Eine Mückenplage hatte der deutschen Mannschaft im EM-Quartier zu schaffen gemacht. Doch keine Aufregung! Das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Auswirkungen durch das „Renaturierungsgesetz“, das kürzlich unter breitem Beifall ökologischer und naturliebhabender Städter beschlossen wurde.
Deutschland ist bei der EM im eigenen Land ausgeschieden. Mit einem 2:1 nach Verlängerung hat es gegen den Viertelfinalsgegner Spanien nicht gereicht. Ob daran die „abartige Mückenplage“ schuld war, die das „naturbelassene EM-Quartier“ in Herzogenaurach überfallen hat, muss man noch sehen. Viele Spieler seien dort regelrecht „zerstochen“ worden, so Bundestrainer Julian Nagelsmann. Man habe sich in geschützte Räume zurückziehen müssen, Public Viewing im Freien war nicht mehr möglich.
Das Gelände, auf dem die Wohn-Gebäude für die Nationalmannschaft stehen, ist 1.400 Quadratmeter groß, und es soll eine „Oase im Grünen“ sein. Die Gemeinschaftsbereiche sind auf Freiluft ausgelegt. Die Spieler versammeln sich zum Fußballschauen um den Pool. Schöne Idee – doch die Praxis sticht dagegen. Torhüter Manuel Neuer wird mit den Worten zitiert: „Man sollte dafür sorgen, dass die Moskito-Schutznetze immer zu sind.“ Ausruhen konnten sich die Spieler nicht. Der Kakaoduft, der die Insekten vertreiben sollte, war für die Fußballer fast genauso unangenehm wie die Mücken.
Dieses Jahr würden besonders viele Mücken durch die Luft schwirren, so Medienberichte. Denn nach dem Hochwasser und aufgrund des schwülen Wetters ist die Stechmücken-Population besonders gestiegen. Eine ähnliche Mückenplage erleben in diesem Jahr auch Anrainer des Rheins in der Oberrheinischen Tiefebene. Viele Wiesen und Felder waren überschwemmt und sind es noch teilweise – ideale Brutstätten für Mücken.
„Zurück zur Natur“
Doch keine Aufregung bitte! Das ist das wahre „Zurück zur Natur“, zumindest ein kleiner Vorgeschmack. Ein Üben für das sogenannte Renaturierungsgesetz, das kürzlich unter breitem Beifall achso ökologischer und naturliebhabender Städter beschlossen wurde. Danach soll wieder damit angefangen werden, Landwirten Flächen wegzunehmen und frühere Moore zu vernässen.
Dabei waren die Leute früher froh, Moore trockengelegt, Flüsse geregelt zu haben. Damit waren auch Mückenplagen eingedämmt, Malaria verschwunden. Aber das wissen die Städter von heute nicht mehr.
Sie können dagegen lernen, Respekt vor den Wunderwerken der Natur walten zu lassen. Was haben die beispielsweise für raffinierte Werkzeuge entwickelt, um sich durch relativ dicke und feste Hautschichten zu bohren und Blut abzusaugen!
Die gemeine Stechmücke ist ein bewundernswertes Modell. Sie fliegt mit jenem typischen Summton an. Der kommt von jenen 400 Flügelschlägen pro Minute, mit denen die räuberische Mücke eine Landestelle sucht. Geruchssinne dienen ihr als Orientierungshilfe, die auf Kohlendioxid und einige Fettsäuren ansprechen. Etwa 10 Sekunden dauert die Suche nach einem passenden Blutgefäß.
Dann tritt ein raffiniert konstruierter Stechapparat in Aktion. Der fährt von Muskeln bewegt aus; an dessen Spitze befinden sich Sinnesorgane, die vermutlich für den Saugrüssel beim Auffinden geeigneter Hautstellen wichtig sind. Denn die Mücke muss ein kleines Blutgefäß finden – sehr rasch, bevor sie zerquetscht werden kann.
