Markus Söder und andere politische Wendehälse

Im Gegensatz zur gleichnamigen Vogel-Art ist der politische Wendehals auch 30 Jahre nach seiner Blütezeit nicht vom Aussterben bedroht. Ein besonders erfolgreiches Individuum dieser Art ist der bayerische Ministerpräsident und Möchtegern-Bundeskanzler Markus Söder.

imago images / Metodi Popow
Markus Söder

Der Wendehals ist ein mit Spechten verwandter Zugvogel der Gattung „Jynx“. Er kommt hauptsächlich in Afrika und im fernen Asien vor. Wie seine nahen Verwandten ist er ein Höhlenbrüter, der kein eigenes Nest baut. In Europa und zumal in Deutschland gibt es ihn auch, allerdings sorgen sich Ornithologen um den weiteren Bestand. 

Allein aus diesen wenigen Fakten ließe sich so manche politische Parallele ziehen: ideelle und programmatische Wendigkeit, Niederlassung in Nestern, die man selbst nicht gebaut hat – allerdings mit einem wichtigen Unterschied: Der politische Wendehals ist nicht im Bestand gefährdet, sondern breitet sich sogar noch aus.

Bleiben wir bei der Politik. Die zwölf Monate von Oktober 1989 bis Oktober 1990 waren die Hoch-Zeit der Wendehälse. Es waren die vormals kernig Linientreuen in Ost und West, die plötzlich und „überzeugt“ ihre neuen Grundsätze entdeckten und vor sich hertrugen. 

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Im Westen waren es diejenigen, die noch bis ins Jahr 1989 hinein vor einer Wiedervereinigung gewarnt hatten, um dann im Herbst 1989 inbrünstig zu erklären: „Es wächst zusammen, was zusammengehört“ (Willy Brandt). Aber es hatte kaum ein West-Linker an die Wiedervereinigung geglaubt, keiner wollte sie. Zumindest war davon vor 1989 kaum je etwas zu hören oder zu lesen.

Unübersehbar war dagegen das SPD-SED-Dialog-Papier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ vom 27. August 1987. In ihm bestätigten sich beide Seiten nicht nur ihre gegenseitige Existenzberechtigung, sondern auch ihre Reformfähigkeit und Friedensfähigkeit. Willy Brandt (SPD) erklärte in einer Rede am 14. September 1988 die Wiedervereinigung zur „Lebenslüge der zweiten deutschen Republik.“ Oskar Lafontaine, SPD-Kanzlerkandidat von 1990, tat sich im Herbst 1989 angesichts des Massenexodus aus der DDR mit der Forderung hervor, man möge diese Deutschen doch zwingen, in der DDR zu bleiben. Gerhard Schröder (SPD) hielt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 27. September 1989 eine auf Wiedervereinigung gerichtete Politik für „reaktionär und hochgradig gefährlich„.

Im Osten waren es die bislang überzeugten Kadersozialisten der SED, die ihre Köpfe plötzlich dorthin drehten, wo man es sich politisch oder ökonomisch erneut bequem machen konnte. Opportunismus war angesagt – von einer vormaligen FDJ-Sekretärin namens Angela Merkel bis hin zu einem SED/PDS-Vorsitzenden Gregor Gysi. Und damit bei so manchem, der in den Macht- und Spitzelapparat der DDR verstrickt war, keinerlei Vergangenheitsbewältigung stattfinden konnte, wurden schnell noch tonnenweise Stasi-Unterlagen vernichtet.

Geschichte wiederholt sich nicht? Doch, in irgendeiner Form tagtäglich, denn der alte Adam bleibt der alte, wendige Adam. In vielen seiner Exemplare ist er ein windiger Zeitgenosse, der jeden Morgen aufsteht, um den nassen Finger in den Wind zu halten und zu spüren, wohin man sein Fähnchen oder auch eine weiße Flagge  hängen soll.

