprotestantismus, also die EKD. Die klare Abgrenzung der Gerechten von den Sündern (aka „Menschenfeinden“) war dort zeitweise eines der zentralen Themen.
  3. Heitmeyer selber war klug genug, den Schritt von „Menschenfeindlichkeit“ zu „Menschenfeinden“ nicht selber zu machen. Er hat an diesem Schritt aber billigend teilgenommen, indem er Interviews autorisierte, in denen die Journalisten von „Menschenfeinden“ sprachen.
giesemann
3 Jahre her

Wer glaubt, es gebe zu viele Menschen ist ein „Menschenfeind“. Wer glaubt, die Erde wächst nicht mit, dito: https://www.spiegel.de/politik/die-reichen-werden-todeszaeune-ziehen-a-628d4249-0002-0001-0000-000014344559?context=issue
Nur Verrückte meinen, dass es allen Menschen besser ginge, wenn wir nicht so viele wären – welch Idioten. TE zu „Die „Menschenfeinde“ …“ vom 26-9-21 (Knauss) 2x

Juergen P. Schneider
3 Jahre her

Diktaturen beginnen für gewöhnlich in den Köpfen von Menschen, die anderen aus welchen Gründen auch immer das Menschsein absprechen. Ob Hitler, Stalin, Mao oder Pol Pot die Denke, die dahintersteckt, ist immer die gleiche. Das weniger als hundert Jahre nach der Naziherrschaft solche Gedanken bei denen, die immer so laut das „Nie wieder“ skandieren, wieder hoffähig werden, lässt einen fast schon verzweifeln. Die Deutschen haben nichts aus ihrer Geschichte gelernt. Immer wieder kommen die gleichen irrationalen und zerstörerischen Denkweisen zum Vorschein und bereiten das nächste historische Desaster vor. Das Freund-Feind- Denken und die Moralisierung politischer Fragen führen bei der linken… Mehr

Soder
3 Jahre her

Herzlichen Dank an Herrn Knauss, für den wissenserweiternden Beitrag. „Vermutlich verdanken Tausende Heitmeyer ihren Arbeitsplatz „im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit„ Man schaue sich dazu das Profil des IKG, des Teilinstituts FGZ und die dort zahlreich aufgeführten (gut versorgten) Stelleninhaber an. IKG   Institut für interdisziplinäre Konflikt- u. Gewaltforschung, Gründungsdirektor Prof. Heitmeyer FGZ – Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (Teilinstitut IKG) https://www.uni-bielefeld.de/zwe/ikg/ https://www.fgz-risc.de/das-forschungsinstitut/standorte/bielefeld https://ekvv.uni-bielefeld.de/blog/uniaktuell/entry/institut_f%C3%BCr_konflikt_und_gewaltforschung (Auszug von 2017) „Seit 16 Jahren prägt das IKG mit seinen Analysen zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ die Forschung und die öffentliche Diskussion über die Abwertung und Ausgrenzung schwacher Gruppen. Heute wird der Begriff auch in Medien und Politik verwendet. Er prägte die Strategien zur… Mehr

Querdenker_Techn
3 Jahre her

Was sagen Polizei und Verfassungsschutz zu diesen Mails? Ich gehe davon aus, dass Anzeige erstattet wurde.

jopa
3 Jahre her
Antworten an  Querdenker_Techn

Vermutlich auf Anweisung von oben: Ball flach halten und 3 weise Affen spielen.

Warte nicht auf bessre zeiten
3 Jahre her

Ein Menschenfeind ist kein Mensch mehr, sonst wäre er ja Feind seiner selbst. Für Nichtmenschen gelten logischerweise keine Menschen- und Bürgerrechte. Die weitere logische Konsequenz von solchen Konzepten sind Lager, denn man kann ja den Feind nicht einfach unter sich wohnen lassen. Ein Wahl gibt es nur noch beim Zweck der Lager: Umerziehung, Einhegung oder Vernichtung. Die Entmenschlichung des Gegners ist die notwendige Vorbedingung für einen Krieg.

