Die Corona-Maßnahmen hatten gravierende, negative Folgen für den Schulunterricht. Kindern und Jugendlichen wurden erhebliche Anteile an schulischer Bildung vorenthalten. Doch mit guten Noten auf den Zeugnissen werden diese kaschiert.
In wenigen Tagen werden mit Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland die letzten fünf deutschen Länder in die Sommerferien gestartet sein. Für allerdings nur knapp zwei Wochen ist dann Ruhe in Deutschlands Schulen, denn am 10. August beginnt in Nordrhein-Westfalen bereits das neue Schuljahr 2022/2023.
Wir wollen hier noch keinen Ausblick ins neue Schuljahr wagen, sondern im Rückblick auf das abgelaufene Schuljahr 2021/22 ein paar Beobachtungen und Bewertungen vornehmen. Wovon war dieses Schuljahr geprägt?
Kollateralschäden der „Corona“-Maßnahmen
Das zurückliegende Schuljahr war das dritte Corona-Schuljahr. „Corona“ begann im März 2020, also etwa zur „Halbzeit“ des Schuljahres 2019/2020. Bislang sind es also zweieinhalb von Corona beeinträchtige Schuljahre geworden. Das hatte für die rund zehn Millionen Schüler in Deutschlands Schulen gravierende Auswirkungen. Je jünger die Schüler, desto gravierender: Zum einen bekamen die Schüler auch im jetzt abgelaufenen Schuljahr wegen Schulschließungen – je nach Region – wieder Hunderte von Stunden Präsenzunterricht nicht erteilt. Je jünger die Schüler, desto weniger konnte dieser Ausfall von digitalisiertem Homeschooling ausgeglichen werden.
Fazit: Unseren Kindern und Jugendlichen wurden erhebliche Anteile an schulischer Bildung vorenthalten. Das wiederum hatte besonders gravierende Auswirkungen auf die Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten und auf Kinder aus Migrantenfamilien, die solchermaßen wochenlang oft kein Wort Deutsch mehr sprachen und hörten.
Ob die Schulschließungen hier die richtige Maßnahme waren, mag man unterschiedlich beurteilen. Selbst als Maßnahme gegen die Pandemie ist ihre Wirkung fraglich. Die „Kollateralschäden“ für die überwältigende Zahl der Schüler werden und wurden nicht mitbedacht. Jedenfalls waren im Januar 2022 „nur“ 2,35 Prozent der Schüler infiziert und 1,50 Prozent in Quarantäne.
Auch der Sachverständigenrat, der kürzlich, am 1. Juli 2022, sein Gutachten über die Wirksamkeit der „Corona“-Maßnahmen vorgelegt hat, zweifelt. Wörtlich heißt es im 160 Seiten umfassenden Gutachten (Titel: „Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik“) zu „Schulschließungen“: „Die genaue Wirksamkeit von Schulschließungen auf die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus ist trotz biologischer Plausibilität und zahlreicher Studien weiterhin offen …“
Unschöne Testbilanzen
Zum dritten Mal nach 2011 und 2016 waren die Leistungen der Schüler der 4. Klasse 2021 in Deutsch und Mathematik getestet worden. Der angewendete standardisierte Test heißt IQB-Bildungstrend (IQB = Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin). Getestet wurden 26.844 Schülerinnen und Schüler. Nun wurden Anfang Juli 2022 die ersten Ergebnisse bekannt. Zentrales Ergebnis: Signifikant weniger Viertklässler erreichten 2021 in Deutsch und Mathematik im Vergleich zu 2011 und 2016 die (ohnehin schon niedrig angesetzten!) Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK). Und was hat die Politik dazu zu sagen? Ausreden: Die Schulschließungen in der Corona-Zeit hätten, so KMK-Sprecher, die Schüler in ihrer sozialen Entwicklung und in ihrem Lernerfolg zurückgeworfen.
Klar, wenn die Kinder seit Frühjahr 2020 bis zu einem kompletten Schuljahr an Präsenzunterricht versäumt haben, wenn Kinder mit Migrationshintergrund wochenlang kein deutsches Wort mehr hörten, dann muss sich das niederschlagen. ABER: Corona ist das eine. Das andere ist, dass die Grundschule, um die es hier geht, kaputtreformiert wurde. Es ging immer weniger um Erfolgsorientierung, sondern im Sinne von „Lebensraum Schule“ um Erlebnisorientierung. Will sagen: Die „Grund“-Schule legt nicht mehr den Grund für eine nachfolgende Bildungslaufbahn.
Noch eine andere Studie fiel Ende Juni 2022 auf: eine Studie über die Schreibfertigkeiten der Schüler. Das Hauptergebnis: „Schüler können nicht mehr richtig schreiben.“ Basis für diese prekäre Diagnose ist die „STEP“-Studie 2022 (Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben) des Schreibmotorik-Instituts in Heroldsberg bei Nürnberg. Hier die wichtigsten Ergebnisse: Im Primarbereich sind 31 Prozent der Lehrer, im Sekundarbereich 51 Prozent mit der Handschrift der Schüler nicht zufrieden. 51 Prozent der Jungen und 30 Prozent der Mädchen haben Probleme mit der Handschrift. Fast die Hälfte der Schüler können nicht 30 Minuten und länger beschwerdefrei schreiben. Und: Vielfach ist das Geschriebene selbst für erfahrene Lehrkräfte nicht mehr lesbar. Siehe hier.