Von Ostdeutschen ausgebürgert
Angela Merkel erinnert sich beim Regieren an die DDR
Von einem vormaligen bayerischen Ministerpräsidenten und jetzigen Bundesinnenminister Horst Seehofer sagt man das. Für ihn hat sich selbst in Parteikreisen längst der Name „Drehhofer“ eingeprägt. Im Spätherbst 2015 machte er Merkel wegen der von ihr angeordneten totalen Grenzöffnung auf offener Bühne zur Minna; eine „Herrschaft des Unrechts“ warf er ihr vor, nach Karlsruhe wollte er gehen. Aber dieser ephemere Anfall von Mut war schnell verrauscht und verraucht. Bald praktizierte Seehofer den Kotau vor der Kanzlerin.

Dann bekam Seehofer als Ministerpräsident und als CSU-Vorsitzender den Nachfolger Markus Söder. Es schien so, dass nun die Zeit der Drehhofereien vorbei sei. Es schien so. Jetzt, irgendwie passend zum 3. Oktober, hört sich das anders an. In einem Interview für eine Biographie (Titel „Markus Söder – der Schattenkanzler“), die zwei Journalisten der Süddeutschen Zeitung verfasst haben, gibt er folgendes zum besten: Er bereue sein eigenes Verhalten gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel im Streit um die deutsche Asylpolitik. Wörtlich: „Wir haben zur Verschärfung des Streits beigetragen – auch ich. Ich habe mich dann aber auch korrigiert.“ Und weiter: Durch die erbitterte Auseinandersetzung mit Merkel sei der Eindruck entstanden, wir stünden mehr „auf der dunklen Seite der Macht“. Das habe sich einfach nicht gut angefühlt. Söder bedauerte ferner den „Kreuzerlass“ vom April 2018. Damals hatte er angeordnet, dass im Eingangsbereich jeder Landesbehörde ein Kruzifix hängen solle. Jetzt hört man aus dem Munde Söders etwas anderes: „Manches würde ich heute anders machen, gerade auch in der Form.“ Bayern sei ein liberal-konservatives Land. Die CSU dürfe sich nicht auf das Konservative verengen. 

Nach diesen Äußerungen haben jedenfalls diejenigen keinen Grund zu verstummen, die in Söder einen Seehofer 2.0 sehen, die eine Ergrünung Söders diagnostizieren und Söders Wunsch nach schwarz-grünen Koalitionen im Bund und in Bayern erahnen. Ach ja, das sei in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Söder will bis 2035 ein Aus für den Verbrennungsmotor.

Übrigens gab es das Wort „Wendehals“ im nicht-zoologischen, übertragenen Sinn bereits im 16. Jahrhundert. Gemeint war damals schon ein Heuchler, ein sich bedenkenlos anpassender Mensch. Aber das war vor einem halben Jahrtausend. Und Geschichte wiederholt sich ja angeblich nicht.

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Kommentare ( 73 )

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Alf Egner
2 Jahre her

Wer auch extreme Wendehälse sind, sind Elmar Brok und Volker Bouffier. Damals haben beide völlig anders geredet als heute. Kann mich daran noch sehr gut erinnern.

Last edited 2 Jahre her by Alf Egner
Pankratius
4 Jahre her

Den obersten Wendehals Stoiber könnte man auch noch erwähnen. Der gab sich als strammer Aufseher, dass die Euroeinführung gemäß den Verträgen abzulaufen hätte. Dass von den meisten Ländern die Kriterien 3,0 / 60 nicht einzuhalten waren, wusste jedes Kind. Aber Stoiber gab sich als unnachgiebiger Kämpfer der guten Sache, um nach einer – später bekannt gewordenen – Erpressung seitens des CSU-Vorsitzenden wie ein Klappschild umzufallen und liegen zu bleiben. In späteren Jahren pries er auch noch Frau Merkel, die den Euro-Klamott als permanente Vertragsverletzung weiter durchwinkte. Auch das war original CSU.

