Das Bundesverfassungsgericht folgte Drosten, dem auch die Bundesregierung folgte

Wenn die Praxis des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren Bundesnotbremse II Schule macht, kann sich die Bundesregierung die Urteile wohl demnächst selbst schreiben. Beide folgten schließlich derselben Expertise desselben Virologen: Christian Drosten. Andere Gutachter blieben weitgehend unerhört.

AFP/Getty Images

Einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus jüngerer Zeit sind bei der alten und der neuen Bundesregierung sicherlich mit großem Wohlgefallen aufgenommen worden. Das gilt wohl besonders auch für das Urteil zur „Bundesnotbremse II“, mit dem die Schulschließungen in der Pandemie nachträglich für rechtens erklärt wurden. Doch die Begründungen der Karlsruher Verfassungsrichter ziehen gerade bei dieser Entscheidung auch immer mehr Kritik und Zweifel an der Abgewogenheit der Verfahren auf sich. 

In der Tageszeitung Die Welt macht der Publizist Jörg Phil Friedrich nun darauf aufmerksam, dass sich das oberste deutsche Gericht in seiner Begründung fast nur auf einen Gutachter beruft, auf den sich die Bundesregierung selbst bei ihren gesetzlichen Regelungen für verpflichtende Schulschließungen in Kreisen mit einer Inzidenz von über 165 – salopp Bundesnotbremse II genannt – auch berief: Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin. 

Das Gericht hat nicht die Aufgabe zu entscheiden, ob politisches Handeln richtig oder falsch war, sondern ob die Politiker in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise gesetzgeberisch gehandelt haben. Aber um das ausgewogen beurteilen zu können,  müssen sie selbstverständlich auch andere Expertisen heranziehen als diese Politiker selbst. Man sollte also, wie Friedrich schreibt, „erwarten, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts, die als informierte Bürger und Zeitungsleser sicherlich auch die Bedeutung des Berliner Virologen für die politischen Entscheidungen kannten, dessen Äußerungen und Stellungnahmen besonders kritisch mit denen anderer Forscher abgleichen würden.“

Es gab im Verfahren natürlich auch andere Gutachten als das von Drosten. Die Drostensche These, wonach Kinder ebenso infektiös seien wie Erwachsene und aufgrund größerer Kontaktintensität zum Infektionsgeschehen wenigstens genauso, wenn nicht mehr beitragen, wurde etwa von Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité, in einem Gutachten im Auftrag der Beschwerdeführer ausführlich kritisiert. Man hätte angesichts der nicht von Drosten kommenden Gutachten plausibel zu dem Schluss kommen können, meint Friedrich, dass die Schulen wenigstens für die jüngeren Schüler offen gehalten werden müssen, weil einerseits gerade für sie der Verzicht auf Präsenzunterricht besonders gravierend ist und weil andererseits jüngere Kinder eben nach Ansicht der überwiegenden Zahl der Gutachter nur wenig zum Infektionsgeschehen beitragen.

Aber diese Kritik kommt im Beschluss nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht übernahm, wie Friedrich feststellt, in den entscheidenden Fragen nur die Argumente Drostens.

Wer nur dieselben Argumente desselben Experten anhört, wird auch zu denselben Schlüssen kommen. Das liegt auf der Hand. Unter dieser Bedingung könnte sich, salopp gesagt, die Bundesregierung das Urteil auch gleich selbst schreiben. 

Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts sind letztinstanzlich. Sie müssen von allen Bürgern und Institutionen akzeptiert werden. Aber darum müssen sie auch für alle akzeptabel sein und gerade deswegen ist es so wichtig, dass das Gericht nicht den geringsten Zweifel aufkommen lässt, dass es die ganze Breite der wissenschaftlichen Expertise in seine Entscheidungen einfließen lässt – wenn dies bei den regierenden und Gesetze beschließenden Politiker womöglich schon nicht immer der Fall ist. 

Anzeige

 

Unterstützung
oder

Kommentare ( 23 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

23 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
kiki667
3 Jahre her

Da sagen Sie was ….. die Bundesregierung könnte sich die Urteile gleich selbst schreiben. Und ich habe den Eindruck, dass genau das passiert ist, dass Harbarth einen Entwurf eines Regierungsberaters erhalten hat, den er übernommen hat, denn genau so liest sich das alles. Es wäre naiv zu glauben, dass der Kontakt Harbarths mit Merkel nur aus diesem Abendessen bestanden hätte.