Deutschland im Einser-Abitur-Rausch
2022 gab es für rund 250.000 junge Leute ein Zeugnis Allgemeiner Hochschulreife und für rund 150.000 ein Zeugnis der Fachhochschulreife oder der fachgebundenen Hochschulreife. Insgesamt also rund 400.000 junge Leute, die danach studieren dürfen. Nicht ganz so viele – etwa 370.000 – verlassen die Schule ohne Studierberechtigung: Hauptschüler, Gesamtschüler, Mittelschüler, Realschüler, Berufsschüler. Das heißt: Mehr als die Hälfte der jungen Leute erwirbt eine Studierberechtigung. Müsste man angesichts solcher Zahlen nicht ins Grübeln kommen? Schließlich klagen die Hochschulen immer häufiger über die zum Teil defizitäre Studierbefähigung ihrer Studienanfänger.
Dennoch: Deutschlands Schulen, Schulabsolventen, Schülereltern, Lehrerkollegien und Schulträger sind auch 2022 Ende Juni fast im euphorischen Delir. Wer sich Lokalzeitungen aus x-beliebigen Regionen zur Hand nimmt, der findet in der Berichterstattung über die örtlichen Abschlussfeiern Jubelmeldungen noch und noch: „Unser Jahrgang hat diesmal einen Abiturnotenschnitt von 1,94“. „In diesem Abiturjahrgang haben 55 Prozent eine Eins vor der Kommanote“. „Zehn-Prozent erzielten ein 1,0-Traumabitur“. Und: „Keiner ist durchgefallen.“ Manchmal rühmen sich Bundesländer, dass das ganze Land einen Abiturschnitt von 2,11 (hier das angeblich so strenge Bayern) im Schnitt über alle Schüler hinweg erzielt! Das war früher ein Spitzenabitur eines einzelnen Schülers!
Aber sind unsere Schulabgänger wirklich so gut? Nein! Denn man hat die Ansprüche abgesenkt – zuletzt aus zwei Gründen: Die verkorkste und weitgehend wieder zurückgenommene Verkürzung der Gymnasialzeit von 9 auf 8 Jahre sollte unbedingt beweisen, dass das verkürzte Gymnasium spitze ist. Und ab 2020 kam hinzu: Die Abiturienten sollten nicht unter den Corona-bedingten Schulschließungen leiden. Also senkte man auch die Anforderungen. Man tat das nicht nur bei der eigentlichen Abiturprüfung, die ja bekanntermaßen nur etwa ein Drittel der Abiturgesamtwertung ausmacht. Man tat es vor allem bei den Prüfungen während der letzten vier Schulhalbjahre, die ja kaum den Standards einer landesweiten Zentralprüfung unterliegen – aber rund zwei Drittel der Gesamtnote ausmachen.
Eines jedenfalls dürfte klar sein: Wenn alle ein Einser-Abitur haben, hat zukünftig keiner ein Einser-Abitur. Dann ersetzen die Hochschulen das Abitur durch ein Aditur – eine eigene Zugangsprüfung. Oder mathematisch ausgedrückt: Qualität und Quote verhalten sich reziprok. Je höher eine Quote, zum Beispiel eine Abitur-Quote, desto schwächer die Qualität, die dahintersteckt. Ein Abitur light, ein Discount-Abitur hilft niemandem.
Abschlussfrage: Was heißt das für die Bildungsnation? Antwort: Sie befindet sich im freien Fall, aber die Bordkapelle spielt weiter schöne Weisen.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Fakt ist, dass die Mehrzahl der heutigen Schüler gar keinen Abschluss erhalten dürften wenn man die festgesetzten Standards einhielte. Dann bricht das Bildungssystem aber ganz zusammen. Also verschleppt man den Kollaps indem eben jeder durchgewunken wird. An den Unis ist es dann nicht anders, denn die Masse der Unfähigen wird ja noch oben gespült.
Das war bereits vor Corona so. Wir reden hier von Leuten die mit 18 noch nicht richtig lesen oder schreiben können. Wie soll so jemand eine Ausbildung machen? Wo soll man so jemanden beschäftigen?
Man sollte auch die Einführung des Kurssystems erwähnen. Es wurde inzwischen modifiziert.
Aber in den Anfängen wurden Schüler zu messerscharf kalkulierenden Krämern: ich wähle dies und das ab – dann komme ich auf den gewünschten Notendurchschnitt.
Leistungsmessung und -bewertung nehmen überhaupt nach meinem Eindruck heute einen viel zu großen Raum ein.