Krissi
4 Jahre her

Die bayerische CSU hat noch mehr Wendehälse zu bieten:

Manfred Weber zB Spitzenkandidat Europawahl 2019: Verzicht zu Gunsten der unfähigen und unbeliebten Ursula von der Leyhen, die keiner gewählt hätte

Joachim Herrmann, Bayerische Minister des Innern für Sport und Integration zB von den Sprüchen aus 2015 ist nichts mehr zu hören = Maulkorb von oben

ludwig67
4 Jahre her

Sorry aber dazu gehören immer 2.

Mike Berlin
4 Jahre her

Mich wundert nur, warum die Bayern nicht mit Mistgabeln und Fackeln aufbegehren, ob dieses Betrugs ihres Landesfürsten. Bisher habe ich, – als Preuße – , die Bayern immer als trotzig und widerstandsfähig empfunden. Dafür hatten sie meinen Respekt. Jetzt, wo diese Eigenschaften gefragter sind denn je zuvor, herrscht politisch korrekte Stille im Land der Bajuwaren. Damit schwindet für mich der letzte Hoffnungsstreifen am Horizont, dass Deutschland nicht von einem neuen, alten sozialistisch-diktatorischen Regime in den Orkus gespült wird.

Johann Thiel
4 Jahre her
Antworten an  Mike Berlin

Deutsche mit Eigenschaften findet man nur noch im Osten.

ludwig67
4 Jahre her
Antworten an  Mike Berlin

Das ist wie in den USA. Da flüchten die Wähler der Demokraten vor den Ergebnissen ihrer gewünschten Politik in rote Staaten, um dann dort erneut Demokraten zu wählen. Die Zugezogenen dürften auch in Bayern das Problem sein.

Johann Thiel
4 Jahre her

Also zum Söder fällt mir nur noch meine nicht veröffentlichungsfähige Spezialtheorie ein ?, die Wiedervereinigung war nicht nur von der westdeutschen Linken nicht gewollt sondern m.E. von den Westdeutschen insgesamt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, und Geschichte wiederholt sich sowieso immer wieder, weil die Menschen immer die gleichen bleiben.

h.milde
4 Jahre her

Da der MP Söder (cSU) offensichtlich zunehmde Sympathien für eine „Partei“ entwickelt, die mM nichts anderes ist als ein von inter/national Sozialisten gekaperter Bienen & Blümchen-Schützer-Verein, die logischerweise mit der weiterhin realexistierenden SED-Linke sehr „vertrauensvoll“ zusammenarbeitet, und das anscheinend voll im Sinne seines neuen Vorbildes #, möchte ich ihm, und allen anderen Foristen hier, einen Beitrag von M.Haferburg heute bei HMB „In ständiger diffuser Angst“ ua.. zum heutigen „Feiertag“ anempfehlen.

moorwald
4 Jahre her

„Männer umschwirren mich wie die Motten das Licht…“

Auch mit null erotischer Ausstrahlung kann man männermordend sehr erfolgreich sein.

moorwald
4 Jahre her

Brandt, Lafontaine und Konsorten hatten einfach nicht mitbekommen, daß die weltpoltiche Lage sich für einen kurzen Augenblick geändert hatte. Bzw. sie erlagen wie so viele Poltiker einemWunschdenken.-
Es waren vor allem die Ereignisse in der UdSSR, die die Wiedervereinigung möglich machten. Kohl hatte es begriffen und eine staatsmännische Leistung hingelegt, die historisch bleiben wird.
Daß die Wiedervereinigung auch eine Beauftragte für Agitation und Propaganda nach oben spülen würde, konnte ja keiner ahnen. Man hätte doch da einen Dissidenten erwartet.
Aber die waren eben den Wendehälsen nicht gewachsen, weil zu charakterstark.