Sechs komplexe Nadeln stechen dann zu – wiederum bewegt von eigenen Muskeln, die den Apparat vor- und zurückziehen. Zwei dieser Nadeln sind mit zackenförmigen Strukturen ausgerüstet – wie bei einem elektrischen Küchenmesser, bei dem sich die Klingen gegeneinander bewegen. Die sägen in Windeseile ein Loch in die Haut. Die Mücke hat zuvor den Stechrüssel noch auf dem Objekt ihrer Begierde verankert, um sich festzuklammern und die Kräfte beim Anstechen auf die Haut übertragen zu können. Für eine kleine Mücke ein großer Kraftakt, in die recht stabile Haut eines Opfermenschen einzustechen und mit ihren Werkzeugen einzudringen.
Manche Stechinsekten schneiden die Haut wie eine Schere mit seitwärts gerichteten Bewegungen auseinander, und wiederum für andere hat sich das Bohrprinzip als geeignet erwiesen. Dabei dringen raspelförmige Strukturen mit Drehbewegungen in die Haut fremder Opfer ein. Jeder Heimwerker wäre entzückt.
Wunderwerk der Natur Stechmücke
Bei unserer Stechmücke halten zwei weitere Nadeln mit Haken wie bei einer Operation das Arbeitsgebiet offen für den eigentlichen Saugrüssel. Der fährt aus, durch ihn werden wie mit einem Strohhalm bis zu fünf Milligramm Blut abgesaugt. Es wurde sogar die Aufnahmerate bestimmt: 0,0016 µl pro Sekunde fließen durch den Saugrüssel in die Mücke. Ebenfalls ein optimierter Prozess: Die Stechrüssel sollten möglichst dünn sein, damit sie in die Haut gestochen werden können, müssen auf der anderen Seite weit genug sein, damit in möglichst kurzer Zeit viel Blut abgesaugt werden kann.
Für diesen Saugvorgang wiederum ist eine eigene Pumpe notwendig. Winzige Muskeln pressen einen Hohlraum im Kopf der Mücke zusammen und ziehen wieder auseinander. Es sind sogar zwei solcher Blutpumpen hintereinander gebaut, damit das Blut schnell und vor allem kontinuierlich aus dem Opfer herausgesaugt werden kann.
Doch das Blut würde ohne einen chemischen Trick rasch gerinnen und den Saugrüssel verstopfen. Denn der Durchmesser eines Saugrohres ist häufig nicht größer als der einer Blutzelle. Da kann leicht etwas verklemmen, wenn sich eine Blutzelle querstellt. Durch eine weitere Nadel presst also unsere Mücke mit einer weiteren Pumpe ein wenig Speichel in die Wunde. Der verhindert mit einem Antikoagulans, dass das Blut gerinnt, und senkt gleichzeitig das Schmerzempfinden der Opfer herab, damit das nicht sofort merkt, wer da an ihm herumstochert.
Dieser Speichel wiederum ruft bei den meisten Menschen eine allergische Reaktion hervor, die mehr oder weniger stark juckt. Allerdings erst mit Verzögerung, bevor man merkt, dass man gestochen wird und die Mücke erschlagen kann. Im Hinterleib des Mückenweibchens wird das Blut gespeichert, der schwillt an und färbt sich rot. Sensoren signalisieren: genug. Der Stechapparat muss nach getaner Tat wieder zurückgezogen werden, das geschieht durch Vor- und Rückbewegungen mit Hilfe ihrer Bein- und Nackenmuskeln. Den Stechapparat in Ruhestellung schützt ein lippenförmiger Rand, der sich schützend darüber wölbt; die Mücke achtet also auf ihr Werkzeug.
Die Mücke nimmt mithilfe des Saugapparates etwa das Dreifache des eigenen Körpergewichts an Blut auf, eine beachtliche Leistung. Doch mit diesem Gewicht kann sie nicht lange fliegen, sucht deshalb möglichst schnell eine senkrechte Fläche auf und klammert sich daran fest – immer mit dem Hinterleib nach unten. So trennt die Schwerkraft Blut vom Wasser. Das wird ausgeschieden, lediglich das Eiweiß benötigt sie für die Produktion neuer Eier. Es sind nur die Weibchen auf der Suche nach Blut, das sie für ihre Eier benötigt.
