Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat einen Maßnahmenkatalog gegen den akuten Lehrermangel vorgelegt. Es ist nur Flickwerk und alles andere als eine langfristige Strategie. Außerdem kommt die KMK einmal mehr zu spät.
Die unzureichende Versorgung der mehr als 40.000 deutschen Schulen mit ausreichend vielen und mit gut qualifizierten Lehrern ist nicht erst jetzt zu einem ernsten Problem geworden. Viel zu spät wird Alarm geschlagen. Denn seit mehr als zwei Jahrzehnten musste bekannt sein, welches Problem hier auf Deutschland zukommt. Im Jahr 2003 etwa war klar, dass die Hälfte der damals tätigen Lehrer über 47 Jahre alt ist, also spätestens bis zum Jahr 2021 altersbedingt zu ersetzen war. Auf Vollzeitstellen umgerechnet und unter der Annahme, dass sich in dieser Zeit die Zahl der Schüler (an allgemeinbildenden Schulen 2003: 9,7 Millionen; 2022: 8,4 Millionen) eher verringern würde, waren dies damals mehr als 300.000 Lehrerstellen, die bis 2021 neu zu besetzen waren.
Hier muss sich die Politik Versäumnisse vorrechnen lassen: Sie operierte zumeist kurzatmig mit zahlenmäßig kaum wirksamen Quereinsteigerprogrammen. Und sie rettete sich mit „Tricks“ über einen Mangel an Lehrern hinweg: Die Kürzung der Wochenstundentafel um eine Stunde verschleiert beispielsweise drei Prozent des Unterrichts- und Lehrerbedarfs, die wiederholt praktizierte Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtsmaße der Lehrer um eine Stunde retuschiert rund vier Prozent des Unterrichtsbedarfs. Diese „Tricks“ waren bald ausgereizt.
Kultusministerielle Expertise kommt viel zu spät
Nun hat die „Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz“ (SWK) am 27. Januar 2022 auf 40 Seiten Maßnahmen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel vorgelegt. Diese zielen darauf ab, den Einsatz qualifizierter Lehrkräfte zu verbessern und den Bedarf (!) zu senken.
Diese Expertise kommt erstens um viele Jahre zu spät. Und sie vernebelt zweitens die Ursachen des Lehrermangels, nämlich das Versagen der Personalpolitik der 16 Länder, wenn in der Expertise zu lesen ist: „Der Lehrkräftemangel hat in erheblichem Maße demografische Ursachen …“
Wie bitte? Im Jahr 1997 gab es im wiedervereinten Deutschland allein in den allgemeinbildenden Schulen 10,1 Millionen Schüler. 2008 waren es dann 9,0 Millionen, 2018 gab es 8,3 Millionen, im Jahr 2022 sind es 8,4 Millionen. Also, mit der demografischen Entwicklung der Schülerschaft kann der Lehrermangel nichts zu tun haben. Dass es von 2018 auf 2022 einen Zuwachs von rund 100.000 Schülern gab, macht einen Zuwachs von 1,2 Prozent aus. Zugegebenermaßen kamen – wer weiß, für wie lange – rund 200.000 ukrainische Schüler hinzu. Aber es bleibt dabei: Das Elend mit der Lehrerversorgung hat sich die Politik seit mindestens zwanzig Jahren selbst zuzuschreiben.
Flickwerk
Was die SWK jetzt empfiehlt, ist Flickwerk und alles andere als eine langfristige Strategie. Zum Beispiel schlägt die Kommission vor:
- Erschließung von Beschäftigungsreserven bei qualifizierten Lehrkräften. Das heißt: Man will Teilzeitlehrer (die 49 Prozent aller Lehrer ausmachen) dazu motivieren, ihr Unterrichtskontingent zu erhöhen, und pensionierte Lehrer zurückholen.
- Entlastung und Unterstützung qualifizierter Lehrkräfte durch Studenten und andere, formal nicht (vollständig) qualifizierte Personen. Das heißt: Entprofessionalisierung des Lehrerberufes.
- Flexibilisierung durch Hybridunterricht in höheren Jahrgangsstufen, Erhöhung der Selbstlernzeiten. Das heißt: Fortsetzung eines gerade für schwächere Schüler ineffektiven, in coronabedingten Zeiten der Schulschließungen ersonnenen Distanzunterrichts.
