Stoßgebet zum Wahlkampf

Das Prinzip von Trial and Error ist in der Politik nichts anderes als Machtwechsel. Diejenigen, die so tun, als könnten sie das Volk von allen Übeln erlösen, schwingen sich zu Hütern einer vermeintlichen Moral auf. Wenn es denn so einfach wäre.

Vertrauen in die Politik ist nicht angebracht. Vertrauen ist nicht einmal nötig. Misstrauen und Skepsis sind gefragt – wahre demokratische Tugenden.

I.

Die Tage werden wieder länger. Es wird heller (und in ein paar Monaten auch wärmer – aber das gilt als Weltuntergangsmenetekel). Mit jedem Jahreswechsel ist das Gefühl des Neubeginns verbunden, und damit die Hoffnung, man könne alte Fehler abhaken, bessere Vorsätze fassen und verwirklichen. Ohne Illusionen dieser Art wäre das Leben tatsächlich ein Jammertal. Ganz ohne Glaube an das Gute und ganz ohne Hoffnung geht es nicht. Es war ja auch nicht alles schlecht. Oder? Bisher ist doch immer fast alles beinahe irgendwie nahezu gut gegangen. Wir neigen dazu, uns die Verhältnisse schöner, überschaubarer, simpler zu malen, als sie sind. Es gibt aber leider nichts Komplizierteres als die Realität. Deshalb sehnen wir uns nach einfachen Lösungen. Davon leben Politiker.

II.

Wir kommen mit der Komplexität des Lebens schon im Privaten kaum klar, geschweige denn in der Gesellschaft. Wer kann schon ungeniert sagen, eine Entscheidung, eine Haltung sei vollkommen richtig oder absolut falsch? Oder alternativlos? Wer das tut, betrügt sich selbst und/oder andere. Wer ganz genau und unbeirrbar weiß, wie alles geht, ist ein Schwachkopf oder einfach nur ein lausiger, inkompetenter, machtbesessener Politiker. Ideologien sind sinnlose Mauern, aufgerichtet zwischen Richtigem und Falschem, zwischen Gut und Böse. Komplexe Probleme können mit simplifizierenden ideologischen Glaubenssätzen nicht gelöst werden. Im Gegenteil.

III.

Aber genau deshalb fallen viele Menschen auf sie herein. Wer unbedingt an das Wahre und Gute glauben will, glaubt auch gern daran, dass es eine Autorität gibt, die festlegt, was richtig und gut zu sein hat, und es am besten auch gleich zum Gesetz erhebt. Die Sehnsüchtigen hoffen es sogar. Deshalb hadern in schwierigen Zeiten immer mehr Demokraten mit der Freiheit. Und schlechte Politiker, die sich für die einzig wahren Demokraten halten, verletzen das Vertrauen der Bürger in die Demokratie. Wahren Populismus finden wir bei den Patentdemokraten, die behaupten, alles besser zu wissen – auf allen Seiten, rechts wie links und auch in der sogenannten Mitte. Demokratie aber funktioniert anders. Demokratie ist eine Methode, mit Irrtümern, Widersprüchen, Ungereimtheiten und Fehlern umzugehen. Das Prinzip von Trial and Error ist in der Politik nichts anderes als Machtwechsel. Diejenigen, die so tun, als könnten sie das Volk von allen Übeln erlösen, schwingen sich zu Hütern einer vermeintlichen Moral auf. Wenn es denn so einfach wäre.

IV.