„Die von Insekten und anderen Arthropoden übertragenen Krankheiten können die Lebenserwartung eines Menschen entscheidend verkürzen, sie sind für enorme humanitäre Probleme verantwortlich und verursachen exorbitante medizinische Kosten, die das ökonomische Potenzial und die gesellschaftliche Entwicklung einer Region entscheidend beeinflussen können. Blutsaugende Insekten und Milben stellen somit ein globales Problem dar, und ihre Mundwerkzeuge sind die wesentlichen Organe, mit denen diese Tiere Nahrung aufnehmen und die Krankheitserreger und Parasiten übertragen.“ Dies stellte nüchtern der Zoologe Prof. Harald W. Krenn fest, der diese Mundwerkzeuge bei Insekten untersucht und beschrieben hat.
Malaria-Opfer Alexander
Auf 190 Millionen Jahre schätzen Wissenschaftler das Alter der Stechmücken. Mit dabei: Die Anophelesmücke, die mit der Malaria eine der ältesten und häufigsten Infektionskrankheiten der Welt überträgt. Sie vor allem schrieb und schreibt Geschichte. Denn sie beeinflusste den Ausgang von Schlachten und trug zum Aufstieg beispielsweise von Griechenland und des alten Roms bei – ebenso wie zu ihrem Untergang. Keine noch so großen Heere und Gegner und schwere Verwundungen brachten Alexander den Großen um, sondern die unscheinbare kleine Mücke, die ihn beim Durchqueren von Sümpfen in Babylon gestochen und den Parasiten Plasmodium flaciparum übertragen hatte. Am 11. Juni 323 vor Christus starb er im Alter von 32 Jahren an der Malaria.
Als goldenes Zeitalter wird der Zeitraum im fünften Jahrhundert vor Christus häufig bezeichnet. Vor allem in Athen entstanden zahlreiche Innovationen im Bereich der Architektur, Naturwissenschaft, Philosophie, im Theater und in der Kunst. Das war die Zeit, als Sokrates, Platon und Thukydides im peloponnesischen Krieg für Athen kämpften. Doch dieses goldene Zeitalter endete abrupt nach dem Peloponnesischen Krieg, bei dem die Anophelesmücke eine entscheidende Rolle spielte.
Kaum erstaunlich, dass alle großen griechischen Dichter jener Zeit wie Sophokles, Aristophanes und sogar Platon und Aristoteles die Malaria erwähnten. Mit einem angeschwollenen Sumpf verglich Platon beispielsweise den Malaria befallenen menschlichen Körper. Homer, der griechische Dichter, erwähnt die Malaria in der Ilias, als er über den Herbst schreibt: „Denn er bringt ausdörrende Glut den elenden Menschen.“ Das war bereits 750 vor Christus.
Es breiteten sich immer wieder Malariaepidemien ungeheuren Ausmaßes aus, die die griechische Bevölkerung dezimierten und die militärische Stärke untergruben. Diese Epidemien waren schließlich dafür verantwortlich, dass der wirtschaftliche Einfluss Athens sank und sich das Zentrum der Zivilisation weiter nach Westen verlagerte. Für Wissenschaftler wie den Zoologen John Leonard Cloudsley-Thompson waren die Stechmücken mit ihrer todbringenden Last Malaria genauso bedrohlich und tödlich wie die feindlichen Soldaten.
Hippokrates, der als erster Krankheit nicht mehr als religiöse Strafe der Götter begriff, beobachtete und beschrieb die Malaria als die „schlimmste und schmerzliche aller vorkommenden Krankheiten“ sehr genau und konnte sie von anderen Fieberkrankheiten sehr detailliert unterscheiden. Ihm fiel auch das saisonale Auftreten im Sommer und Frühherbst auf, dann, wenn sie unterwegs waren, die Mücken.