IJ
3 Jahre her

Die Ergüsse von Heitmeyer und seinen boshaften Jüngern sind übelste dörfliche Stammtischhetze auf niedrigstem Niveau. Denn sie zielen auf Ausgrenzung, Diskreditierung und Entmenschlichung politischer Gegner fernab jeglicher intelektueller Auseinandersetzung ab. Darüber kann auch das im linken Mileu so beliebte terminologische Tuning und Reframing ala Josef Goebbels nicht hinweg täuschen. Wenn die Zeugen Jehovas zu mir an die Haustür kommen, sage ich ihnen stets: „Nicht Glaube und blinde Gefolgschaft hat die Menschheit vorangebracht, sondern Zweifel und mutige Alleingänge.“ Genau auf diesen Menschenschlag haben es die neuen Blockwarte wie Böhmermann abgesehen: Auf die Zweifler und mutigen Alleingänger. Da ich mich selbst ebenfalls… Mehr

Last edited 3 Jahre her by IJ
hp
3 Jahre her

Danke für den erhellenden Beitrag. In der Tat kann man Wilhelm Heitmeyer wohl als einen (der geistigen) Väter der „(gruppenbezogenen) Menschenfeindlichkeit“  definieren. Der Begriff hat sich seitdem mit atemberaubender Geschwindigkeit in bestimmten öffentlichen Räumen verbreitet, und sein Ziel ist offenkundig (auch), kritische Einstellungen und Haltungen gegenüber sozialen Gruppen und ihren Mitgliedern konsequent zu unterbinden, flankiert vom allgegenwärtigen „Hass-und-Hetze“-Vorwurf. Das Gegenstück ist die hehre allumfassende Menschenliebe, egal was bunte Gruppen oder deren Mitglieder konkret auszeichnet und wie viele Migrantengruppen nach Deutschland einwandern möchten. Ausgenommen natürlich die Liebe zu konservativen, rechten Kreisen. Die kann man nicht liebhaben. Von den Mitte-Studien hat sich… Mehr

fory63
3 Jahre her

Sowohl sprachlich als auch ideologisch entfernen wir uns stetig von der Demokratie. Das Dramatische ist, dass die Gewalten, inklusive der 4., diese Abspaltung befördern und gar hervorbeschwören. Wenn 45% der Bevölkerung sich noch bekennen, frei reden zu können, dann ist es High Noon. Wenn keine Korrektur erfolgt, weil die Parteien glauben, so ginge es weiter, dann wird das böse enden.

333x2
3 Jahre her
Antworten an  fory63

Amüsant. Demokratie war seit jeher eine Fassade. Was ist die EU, die UN sowie Ihre Nationalen Gauleitungen und die „Globale Gesellschaft“ anderes als die Fortführung des Ideals der Faschisten von der Nationalen auf die Trans-und Internationale Ebene erhobene Gesellschafts Organisation? Es mag die Nachkriegsler in ihrem Naiven Traum schmerzen, aber die Realität ist, Ihr seits alle Nazis

R.J.
3 Jahre her

(A) Sehr geehrter Herr Knauss, vielen Dank. Sie stellen die Vokabel „Menschenfeind“ in einen aktuellen politischen Kontext. Diesen kann man auf einen historischen, anthropologischen, ja evolutionsbiologischen Kontext erweitern. Ausgangspunkt ist der Tribalismus, auf dem Rationalisierungen aufsatteln, schließlich sind Menschen denkende Wesen, und es mordet sich mit Gründen & gutem Gewissen leichter & effizienter. Die Errungenschaft der Zivilisation ist eigentlich, solche Instinkte und die noch gefährlicheren Rationalisierungen zu zähmen und einzuhegen; das allerdings scheint heute in Frage zu stehen. (B) Archäologische Befunde zeigen, dass Krieg gegen andere Gruppen regelhaft vorkam, ethnologische Befunde, dass dies bei indigenen Völkern ebenfalls die Regel war.… Mehr