Das Bürgergeld kennt keine Bürger

Hubertus Heils Bürgergeld demontiert die bürgerliche Vorstellung vom Sozialstaat, der nur demjenigen helfen sollte, der sich nicht selbst helfen kann. Es bekämpft außerdem nicht die Inflation, sondern treibt sie weiter an. 

IMAGO / Christian Spicker
Arbeitsminister Hubertus Heil besucht den Jobcenter Berlin Lichtenberg, 14.09.2022

Die Mogelei steckt schon im Begriff selbst. Vielleicht ist das Etablieren dieses Wortes „Bürgergeld“ sogar die größte Motivation derjenigen, die es einführen. In dem Kompositum sind also die „Arbeitslosen“ durch „Bürger“ ersetzt worden. 

Natürlich ist das eine Nebelkerze: Die Bürger, das waren einst in dem nach ihnen benannten Zeitalter gerade jene Menschen, die sich und ihren Angehörigen aus eigener wirtschaftlicher Kraft ein unabhängiges Leben in Wohlstand sichern konnten und sich dank einer Kombination aus materiellen und ethischen Werten – Eigentum und Freiheit als zentrale Säulen – auch den Anspruch auf politische Teilhabe gegenüber der damals sogenannten Obrigkeit erstritten. Nun aber wird nach Wunsch von Sozialminister Hubertus Heil diese bisherige Vorstellung vom „Bürger“ umgeprägt zur Bezeichnung der Empfänger sozialstaatlicher Unterstützung. Dieses Framing zielt darauf ab, das Empfangen von Staatsgeld zu normalisieren. 

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Und so wird es auch in den regierungstreuen Medien wahrgenommen: „Endlich ein bisschen weniger Angst vor Arbeitslosigkeit“, jubelt eine Autorin in der Zeit. Der Staat hat also nach dieser Sichtweise für ein Leben ohne finanzielle Ängste zu sorgen. Für immer mehr Geringverdiener bedeutet die Anhebung der staatlichen Zahlungen auf 502 Euro (für Alleinstehende, wozu bekanntlich noch zahlreiche zusätzliche Hilfszahlungen kommen können, nicht zuletzt die in diesen Zeiten besonders lukrative Übernahme der Heizungskosten) dann eben nicht weniger Angst vor Arbeitslosigkeit, sondern sogar einen Anreiz, das Arbeiten sein zu lassen, zumal wenn sie Kinder haben, denn für die gibt es zusätzliches Geld vom Amt. Genau diese Verletzung des Lohnabstandsgebots beklagt auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer.

„Das Bürgergeld führt Menschen nicht zurück in den Arbeitsmarkt“, stellt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fest. Und vermutlich ist das auch gar nicht das vorrangige Ziel der Bundesregierung. Auch wenn Heils Koalitionspartner von der FDP es bestreiten: Das Bürgergeld bedeutet, wie die bayrische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) kritisiert, „einen schleichenden Umbau hin zum bedingungslosen Grundeinkommen“. Die Bedingungen fallen (noch?) nicht ganz, werden aber deutlich gelockert. Bezeichnend für den Regierungsstil der Ampel ist auch hier die Sprachpolitik. Sie setzt ganz auf angenehme Gefühle mit Begriffen, die bislang eher im Liebes- und Familienleben Verwendung fanden: „Vertrauenszeit“ soll also künftig eine sechsmonatige Periode heißen, in der selbst offenkundige Fälle der Arbeitsverweigerung ohne Einschränkung der Hilfszahlungen von den Jobcentern hingenommen werden müssen. In Richtung bedingungsloses Grundeinkommen geht auch die zwei Jahre lange Hinnahme des Wohnens in teuren Wohnungen und die Freistellung von Vermögen.