Franz Reinartz
3 Jahre her

Aber wo ist das Problem, sehr geehrter Herr Knauss? Die Deutschen haben sich, soweit wir das wissen, schon immer auf einen Willen bezogen und sind ihm bedingungslos gefolgt. Da kannten sie und kennen nicht Parteien, nur noch Deutsche. Älteren ist das als Nibelungentreue bekannt. Das wird sich nicht ändern. Deutsche taugen nicht, frei zu sein. Das kam immer von außen, frei sein zu wollen, d.h. unter hausgemachtem Diktat zu leben. Es ist halt eben heuer zur seltenen Abwechslung mal ein Mediziner, dem sie nachlaufen.

Paul Brusselmans
3 Jahre her

Artikel 7 – EU Rechtsstaatsverfahren !

Nibelung
3 Jahre her

Eine Verfassung ist nur was wert, wenn sie dem Worte nach beachtet wird und dabei spielt es keine Rolle, wer es verdreht, denn diese Manipulation ist der Schwachpunkt bestehender Gesetzgebung und Grundlage für Begierlichkeiten all jener, die das Stopsignal umfahren wollen, wohlwissend das es so nicht richtig ist und es trotzdem ausführen. Das sind eben Methoden unzivilisierter Zeitgenossen und die gibt es in allen Schichten und weil sie sich für außergewöhnlich halten ist der Rechtsbruch ein probates Mittel um sich darüber hinweg zu setzen und das gleicht eben der berühmten Räuberbande, was einst ein großer Heiliger in diesem Zusammenhang schon… Mehr

Sonny
3 Jahre her

Zu glauben, dass das Bundesverfassungsgericht die einzige Institution wäre, die noch rechtsstaatlich agiert, ist schlichtweg total naiv.
Bei der Neubesetzung von Posten ist in der Vergangenheit peinlich darauf geachtet worden, die „richtigen“ Leute an die entscheidenden Stellen zu befördern. Dieses BVG ist weder unabhängig noch ehrbar.

MaximilianMueller
3 Jahre her

Wir leben in einer pervertierten Technokratie, in der Wissenschaft nur noch dazu dient, sich selbst zu legitimieren. Propagiert wird nur, was die eigene Ideologie stützt. Wer das nicht tut, den bezeichnet man als Spinner oder ignoriert ihn im besten Fall einfach.

Teiresias
3 Jahre her

Die braven Parteisoldaten des BVerfG setzen die Befehle der Parteizentralen um. Mit der Gewaltenteilung hat sich der Rechtsstaat erledigt.

merkelinfarkt
3 Jahre her

Schwache, nach politischem Proporz (mit Ausnahme der AfD) orientierte Besetzung; schwache, einseitig regierungsfreundliche Verhandlungsführung; sehr schwache, durchsichtige Begründungen und damit sehr schwache Urteile aus denen die politische Ideologie und Voreingenommenheit förmlich trieft.
Das in der Vergangenheit mit Scharfsinnigkeit und konsequentem Schutz der Bürgerrechte vor übergriffiger Executive verdiente, hohe Ansehen der Institution wurde mit wenigen Federstrichen leichtfertig und kichernd verspielt. Vergessen wir bis auf weiteres die Institution BVerfG. Sie ist für die elementaren, deutschen Bürgerreche leider so gut wie tot und eine Wiederauferstehung nicht in Sicht.

friedrich - wilhelm
3 Jahre her

……in den usa geht es durchaus auch gegen drosten in class action verfahren, die demnächst zur verurteilung kommen werden! darin geht es dann um milliarden dollar schadenersatz! ob drosten das bezahlen kann? mit den urteilsgründen und beweiswürdigungen geht es dann auch in deutschland oder international oder per sondergerichtsverfahren gegen die schädiger los! es wird niemand von diesen davonkommen!

3 Jahre her

Sollte die so genannte Regierung wirklich Prof. Dr. Drosten folgen? Es ist hinlänglich eine offenkundige Tatsache, dass der „ehrenwerte“ Prof. Dr. Drosten beim Institut für Virologie Campus Charitè beschäftigt ist und die Charitè wie von 1933-1945 auch heute sehr Regierungsnah (finanziell) abhängig sein soll. Somit wäre eine Meinungsgestaltung der Regierung über die Charitè durch Prof. Dr. Drosten auch heute denkbar. Auch die von Prof. Dr. Drosten vorhergesagten und nicht eingetretenen Grippenepedemien der letzten 12 Jahre einschließlich der Vogelgrippe (da warten die Vögel heute noch drauf) können über die Jahre eine gute Möglichkeit gewesen sein, die Sensibilisierung (Angststeuerung) der breiten einfachen… Mehr