Stechmückenparadies Pontinische Sümpfe
Doch erkannten Hippokrates und andere Heilkundige sogar bis in das 19. Jahrhundert nicht, dass sie die Ursachen für die schlimme Krankheit war. Sie alle glaubten, dass die Malaria aus giftigen Gasen herrührt, die aus Sümpfen, Mooren und Feuchtgebieten aufsteigen. Das ist auch der Ursprung der Name Malaria, der im Italienischen wörtlich „schlechte Luft“ heißt. Denn südlich von Rom lagen die legendären rund 800 Quadratkilometer großen Pontinischen Sümpfe. Sie verbreiteten jahrtausendelang Angst und Schrecken; Legionen von blutsaugenden Stechmücken überfielen jeden, der sich dort aufhielt. Und: Sie bewachten Rom fast genauso gut wie eine Armee. Sie verteidigte die Stadt zum Beispiel gegen Hannibal und seine Truppen.
Nicht umsonst wird von „General Anopheles“ gesprochen. Rom galt als Malariahauptstadt Europas. Caesar wollte die Sümpfe trockenlegen. Das schaffte aber erst 2.000 Jahre später ein anderer Diktator: Mussolini. Der ließ ein dichtes Netz von Kanälen in die pontinische Ebene graben, damit gelang die Trockenlegung und damit, den Sümpfen 770 Quadratkilometer Landwirtschaftsland abzutrotzen. Heute gehört die Region zu den wichtigsten europäischen Landschaften mit Obst- und Gemüseanbau.
Und das alles nur, weil Stechmückenweibchen auf der Suche nach Blut sind. Mit dieser Strategie und ausgefeilten Werkzeugen haben die Mücken Millionen von Jahren überlebt. Es gibt sogar Forscher, die das Aussterben der Dinosaurier Mücken und durch sie übertragenen Krankheiten zuschreiben.
Auch in Deutschland gehörte die Malaria zu den gefürchteten Krankheiten. Betroffen davon war übrigens auch Friedrich Schiller. Der Dichter musste 1783 nach seinem Theaterstück „Die Räuber“ aus Württemberg nach Mannheim fliehen; er hatte für ein Jahr einen Vertrag als Theaterschriftsteller bekommen. Zu dieser Zeit wütete wieder einmal eine Malaria-Epidemie in der Rheinebene. Allein in Mannheim sollen 2.000 Einwohner gestorben sein. Auch Schiller erkrankte im Alter von 24 Jahren und hatte zeitlebens mit der Erkrankung zu kämpfen.
1826/1827 waren in Teilen Schleswig-Holsteins 30 Prozent der Bevölkerung mit Malaria infiziert. Die Malaria war – daran muss wieder erinnert werden – in Mitteleuropa heimisch. Erst als der badische Ingenieur Johann Gottfried Tulla 1809 die Begradigung der durch die oberrheinische Tiefebene mäandrierenden Rheinarme initiierte, verschwanden zum großen Teil jene Sumpfgebiete und mit ihnen auch die Malariamücken. Trockengelegte Sümpfe und Moorgebiete, geregelte Flüsse und der Bau von Kanalisationen – all dies bedeutete Fortschritt. Die Brutstätten der Mücken wurden zerstört und führten dazu, dass die Malaria verschwand. 1974 wurde sie in Europa für ausgerottet erklärt. Es scheint, als sei diese Erfahrung weitgehend vergessen.
Erst mit Austrocknen von Gewässern wie Altrheinarmen und Mooren wurde also das Problem beseitigt. Darüber waren Menschen froh – früher, als es noch keine Grünen gab. Jetzt soll es wieder heißen: zurück in vergangene Jahrhunderte. Das wären die Folgen des Renaturierungsgesetzes, dem so viele zujubeln. Jetzt wünschen umweltschützende Städter nichts sehnlicher als eine Wiedervernässung von Mooren. Das ergibt prächtige neue Brutstätten für Mücke & Co. „Zurück zur Natur“ klingt doch so nett und unbedarft. Doch die Natur ist nicht nett.
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