Die Anhebung der Zahlungen wird in jüngster Zeit vor allem mit der galoppierenden Inflation begründet. Das hat natürlich für die konkret Betroffenen seine Berechtigung – auch wenn die Bürgergeldpläne inklusive Anhebung schon im Koalitionsvertrag stehen, also vor dem Anstieg der Teuerung datieren. Dass die Mehrausgaben dafür – rund 4,8 Milliarden Euro allein 2023 – anders als durch Neuverschuldung finanziert werden, ist höchst unwahrscheinlich. 

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In diesem Inflationsargument steckt eine für die gegenwärtige Sozialpolitik charakteristische Ignoranz gegenüber dem Grundproblem des expandierenden (Sozial-)Staates: Er produziert selbst das süße Gift der Inflation, wenn er schneller wächst als die Wirtschaft, indem er sich verschuldet und die Notenbank letztlich zur Erzeugung von Geld aus dem Nichts zwingt, dessen Nichtigkeit aber erst verspätet wirksam wird. Man muss sich immer wieder Ludwig Erhard vergegenwärtigen:

„Es ist ein grandioser Irrtum, wenn ein Volk oder ein Staat glaubt, eine inflationistische Politik einleiten und betreiben, sich aber gleichzeitig gegen deren Folgen absichern zu können. Dies kommt dem Versuch gleich, sich an den eigenen Haaren hochheben zu wollen. Es gilt umgekehrt, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, eine Inflation zu verhüten und jedes schuldhafte Verhalten, das zu einer inflationistischen Entwicklung führen könnte, vor der gesamten Öffentlichkeit zu brandmarken und dadurch zu verhindern. Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“ 

Genau dieses „an den eigenen Haaren hochheben“ betreibt die Bundesregierung mit dem Bürgergeld. Es ist nicht nur vergebliche Mühe, sondern verschärft das Problem noch. Dass ausgerechnet in dieser Phase der explodierenden Inflation der Staat in der Eurozone, der bislang als Grundpfeiler der Stabilität galt, nun in Taten und Worten seinen Umverteilungswillen belegt, ist nichts anderes als ein Booster für die weitere Teuerung. 

Sowohl in seinen Wirkungen als auch mit dem dahinter stehenden Gedankengut widerspricht das Bürgergeld fundamental der „bürger“lichen Vorstellung vom Sozialstaat, der nur demjenigen wirklich helfen sollte, der sich nicht selbst helfen kann. Das Bürgergeld signalisiert also gerade das Ende des Bürgerstaates. 


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Kommentare ( 70 )

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TomSchwarzenbek
2 Jahre her

Aber das müssen andere erst einmal erwirtschaften, durch Hände Arbeit. Ich war auch mal knapp bei Kasse, und glauben Sie mir, ich habe vieles gemacht, um an Geld und an Arbeit zu kommen. Jobs im Straßenbau, Kasse an der Tankstelle, Kurierfahrer für Arzneimittel, als Roadie, Autoteile ausgefahren, als Taxifahrer. Also kommen Sie mir bitte nicht mit Sorgen Ihrer Bürger. Ich meine dabei übrigens NIEMALS Kranke, oder die, die anderweitig nicht arbeiten können. Meine Oma hat übrigens mit vier Kindern auch alle möglichen Jobs gemacht, ohne Geld von der Gemeinschaft zu beantragen. Sie war, wie man früher sagte bei gut situierten… Mehr

Andreas aus E.
2 Jahre her

Bürgergeld ist das Geld, womit Bürger für die Eskapaden der Politik zu bürgen haben.
😉

Freigeistiger
2 Jahre her

Je mehr Bürger von staatlichen Leistungen abhängig sind, desto mächtiger fühlen sich Staat und Politik und desto ausufernder wird die Bürokratie. Die betreffenden Bürger sollen persönliche Freiheit gegen Sicherheit tauschen und sich der generösen Obrigkeit, von der man abhängig ist, brav beugen und möglichst jede Schikane willig hinnehmen. Aber:
Was nutzt der beste um umfassendste Sozialstaat, wenn immer neue Heerscharen hinein strömen und obendrein die Regierung dessen Basis: Wirtschaft und Steuereinnahmen, zerstört? Diesen Widerspruch ignorieren nur Ignoranten und sozialistische Ideologen – bis sie unweigerlich von der Realität eingeholt werden.