- Bestandsaufnahme, Bewertung und Weiterentwicklung von Modellen des Quer- und Seiteneinstiegs. Das heißt nach all den vorliegenden Erfahrungen: minimales Flickwerk.
Die Kommission betont zugleich, dass es sich hierbei um Notmaßnahmen handle, die zeitlich befristet sein müssten. Langfristig seien neue Formen der Unterrichtsorganisation und der Ausbildung sowie Gewinnung von Lehrkräften notwendig.
Die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse, ist jedenfalls angetan von der SWK-Expertise. Wörtlich meinte sie: „Die Kurz-Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK zeigt aus wissenschaftlicher Sicht die systematischen Möglichkeiten auf, dem akuten bundesweiten Lehrkräftemangel kurz- und mittelfristig zu begegnen … Die SWK hat auch noch einmal deutlich gemacht, dass die systematische Qualifizierung von Quer- sowie Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern auf viele Jahre angelegt sein muss. Wir haben in Berlin damit schon früh begonnen und ein eigenes Qualifizierungszentrum eingerichtet.“ Aha, ausgerechnet Berlin als Vorbild!
Auf lange Sicht müssen die Maßnahmen angelegt sein, richtig. Das heißt, der Lehrerberuf muss offensiv als attraktiv unter Abiturienten dargestellt werden. Wobei klar ist, dass der hier erzielte Zuwachs an Aspiranten erst rund sieben bis acht Jahre später in der Schule ankommt.
Wie auch größere Klassen funktionieren können
Eine bestimmte Maßnahme indes dürfte kurzfristig den größten Effekt haben. Die KMK wagt sich hier nur mit spitzen Fingern heran, weil sie den Aufschrei der Lehrerschaft befürchtet. Die KMK nennt es „Flexibilisierung der Klassengrößen an weiterführenden Schulen“. Ja, aber warum nicht in allen Jahrgangsstufen? Klassen sollten schon auch über 25 oder 30 Schüler groß sein dürfen. Vor 30 Jahren gab es 35- und 40-köpfige Klassen. Das ist nicht so lange her. Klar, die Schülerschaft heutzutage ist schwieriger, unkonzentrierter, chaotischer geworden. Aber wir wissen auch, dass große Klassen bei Leistungstests nicht schlechter abschneiden.
Damit größere Klassen „funktionieren“ können, muss aber ein Zweifaches geschehen: Die Unterrichtsmethodik muss sich entgegen allen hochgerühmten „selbstbestimmten“ Lernformen wieder mehr auf das besinnen, was einen effektiven Unterricht ausmacht – ein straff von der Lehrkraft geführter und in hohem Maße aktivierender Unterricht. Und zweitens: Schule und Lehrer müssen wieder als Autoritäten gelten.
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Ich besitze ein altes Klassenfoto meines Großvaters, welches um 1930 entstanden sein müsste. Über 50 Schüler waren damals in der Klasse. Der Lehrer strahlt eine Autorität aus, welche heutige Weicheischüler zum Weinen bringen würde. Imposant und irgendwie traurig, wenn man bedenkt, welchen Weg dieses Land eingeschlagen hat. Ich vermisse die Generation meiner Großeltern.
Widerspruch in einem Punkt, Herr Kraus (der Rest stimmt): die Demographie ist wirklich ausschlaggebend. Warum? Weil Sie zur Ausbildung von Lehrern perfekt Deutsch sprechende Abiturienten brauchen. Wir haben aber zunehmend -formal gesehen- schlechter ausgebildete Migranten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: diese Migranten sind für Industrie, Handwerk, Pflege, Mobilität, Landwirtschaft, Reinigung, Gastronomie, Hotellerie, etc. unersetzlich. Aber für den Schuldienst sind sie regelmäßig ungeeignet. Ausser man baut das deutsche Bildungswesen komplett um. Mehr Praxis, mehr Ausländer, mehr Assistenz z.B. in der IT, mehr Frontalunterricht, weniger Whiteboards, härtere Disziplinarstrafen, weniger SMV, weniger Elternbeirat, mehr Rechte für die Schulleitung, usw.
