Es ist unglaublich, aber wahr: Drama um die Au-Pair-Mädchen in Deutschland. Die jungen Frauen und Menschen, die sich um das Schicksal der jungen Frauen kümmern, erzählten mir von Horrorzuständen. Die Ausbeutung und der Missbrauch nehmen deutlich zu. Jüngst traf ich mich wieder mit Au-Pair-Helferinnen vom Verein „Au-Pair Hilfe e.V.“ und hörte ihnen zu. Ich möchte hier nicht um den heißen Brei herumreden, oder gar das Thema skandalisieren. Um das Problem allerdings zu verstehen, gebe ich den Inhalt des Gesprächs in Form eines Protokolls wieder, so wie es niedergeschrieben wurde. Es ist nicht zu fassen, was die jungen Frauen erleiden müssen. Es macht mich traurig, aber auch wütend. Hier dürfen wir nicht wegschauen, sondern müssen den Finger auf die offene Wunde legen.
Um was geht es eigentlich?
Innerhalb eines Jahres kommen an die 14.000 Au-pair-Mädchen offiziell nach Deutschland. Früher durften nur lizenzierte Agenturen Au-pair-Mädchen aus visumspflichtigen Drittländern vermitteln. Jede Gastfamilie musste so eine deutsche lizenzierte Agentur nutzen. Die Bundesagentur für Arbeit hat diese Lizenzen vergeben. Die Ausländerbehörde wurde informiert und hatte die Möglichkeit zu kontrollieren und die Unterlagen einzufordern. Sie hatten sogar eine sogenannte „Schwarze Liste“, auf der Familien verzeichnet waren, die schon öfters Probleme gemacht oder viele Au-pair-Mädchen in kurzer Zeit hatten. Die Familien mussten mehrere Nachweise erbringen, wie beispielsweise einen Einkommensnachweis, Mietvertrag, oder dass sie über ausreichend Platz verfügen etc.
Der Ist-Stand:
Die Kontrollen wurden 2002 abgeschafft. Arbeitsvermittler wurden aus der Pflicht entlassen, eine Lizenz haben zu müssen, damit jeder Arbeitsvermittler sein kann. Dies geschah im Rahmen der EU-Deregulierung. Auch die online Au-pair-Agenturen wurden zu den Arbeitsvermittlern gezählt und waren demnach betroffen. Somit kann jetzt jeder ein Au-pair-Mädchen einladen, ohne das es kontrolliert oder geregelt wird. Man kann nicht mal mehr wissen, ob die Gastfamilien wirklich existieren oder es beispielsweise ein Bordell-Betreiber ist. Der Antrag geht raus, ohne dass man einen Einblick in die Familie hatte, Nachweise sind nicht mehr erforderlich.
Online-Verträge sind möglich
Über das Internet können Au-pair-Mädchen gesucht werden, Online-Agenturen vermitteln über das Internet und Verträge werden online zugeschickt. Mit dem Vertrag gehen die Mädchen dann zur Botschaft und beantragen das Visum. Die Botschaft hat aber keinen Zugriff auf die Meldedaten, sie schickt nur eine Anfrage an die Bundesagentur für Arbeit. Diese braucht im Höchstfall den Fragebogen, der aber auch nicht immer erfragt wird. Dieser kann sogar über das Internet heruntergeladen und vorher per Post dorthin geschickt werden. Aber auch die Bundesagentur für Arbeit hat keinen Zugriff auf Meldedaten. Daher kann das jeder machen. Das Konsulat verlangt in manchen Fällen eine Kopie vom Ausweis, aber das ist nicht die Regel. Das Konsulat kann aber auch nicht mehr machen. Jetzt ist das Ausländeramt erst involviert, wenn das Mädchen eingereist ist und angemeldet wird. Dann erst bekommt es die Informationen. Diese Anmeldung ist Pflicht, aber nicht immer geschieht sie. Werden die Mädchen nicht angemeldet, dann erfährt die Ausländerbehörde gar nicht, dass sie eingereist sind. Das kann schnell zur Ausnutzung führen.
