„Corona-Propaganda“: Ein Leopoldina-Philosoph bringt die Bundesregierung ins Wanken

Ein Missbrauchsvorwurf blamiert die Kanzlerin – und alle mit ihr Regierenden. Wen haben sie missbraucht? Die Wissenschaft. Damit entfällt die zentrale Rechtfertigung dieser Politik. Eine neue Phase der Krise zieht herauf.

IMAGO / Future Image

Es war eines der meist genannten Argumente der Kanzlerin dafür, dass ihre Corona-Politik auf wissenschaftlicher Expertise beruhe: Am 8. Dezember 2020 hatte die Nationale Akademie der Wissenschaften, kurz Leopoldina genannt, ein Papier veröffentlicht, in dem sie einen harten Lockdown vorschlug, um das Infektionsgeschehen in der Corona-Pandemie einzuschränken. Wenige Tage später beschlossen Bund und Länder genau das.

Doch die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung gerät jetzt immer stärker ins Wanken. Einen besonderen Stoß hat ihr nun ausgerechnet ein Mitglied der Leopoldina selbst versetzt, nämlich der Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld. Genauer gesagt: Es war die Bild-Zeitung – sonst eher nicht für ein großes Interesse an Wissenschaftsphilosophie bekannt –, die Esfeld unter der Überschrift „Regierung spannt Experten für Corona-Propaganda ein!“ ein breites Forum gab.

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Schon unmittelbar nach Erscheinen des Leopoldina-Papiers hatte Esfeld in einem Protestbrief an den Leopoldina-Präsidenten Haug seine „Bestürzung“ geäußert. Das Schreiben endet so: „In einer solchen Situation wissenschaftlicher und ethischer Kontroverse sollte die Leopoldina ihre Autorität nicht dazu verwenden, einseitige Stellungnahmen zu verfassen, die vorgeben, eine bestimmte politische Position wissenschaftlich zu untermauern. Ich möchte Sie daher höflichst bitten, die entsprechende Stellungnahme umgehend als Stellungnahme der Leopoldina zurückzuziehen.“

Die Wirklichkeit des Infektionsgeschehens des Winters bestätigt -– auch bescheinigt durch die WHO – die Skepsis von Esfeld, dass es „keine  wissenschaftlichen Erkenntnisse“ gebe, „die bestimmte politische Handlungsempfehlungen wie die eines Lockdowns rechtfertigen“.

In dem Schreiben Esfelds vom Dezember geht es um die Akademie, es ist eine Angelegenheit innerhalb des Wissenschaftssystems. Doch durch die Veröffentlichung in Bild ist daraus nun ein Politikum höchster Güte geworden: Es geht nun um die Bundesregierung und die Kanzlerin. Sie steht plötzlich als eine Kanzlerin da, die „Corona-Propaganda“ verbreitet. Das Wort impliziert zumindest in Deutschland politisches Lügen.

In der Corona-Pandemie wird nun unübersehbar: Wissenschaft hat für die Politik immer einen zweifachen Nutzen. Einen Nutzen für die sachliche Lösung des eigentlichen Problems – in diesem Fall die Begrenzung der Schäden durch das Virus – und einen anderen Nutzen für die Lösung des ewigen Politiker-Problems, das darin besteht, sich gegen Widerstände durchzusetzen und dabei an der Macht zu bleiben. Letzteres ist, was man Missbrauch nennen kann.

Die Experten werden von der Politik ausgesucht, nicht umgekehrt. Und die Politik berät sich nur mit denen, mit denen sie sich beraten will. Die Politik braucht die Wissenschaft, um das zu begründen, was sie tun will. Aber sie ist nicht willens oder auch gar nicht fähig, mit dem umzugehen, was zu Wissenschaft unbedingt dazu gehört, nämlich unterschiedliche, sich auch widersprechende Perspektiven und Ergebnisse. Politiker wollen, dass Forscher möglichst laut sagen: Das, was ihr wollt, ist wissenschaftlich erwiesen. 

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Das ist für Politiker einerseits in der schwierigen akuten Entscheidungssituation attraktiv, aber vor allem auch im Nachhinein zur Rechtfertigung des eigenen Handelns vor der Öffentlichkeit und zur Erleichterung der Last der Verantwortung. Es ist also – so muss man den Akteuren zubilligen – kein individueller, sondern ein struktureller Missbrauch, den Politiker wohl seit jeher mit der Wissenschaft treiben. Und: Es finden sich eben stets genug Wissenschaftler, die „sich willig missbrauchen lassen“, wie Esfeld seinen Leopoldina-Kollegen vorwirft.

Natürlich klappt dieses Politik-Wissenschaft-Zusammenspiel nur unter zwei Bedingungen: Erstens darf die Expertise der von Politikern ausgesuchten Wissenschaftler nicht allzu wirklichkeitsfern sein. Sie muss eben sachpolitisch wenigstens halbwegs funktionieren. Und zweitens muss die machtpolitische Rechtfertigungsfunktion der Wissenschaft glaubhaft hinter dem Schleier der politischen Sprache verborgen bleiben.