Lehrermangel? Ich habe Einblick in das System, eigenen Einblick und die undankbare Aufgabe unsere Tochter durch elf deutsche Schuljahre begleiten zu dürfen, ein anderes Schuljahr fand glücklicherweise im Ausland statt. Was ihr die Augen öffnete! „Ich habe in einem Jahr mehr gelernt als in drei Jahren in Deutschland!“ – wohlgemerkt, wir reden von einem deutschen Privatgymnasium. Ich kenne allerdings die Zustände an staatlichen Gymnasien, daher war das für uns nie eine Option, obwohl ich selbst auf staatliche Schulen ging (DDR/Nachwendezeit). Der Lehrermangel ist hausgemacht. Gerade Baden-Württemberg unter Grünrot hat sich durch eine katastrophale Schulpolitik in Szene gesetzt, die unter Grünschwarz… Mehr
„Es gibt genügend Lehrerinnen, die nur Teilzeit arbeiten,“ weil sie vielleicht den eigenen Nachwuchs nicht Vollzeit in staatliche Erziehungshände geben wollen.
Leider sind nach meiner Beobachtung Lehrerinnen oft die ersten, die ihre eigenen Kinder in die „Kita“ stecken. Welch abscheuliches Wort und welch unmögliches Verhalten.
Auch die KMK wagt es nicht eine der Hauptursachen für den Lehrkräftemangel zu nennen: die massive Zuwanderung seit 2015.
Größere Klassen sind sicherlich hilfreich, dann müssen Lehrkräfte wieder fokussiert Lehrstoff vermitteln und können sich nicht mit einem nie erteilten Erziehungsauftrag verlustieren. Möglicherweise hat es auch noch einen positiven Effekt, wenn die SchülerInnen begreifen, dass es in erster Linie an ihnen selbst liegt. Aber dann muss die Gesellschaft erst wieder lernen, dass nicht alle durchs Abi und Studium gepampert werden können, dass es Verlierer gibt.
Ein Bekannter von mir hat vor einigen Jahren den Lehrerberuf nach Studium und Referendariat begonnen. An seiner Ausbildungsstätte während des Referendariats bildete er mit 5 weiteren Anwärtern eine Lerngruppe. Gut die Hälfte hatten ein Hochschuldiplom in den unterschiedlichsten Ausrichtungen (Vom Orchestermusiker bis zum Geologen). Sie waren Quereinsteiger. Alle haben die Ausbildung motiviert und mit Bestnoten absolviert und den Beruf mit Begeisterung begonnen*. Schon nach 2 Jahren hatten 4 von 5 die Festanstellung beim Senat gekündigt. „Für kein Geld der Welt“, war der Tenor. “ Nie wieder!“ Mein Bekannter hat länger durchgehalten; er ist jetzt >50% schwerbeschädigt (vorher topfit). Hatte mehrfach… Mehr
Wenn man in sich geht, dann bleibt von der schulischen Ausbildung, einschließlich Studium nicht mehr viel übrig, die man sicherlich benötigt für das nötige Grundgerüst, aber darüber hinaus fängt das eigentliche Wirken und die Erkenntnis erst an und problematisch wird es dann, wenn man von Idiologen auf die falsche Spur gebracht wird und außerdem ist es sehr fragwürdig, wie viel Zeit man benötigt um in den Prozeß der Arbeit zu gelangen. Die ist der Motor der Gesellschaft, denn von Weisheit allein kann man nicht leben, da haben wir schon genug davon, die sich wie Sauerbier anbieten, dazu hin noch reine… Mehr
Natürlich brauchen wir 20 Jahre nach der Schule weder das Wissen um die Photosynthese noch das Wissen über irgendwelche geologischen Gegebenheiten. Schule ist dazu da, zu vermitteln, wie man lernt, solides Allgemeinwissen und Grundstruktur zu vermitteln, in das man später das spezialiseren Wissen für den Beruf einbauen kann. Wären Autodidakten so erfolgreich, hätten wir kein Schulsystem – es ist das Ergebnis jahrtausede langer Erfahrungen mit Ausbildung von Folgegenerationen. Es mag einzelne Unterschiede geben, doch jede Gesellschaft hat Schulen und vertraut nicht auf die Autodidakten. Lernen ist auch Arbeit. Kein Kind freut sich darauf zu arbeiten. Dazu sind besondere Umgebung und… Mehr