Zwang zu mehr Arbeit
Viele Gastfamilien melden die Mädchen absichtlich erst kurz vor Ende des vorläufigen Visums an und setzen sie damit unter Druck, dass das Visum abläuft, sodass sie sie ausbeuten und zu mehr Arbeit zwingen können. Das größte Problem ist aber, dass die Gastfamilien ohne irgendeine Kontrolle einfach Au-pair-Mädchen einladen können. Sie müssen dafür nicht einmal mehr etwas bezahlen. Das Mädchen trägt selber die Kosten für den Flug oder die Reise, die Sprachkurse oder auch die Beglaubigungen. Sie bekommt erst Geld, wenn sie hier ist, dann sind das monatlich 260 Euro Taschengeld und 50 Euro Zuschuss für Sprachkurse. Die Agenturen erhalten von den Gastfamilien zwischen 250 Euro und 1.000 Euro. Oftmals gibt es Dumpingpreise, da jeder um Aufträge kämpft.
Es gibt seit 2006 zwar eine „Gütegemeinschaft Au-pair e.V.“. Doch leider wird dort oft nur abgeglichen, ob man gemeinsame Vertragsunterlagen hat, aber nicht, ob sich die Gastfamilien an die Regeln halten oder ob die Agenturen das kontrollieren. Der Grundgedanke ist zwar gut, aber funktioniert nur, wenn nicht auch noch eine Vermittlung über das Internet möglich ist.
Au-Pair Hilfe e.V.
Meine Gesprächspartner Frau Susanne Flegel und Frau Marita Grammatopoulos haben den Verein „Au-Pair Hilfe e.V.“ mit Sitz in Frettenheim im Jahr 2017 gegründet. Sie helfen Menschen aus dem Ausland, die Probleme haben. Das können neben Au-Pair-Mädchen beispielsweise auch Pflegekräfte oder Ärzte sein. Beide machen das ehrenamtlich und haben noch einen „richtigen“ Job, mit dem sie Geld verdienen. Es gibt noch weitere acht Mitglieder, die ehrenamtlich im Verein arbeiten und zusätzlich noch Ehrenamtliche, die aber nicht im Verein sind. Außerdem gibt es Familien, die den Verein unterstützen und Au-pair-Mädchen in Not aufnehmen.
Mehr als 1.000 Fälle in zwei Jahren
Seitdem hatten sie bis zu rund 1.000 Fälle, in denen sich Mädchen gemeldet und beschwert haben. Bei ca. 300 Fällen in diesen zwei Jahren gab es einen Polizeieinsatz. Im Anschluss daran gab es aber nur eine juristische Ermittlung der Kriminalpolizei für organisierte Kriminalität.
Sechs häufigste Beschwerden
Ihrer Erfahrung nach sind folgende Beschwerden am häufigsten:
- Zu viel Arbeit / Ausnutzung / Ausbeutung: Die Mädchen werden als billige Hilfskräfte für den Haushalt, Büros, Ferienwohnungen oder sonstiges genutzt. Dabei darf ein Au-pair-Mädchen nur bis zu 30 Stunden in der Woche arbeiten und ist zuständig für Kinderbetreuung und leichte Hausarbeiten. Diese Beschwerde betrifft ca. 80 Prozent der Fälle.
- Die Familien melden die Mädchen nicht an, das Visum wird nicht verlängert, die Familien unterstützen nicht beim Sprachkurs und kommen ihrer Verpflichtung nicht nach.
- Sexuelle Nötigung, zum Teil sogar Missbrauch
- Freiheitsberaubung: Der Pass wird weggenommen und es wird den Mädchen verboten zu gehen.
- Hungern: Die Mädchen bekommen gar kein oder nicht genügend Essen.
- Androhung von Gewalt, obwohl die tatsächliche Gewaltausübung aber eher selten ist
Das schlimmste für die Mädchen ist dabei die Angst und der Druck, der auf sie ausgeübt wird. Sie sind traumatisiert und trauen sich nicht, sich zu wehren. Ihnen wird zum Teil mit der Polizei, dem Gefängnis oder der Ausweisung gedroht. Es besteht somit ein großes Abhängigkeitsverhältnis.
Sie kommen aus Drittländern
Die betroffenen Mädchen kommen in der Regel aus Drittländern wie Asien und Afrika, in denen Visumspflicht herrscht. Viele sind aus Nepal und Indonesien, da es dort einfacher ist, ein Visum zu erhalten, aber einige sind auch aus den Philippinen, obwohl es hier schwieriger ist, ein Visum zu bekommen. Fälle von Mädchen aus Osteuropa sind dagegen eher selten, da sie sich nicht so schnell ausbeuten lassen, sie diese Ängste nicht so haben und sich nicht so leicht unter Druck setzen lassen, da sie aus dem EU-Raum sind. Daher sind die Fälle aus Bulgarien, Rumänien oder Ungarn stark zurückgegangen.