Die meisten Schüler wissen sich sehr gut selbst einzuordnen und haben noch immer am liebsten eine schlichte Note.
50 %? Keine 10, egal bei welcher Schulart. Es geht schon bei der Optik los – kurze Hosen, barfuß in furchtbaren Sandalen, tätowiert (junge Männer , aber auch reife Damen!), kaum Manieren), unglaublich schlampige Klassenzimmer (auch in renovierten Schulhäusern) …. die Reihe ließe sich fortsetzen.
Barfuß liefen wir von Mai bis Oktober, allerdings untätowiert und …
Herr Goergen, spielen Sie mal Mäuschen an deutschen Schulen. Was und wie dort von Lehrerseite herumgelaufen wird, ist teilweise unbeschreiblich. Von ungepflegt, zumindest nachlässig bis auffälligem Körpergeruch (Fahrrad-Fanatiker) und tatsächlich barfuß – auch in der kälteren Jahreszeit – auf dem Tisch sitzend war alles dabei. Beschwerden von Seiten der Elternschaft wurden umgehend an die Kinder in Form von Lehrermobbing durch kreative Anpassung der mündlichen Noten weitergereicht. In BW fließen mündliche Noten zu 50 Prozent in die Endzensur ein. Diese sind auch nicht justiziabel, also ein willkommenes Instrument zur Abstrafung unbotmäßiger Schüler und deren Eltern.
Vorwärts ins Mittelalter. Bildung ist Macht, das wußten schon die adligen im Mittelalter, konnten deshalb überwiegend lesen und schreiben. Das Volk wurde dumm gehalten. Genauso passiert es jetzt wieder damit das Volk nicht hinter die Kulissen schauen kann. Es ist erschütternd was aus einem einst so stolzen Volk gemacht wurde.
So tragisch sind die Bildungsdefizite nun auch wieder nicht, wenn man den Unsinn hört, den bevorzugt Leute mit höheren Bildungsabschlüssen von sich geben und welche Wahlentscheidungen sie treffen. Menschen mit einer geringeren Schulbildung legen dagegen fast regelmässig eine realistischere Weltsicht an den Tag und hegen ein grösseres Misstrauen gegenüber der Politik sowie den vermeintlichen Eliten.
Prüfungsfrage Mittlere Reife in Berlin, früher der Einstieg in die Banker, Kaufmann- oder Verwaltungslehre. „Bilden Sie die größte dreistellige Zahl aus den Ziffern 2, 3 und 6“
Den meisten Lehrern/Schuleitung ist es egal, sie müssen die Erwartungen des Regierungspräsidiums/Oberschulamtes erfüllen und sie unterliegen dem Bildungsplan („Kompetenzen“) – alles kann, nichts muss. Kinder merken sehr wohl, dass die Bewertung ungerecht/zu gut war, aber ab einem bestimmten Punkt zählt das nicht mehr, der Notenschnitt wird wichtig. Die meisten Eltern freuen sich über gute Noten und hinterfragen nichts.
In der NS Zeit gab es die „Adolf-Hitler Schulen“ deren Leistungsniveau eher schwach war aber dafür war der Name Programm. Die Haltungsnoten zählten. Vor 40 Jahren, zu meiner Abiturientenzeit, war es ein offenes Geheimnis dass man auf katholischen Konfessionsschulen goldene Brücken in Sachen Benotung gebaut bekam wenn man durchblicken ließ dass man anschließend ein Priesterseminar besuchen will. Auf den US-Unis werden guten Sportlern die Noten für Geistesleistungen anscheinend auch mehr oder weniger geschenkt, wenn dadurch die Uni einen begehrten Sportpreis abräumen kann…. usw. Dass was unsere Gesellschaft stark machte, nämlich wertfreie Bildung, ist unter den Karren gekommen, den Grünen…
Irgendwann um 2000 herum wurde das Prinzip Quantität anstatt Qualität beim Bildungssystem eingeführt. Dass die damit verbundene Anforderungsverzwergung auch direkt zu einer Leistungsverzwergung führt, ist heutigen Sozialisten nicht klarzumachen. Die sind so perfekt im Ignorieren von Tatsachen wie die Papstkommission, die sich einfach weigerte durch Galileos Fernglas zu blicken.
Das Abiturstandards in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich sind, ist das Eine, das Andere jedoch ist, dass die Bewertungen der abgelieferten Leistung eben auch von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich ausfallen. So zählen Sch-Holstein und Niedersachen mittlerweile zu den Bundesländern, wo es deutlich schwieriger geworden ist ein 1-Abitur zu erreichen als z.B. in Thüringen, Bremen oder Berlin. Selbst Bayern hat seinen einstmals hohen Standard eingebüßt. Leider wird es dann jedoch ungerecht, wenn es um die raren Studienplätze mit hohem Numerus Clausus geht. Deshalb: Weg mit den Bildungsföderalismus, hin zu einem einheitlichen, bundesweiten Abitur mit einheitlichen, nachvollziehbaren Bewertungskriterien und bitte nicht als… Mehr