Last edited 2 Jahre her by Freigeistiger
HavemannmitMerkelBesuch
2 Jahre her

Wilhelm Anders – „Volksfront droht“ Ich empfehle jedem die Lektüre dieser hervorragenden Analyse der 1970er Jahre, Parallelen sind erschreckend. Es ist genau die Zeit kurz bevor ein Herr Scholz als solcher Jungmarxist einer pseudodemokratischen westlichen Sozialismuspartei am Pionierlagerfeuer der DDR mit Krenz und Aurich durchs ideologische Gestrüpp schlich und uns heute schließlich mit der ideologischen Resterampe in Verwirklichung beglücken darf – obwohl – siehe Umfragen – eigentlich niemand ihn Kanzler wollen würde. Wie erreichen also solche marxistischen Tarnkappenbomber Macht und Stellung, aus einst starken, freien, reichen estlichen Wohlstandsnationen die derzeitigen Katastrophenlandschaften zu erschaffen? Demokratisch ist das nicht, auch wenn eine… Mehr

Der-Michel
2 Jahre her

Verstehe ich das richtig, ein Schüler, der die Schule beendet hat und sich zuerst eine „Auszeit“ mit „Bürgergeld“ gönnt, erhält danach noch eine um 150 Euro / Monat erhöhte Ausbildungsvergütung? Oder wie soll ich diese „Belohnung“ für den Beginn einer Ausbildung verstehen?

Orlando M.
2 Jahre her

Heil ist auch Arbeitsminister aber für die wertschöpfend tätige Bevölkerung leistet der rein gar nichts, er fokussiert sich ausschließlich auf die Leistungsbezieher. Und zwar aus dem einen Grund, dass die bei den Wählern inklusive der Rentner eine 2/3 bis 3/4 Mehrheit darstellen. Und so kümmert sich Heil nur um die Wünsche der Stützeempfänger und Rentner, genau dafür wird er schließlich gewählt. Das läuft absolut unweigerlich auf dutzende Millionen Menschen mit den schönsten Ansprüchen an die Arbeit der andern hinaus aber einem ebenso zunehmenden Mangel an Lohnsklaven! Die Entwicklung ist längst im Gange, fähige Zerspanungsmechaniker, die mit CNC und manuellen Maschinen… Mehr

Mareike
2 Jahre her

Kann der Autor/die Redaktion bitte mal die Sache mit dem „bedingungslosen Grundeinkommen“ richtigstellen? Dieses „Bürgergeld“ bekommen ja nur diejenigen, die gewissen Voraussetzungen mitbringen, also grob gesagt, „wirtschaftlich schwach“ sind. Aber das bedingungslose Grundeinkommen bekommt jeder, ganz unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage! Die beiden Dinge sind nicht zu vergleichen und es ist gerade nicht so, dass das es mit dem „Bürgergeld“ in „Richtung bedingungsloses Grundeinkommen“ geht, es ist genau das Gegenteil!

Timur Andre
2 Jahre her

Um die Akzeptanz von digitalem Zentralbankgeld zu gewährleisten, muss die Anzahl der Bedürftigen hochschnellen. Diese sind bereit ihre „Freiheiten“ gegen Alimentierung einzutauschen.
Mehr H4s (Bürgergeld), mehr Prikäre, mehr Arbeitslose (ALG1) und schon hat man 40% und mehr.

giesemann
2 Jahre her

Ein Jubelfest für die Hyperfertilen in diesem Lande. Kritisierst du das, bist du Volksverhetzer, https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2018-N-58571?hl=true
Wer jetzt noch einen Finger rührt ist selber schuld.

Sidetrack
2 Jahre her

Zusammen mit ein paar gelben Abweichlern könnten die Konservativen das Ganze im BT / BR noch kippen, oder?