Hm, Photosynthese sollte in groben Zügen durchaus zum Grundwissen gehören, denn dann kann Ihnen niemand erzählen, dass CO2 giftig und schädlich ist. Man sollte auch etwas vom Dreißigjährigen Krieg wissen, schon allein zu verstehen, dass dessen Auswirkungen Deutschlands vorindustrielle Entwicklung um mindestens 100 Jahre zurückgeworfen hat, von den Traumata und Wirren einmal abgesehen. Natürlich braucht man zum Einkaufen keine Integralrechnung, aber wenigstens sollte der Dreisatz funktionieren. Das sind Grundlagen, die ein informierter Bürger kennen sollte, um die geistigen Schwachmaten zu erkennen und Stellung zu beziehen. Autodidakten sind Menschen, denen man mit Hochachtung begegnen sollte, dass das nicht für jeden Beruf… Mehr
Das habe ich ja geschrieben – solides Allgemeinwissen. Hier kennt man die wichtigsten Fakten, die Details schlägt man bei Bedarf nach. Genau so muss es mit Photosynthese sein – ungefährens Wissen, was es ist und wie relevant. Was Autodidakten angeht, so ist es falsch, volkswirtschaftlich darauf zu vertrauen. Es ist schön, als Autodidakt die Möglichkeit zum Lernen zu haben. Als Volkswirtschaft sind wir auf Standards und Qualität in der Lehre und Ausbildung angewiesen. Das lässt sich im Rahmen von Deutschland nicht autodidaktisch bewältigen. Alle Wissenschaftler und Erfinder sind Autodidakten, doch für das tägliche Leben brauchen wir Leute, die täglich reparieren… Mehr
Autodidakten sind häufig Menschen, die aufgrund persönlicher Schicksalsschläge nicht ihren Traumberuf ergreifen konnten oder schlimmstenfalls die Schule sehr negativ in Erinnerung zurückbehalten haben. Sie haben aber nie aufgegeben und wollten trotz fehlender Grundlagen für sich selbst etwas erreichen, es sich selbst beweisen.
Ich kenne selbst jemanden, der sein Abitur mit bald 40 nachgemacht hat, Fernschule. Parallel zu Arbeit und Familie. Die Jahre vorher hat er die schulischen Themen nie vergessen, hat sich Literatur in Bibliotheken ausgeliehen. Warum er das teilweise autodidaktisch gemacht hat? Er musste in jungen Jahren die Verantwortung für Familienmitglieder übernehmen, für Gymnasium war keine Zeit mehr!
Lehrkräfte, die aktiv und straff den Unterricht gestalten sollen, die mit strammer Haltung auch noch politisch korrekt Lehrziele unter Rücksicht einer woken Cancel Culture mit aller Autorität umsetzen sollen, werden im besten Deutschland aller Zeiten bei dieser derzeitigen politischen Weichenstellung wohl nur noch schwer zu finden sein. Die Bildungstalfahrt geht ungebremst weiter.
Verschärfend hinzu kommt, dass die jetzige, verbliebene Lehrerschaft auch noch von der Wirklichkeit kaum eine Ahnung zu haben scheint. Sie treiben die Kinder in eine grünwoke Welle und an zu „friday-for-future“-ideologisiertem Blödsinn, so dass der Bildungsstandort Deutschland allmählich zu einer Sekte verkommt, die Wissen nur noch spärlich und woke und vor allem „gefiltert“ vermittelt. Welcher Lehrer möchte schon Tabellen darüber erhalten, wie hoch die Durchfallquoten in seinen Klassen sind? Darum werden die Anforderungen weiter gesenkt und gesenkt, bis nichts mehr übrig bleibt als Blablabla. Die Leistungen der Schüler lassen sowieso aufgrund der miserablen Versorgungslage massiv nach, psychologische Erkrankungen nehmen überhand,… Mehr
Ein wenig erwähntes Problem ist, dass die wenigsten Lehrer bis zur Pensionierung mehr durchhalten.
Bereits jüngere Kollegen leiden unter Überlastung und stressbedingten Krankheiten, dazu die Tatsache, dass der Lehrerberuf einer der wenigen ist, in dem Frauen noch folgenlos Familien gründen können. Schwangerschaftsbedingte Fehlzeiten belasten das System zusätzlich. Psychische Krankheiten sind deshalb weit verbreitet und führen in vielen Fällen zu einer Frühpensionierung.