Ein Anruf genügt
Wenn Mädchen beim Verein „Au-Pair Hilfe e.V.“ anrufen, bekommen sie Unterstützung in Form von Essen, Kleidung, Unterbringung oder sogar Abholung. Ein Beispiel: Eine junge Frau meldet sich und bittet um Hilfe. Sie erklärt, was passiert ist. Wenn sie in Gefahr ist (auf Grund sexueller Nötigung oder Freiheitsberaubung), wird gefragt, ob sie sofort dort weg möchte. Wenn ja, dann schickt der Verein entweder die Polizei dort hin oder bucht einen Bus oder Zug. Bis es zu diesem Schritt kommt, muss den Mädchen aber vorher oftmals die Angst genommen werden. Sobald das Mädchen aus der Familie rausgeholt werden konnte, kann es dann frei entscheiden, ob es in eine andere Familie, direkt ein freiwilliges soziales Jahr machen oder auch wieder nach Hause gehen möchte. Oft planen die Mädchen mit einer Zukunft in Deutschland, dann wird das Visum in den meisten Fällen geändert, beispielsweise für ein freiwilliges soziales Jahr oder auch für eine Ausbildung zur Krankenpflegerin oder ähnliches. Das ist in 90 Prozent der Fälle von Au-pair-Mädchen aus Drittländern der weitere Weg.
Gefahr der Prostitution
Ein weiteres Problem ist, dass Mädchen manchmal gar nicht wegen einer Au-pair-Stelle, sondern zur Prostitution hierhergeholt werden. Dann kommen sie erst gar nicht zu den Familien und werden auch nicht gemeldet. Da die Au-pair-Versicherung aber lediglich die Daten von den Versicherungen aufnimmt, die abgeschlossen wurden, gibt es auch keine Versicherung und damit keine Daten über die Mädchen, wenn sie direkt nach der Ankunft untertauchen und nie angemeldet wird. Diese Fälle bleiben daher weitestgehend unbemerkt.
Forderung an die Politik:
Die Au-Pair Agenturen müssen wieder Lizenzen erhalten. Nur mit dieser Lizenz sollen dann Agenturen vermitteln können und alle Gastfamilien müssen diese lizenzierte Agenturen nutzen, um Au-pairs aus visumspflichtigen Ländern einzuladen. Die Niederlande haben beispielsweise Lizenzpflicht. Dort brauchen die Agenturen eine Genehmigung und alles läuft kontrolliert ab. Früher wurde, sobald ein Fall bekannt geworden ist, die Agentur angerufen und gebeten, sich darum zu kümmern. Tat sie das nicht, wurde die Agentur abgemahnt bis hin zum Lizenzentzug. Diese Regelung sollte auch wiedereingeführt werden.
Kurzes Fazit: Nicht wegschauen
Ja, wie erwähnt: Mittlerweile gibt es in Deutschland keine Lizenzpflicht mehr. Neben offiziellen Au-pair-Agenturen befinden sich auch Online-Vermittlungen auf dem Markt. Die Gastfamilien können so über das Internet, ohne Kontrollen, Au-pair-Mädchen einladen. Zum Großteil sind keine Nachweise mehr erforderlich. Das öffnet der Ausnutzung Tür und Tor. Es wird nicht geprüft, ob die Gastfamilien existieren oder ob dort schon öfters Probleme mit Au-pair-Mädchen aufgetreten sind. Über das Internet können Au-pair-Mädchen gesucht werden, Online-Agenturen vermitteln über das Internet und Verträge werden online zugeschickt. Die Ausländerbehörde ist erst involviert, wenn die Mädchen eingereist sind und angemeldet werden. Man darf nicht tatenlos zusehen, sondern muss aktiv dagegen vorgehen. Deshalb müssen wir dringend wieder Lizenzierungen der Agenturen einführen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um dem Missbrauch von Au-pair-Kräften vorzubeugen. Moderne Sklaverei dürfen wir in einem Land wie Deutschland nicht zulassen!