Beides ist nicht mehr der Fall. Für die Regierenden zieht eine neue Krise herauf, die für sie schon bald viel dramatischer werden kann als die eigentliche Pandemie: der Verlust ihrer Glaubwürdigkeit.

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Kommentare ( 78 )

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Vox critica
3 Jahre her

Leider ist dieses phlegmatische Wahlvolk weder willens noch fähig, diese unfähige Regierung in Rente zu schicken, ohne dabei eine politische Kraft zu stärken, die alles Falsche noch mehr eskalieren würde. Einige kluge Köpfe üben Widerstand, aber es kommt bei den Wählern nicht an.

bfwied
3 Jahre her

Sie haben leider recht! Dissertationen, die sich mit der Wirklichkeit beschäftigen, die nicht den Mainstream stützen, werden entweder nicht angenommen oder müssen so umgeschrieben werden, dass sie die Mainstreammeinung wenigstens teils unterstützen.
Wer bietet noch Vorträge und Vorlesungen, Seminar an, die eine nicht PC-gemäße Kritik vermuten lassen? Das Zwischen-den-Zeilen-Lesen ist längst wieder notwendig.

bfwied
3 Jahre her

Gott sei Dank kam dies raus! Leider wird dies, was Herr Knaus schreibt, kaum in einem anderen Medium verbreitet. Die Verquickung bzw. dieser Missbrauch ist in bald allen Wissenschaftsbereichen zu beklagen. Es gab und wird immer Wissenschaftler geben, die den Politikern nach dem Mund reden, Gutachten werden auch in den Erdwissenschaften indirekt in eine genehme Richtung gelenkt. Derzeit muss alles auf den – grundsätzlich immerfort präsenten – Klimawandel zurückgeführt werden, der aber nach medial verbreiteter Meinung und einigen willfährigen Wissenschaftlern – s. Hockeystick-Kurve – praktisch nie ablief! Jeder Hangrutsch, wie der gerade in Oberschwaben, ist „klimawandelbedingt“! Leute erklären, dass der… Mehr

teufelsknecht
3 Jahre her
Antworten an  bfwied

sehr schön am beispiel der württemberg badischen landschaft argumentiert.

Haerter
3 Jahre her

…der Verlust ihrer Glaubwürdigkeit. Welche Glaubwürdigkeit?

Peter Wichmann
3 Jahre her
Antworten an  Haerter

Wüßte ich auch gern, wie Herr Knauss es hinkriegt, im Zusammenhang mit Politikern, noch dazu mit „Regierenden“ Glaubwürdigkeit zu assoziieren.

PM99
3 Jahre her

Man darf eines nicht vergessen, die Leopoldina ist eine Versammlung honoriger, meist älterer Damen und Herren. Man fühlt sich gebauchpinselt, dort Mitglied zu sein und hochrangige Politiker zu treffen. So etwa wie ein Rotaryclub der Wissenschaft. Forschung wird dort im eigentlichen Sinne nicht betrieben, so wie auch der Bundespräsident eher repräsentiert als Politik macht. Aber da man eben sich geehrt fühlt, mit Merkel & Co in Kontakt zu stehen, von denen ein paar nette Worte zu hören, ist man gern bereit, der Politik auch einmal zu Willen zu sein und da setzen sich dann ein paar Leopoldinamitglieder zusammen vom Astrophysiker… Mehr

olympos
3 Jahre her

Wissenschaftler, Politiker, Journalisten, Polizisten sind die nuetzniesser des Systems. Diese vier Berufe sind an der untersten Skala angelangt. Ausnahmen ausgenohmen

MeHere
3 Jahre her

Bitte hört mir auf mir dieser pseudowissenschaftlichen Akademie und allen Geisteswissenschaftlern, die da Mitglied sind. So viel sinnloses und unlogisches Geblubbere was dort herauskommt – man könnte meinen die Kernkompetenz dort wären „Genderwissenschaften“ … und dann auch noch die ganzen Gefälligkeitsaussagen zu Gunsten der GroKo … furchtbar …. grausig … Fakt ist doch, dass man weder über Übertragungswege noch Ursprung oder Muration etwas weiß …

Dr. Michael Kubina
3 Jahre her

„Wissenschaftler“ sind die neuen Priester. Ihre Funktion ist nahezu identisch. Diese Wissenschaft wird genauso enden wie das Priestertum. Die Folgen werden ähnlich katastrophal sein.

wat nu
3 Jahre her

Welche Glaubwürdigkeit?

Sonny
3 Jahre her

Lieber Herr Knauss,
von welcher Glaubwürdigkeit sprechen sie?
Lesen Sie alleine nur die Wahlversprechen von Politikern und wie sie sich nach der Wahl positionieren. Schon da ist klar, dass Glaubwürdigkeit und Politikertum nicht zusammenpassen.
Richtiger wäre wohl die Frage, warum sich derart viele Menschen ohne jegliche Gewissensbisse und zu ihrem eigenen Nachteil immer wieder aufs Kreuz legen lassen.
Meine Erkenntnis geht jedenfalls in die Richtung, dass der Mensch an sich schrecklich dumm und leichtgläubig ist und das hat nur bedingt etwas mit Bildung zu tun. Ausnahmen von dieser Regel gibt es nur wenige.