Johann Thiel
4 Jahre her
Antworten an  moorwald

Kohls „staatsmännisch, historische Leistung“ bestand vor allem darin, jeden nur erdenklichen Grundstein zur Zerstörung Deutschlands gelegt zu haben. Eine wahrhaft historische Leistung, die man nur mit beispielloser Naivität in der „Birne“ hinbekommt.

moorwald
4 Jahre her
Antworten an  Johann Thiel

Was für ein Unglück, daß nicht Sie damals Bundeskanzler gewesen sind. Mit Ihren prophetischen Gaben hätten Sie den Deutschen so viel erspart…

Johann Thiel
4 Jahre her
Antworten an  moorwald

Prophetische Gaben hätte es da nicht gebraucht, aber wenigstens etwas Realitätssinn in Bezug auf die DDR, etwas weniger Polit-Romantik, etwas weniger Gier persönlich in die Geschichtsbücher zu kommen und ein Mindestmaß an Loyalität zu den Westdeutschen im Vereinigungsprozess und zu den Deutschen insgesamt im Rahmen der europäischen Einigung. Kohl war von seinem Amt von Anfang an überfordert. Er hat Deutschland in seiner Naivität und Selbstverliebtheit genauso verraten wie es Merkel in ihrer böswilligen Gleichgültigkeit tut.

moorwald
4 Jahre her
Antworten an  Johann Thiel

Sie urteilen mit dem Wissen eines Heutigen. – „Gier, in die Geschichtsbücher zu kommen“…“Naivität und Selbstverliebtheit…“ „Politromantik“

Ihre Abneigung gegen Kohl (den ich übrigens nicht heiligsprechen möchte) sei Ihnen unbenommen.

Sie werden bestimmt viele Gleichgesinnte finden. Und dann gründen Sie einen Stammtisch.

Johann Thiel
4 Jahre her
Antworten an  moorwald

Kohl hätte die aus dem Zusammengehen mit einem Unrechtsstaat resultierenden Risiken durchaus wissen können, wie auch um die Risiken der Aufgabe der D-Mark oder der Installation eines DDR-Systemlings als seine mögliche Nachfolgerin. Er hätte es sogar wissen müssen, aber das wollte er nicht. Er hat die Augen verschlossen und sich seinen Illusionen hingegeben. Ein politischer Dummkopf der tatsächlich glaubte Mitterand und Gorbatschow seien seine „Freunde“, bettelnd darum in deren Liga spielen zu dürfen, einfach nur lächerlich. Ihr Einwand nachher immer schlauer zu sein, greift hier ganz sicher nicht, jeder konnte es wissen, wenn er bereit war sich nichts vorzumachen, genauso… Mehr

ludwig67
4 Jahre her

Söder ist der Egon Krenz der Union. Liberal-Konservative haben von ihm nichts zu erwarten, außer Mutti 2,0 mit einem anderen Gesicht, Ähnlich Mutti kann er mit dem Konzept individueller Freiheit nichts anfangen. Er will durchregieren, bis in die kleinsten Lebensbereiche. Hier wird er sich mit den Grünen sehr schnell handelseinig werden. Die Kandidaten für den CDU Vorsitz und die Kanzlerschaft sind ein Trauerspiel. Bei Laschet und Röttgen weiß man wenigstens was man bekommt, nämlich (s.o.) Mutti 2.0. Merz hingegen ist ein verdruckster Feigling, der im Wartebereich auf seine Chance fiebert. Die AfD zerlegt sich so lange schon mal selber. Schöne… Mehr

Epouvantail du Neckar
4 Jahre her
Antworten an  ludwig67

Wenn Sie das blöde „Mutti“ für die Unfruchtbare nicht benutzt hätten, stünde hier jetzt ein aufrechter Daumen mehr.

ludwig67
4 Jahre her

Mutti ist für mich ein Wort der Verachtung!

Deutscher
4 Jahre her
Antworten an  ludwig67

„Söder ist der Egon Krenz der Union“

😀