Die Sehnsucht nach Erlösung geht einher mit dem Wunsch nach einfachen Antworten. Der Mensch verdrängt in seinen Ängsten, dass nicht alles lösbar ist. Beispiel: die Alterung der Gesellschaft. Wer soll die Renten bezahlen, wenn die Leute immer älter werden und zugleich immer weniger arbeiten? Wer soll tun, was zu tun ist, wenn es an Leuten fehlt, an Busfahrern, Polizisten, Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern, Servicepersonal jeder Art? Die einen sehen in Einwanderung die einzige Lösung. Unter zehn Milliarden Menschen auf der Welt müssten doch genügend zu finden sein, die sich im immer noch gelobten Land nicht bloß aushalten lassen. Das ist eben keine moralische Frage. Jeder weiß, dass es ohne Einwanderung nicht geht, aber Einwanderung zugleich eine Fülle anderer Probleme mit sich bringt – wenn man sie so blauäugig zulässt, wie eine protestantische Pfarrerstochter es getan hat.

V.

Jede Antwort auf so gut wie jedes Problem lautet: Ja, aber! Alles steckt voller Widersprüche. KI? Neue Illusionen. Roboter zahlen keine Rentenbeiträge. Beamte übrigens auch nicht. Eine (gute?) Nachricht aus dieser Woche: Ein Drittel aller Gemeindemitarbeiter gehen in den kommenden fünf Jahren in Pension, schon heute sind 100.000 Stellen unbesetzt. Hier geht es aber nicht um übergriffige Ministerialbürokratie. Auch wenn die meisten Deutschen vom Vater Staat Erlösung von allen Übeln erwarten, muss er schrumpfen. Denn es ist der Staat, der gegenüber seinen Bürgern immer übergriffiger wird, zum Feind der Freiheit.

VI.

Mein „Gebet“ zum Jahreswechsel setzt nicht auf Erlösung. Herr (falls es Dich gibt) lass uns zweifeln! Gib uns nicht Führer, sondern Vertrauen in die eigene Vernunft. Dann funktioniert auch die Demokratie wieder besser. Schluss mit allen Bekenntnissen. Gib uns die Kraft, einzusehen, dass nicht alles einfach lösbar ist. Und lass uns die eigenen Probleme zuerst anpacken. Helfen wir uns selbst, dann helfen wir auch der Welt. Mein Stoßgebet im Wahlkampf lautet: Erlöse uns von den Erlösern!


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Kommentare ( 39 )

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Moses
7 Stunden her

Jeder weiß, dass es ohne Einwanderung nicht geht“.
Japaner haben bewiesen, dass es mit einigen Schwierigkeiten doch geht. Wir lassen nach wie vor an dieser Behauptung keine zweifeln.
Wir brauchen also nur eine Regierung, die in der Lage ist, an den alten alternativlosen Quatsch zu zweifeln. Das fehlt uns offensichtlich auch in den nächsten Jahren.

rainer erich
7 Stunden her

Dann probieren wir es doch mal mit der Opposition… So richtig demokratisch bzw in dieser Staatsform so vorgesehen. Aber hallo, der Autor, im Allgemeinen bewandert, gehoert ja selbst zu denen, die im Konkreten, im Praktischen, die Alternative ausschließen. Na sowas. Nichts gegen akademische Weisheiten, vor allem solche zur Vernunft, das Problem liegt allerdings woanders. Zum einen ist die Vernunft keine besonders herausragende menschliche Eigenschaft, vor allem auch nicht der Masse, zum anderen geraet jeder wohlfeile Rat blitzartig ins Wanken, wenn die Schwefler ins Spiel kommen. Soweit will der gemeine Liberalkonservative mit seiner Alternative oder dem Versuch und Irrtum nun doch… Mehr

DerGrinser
8 Stunden her

Das Prinzip von Trial and Error ist in der Politik nichts anderes als Machtwechsel
Solange roundabout jeder fünfte Wählende in Deutschland von der ,,demokratischen“ Teilhabe, unter Zuhilfenahme von staatlich organisierter Propaganda und politischer Kartellbildung, ausgesperrt bleibt, wird kein Machtwechsel und damit auch keine Demokratie stattfinden. Der Unterschied im politischen System der Nachmerkel-BRD zur DDR besteht lediglich darin, dass nicht eine Einheitspartei sondern mehrere wechselweise agieren um Demokratie glaubwürdiger als zu SED-Zeiten zu simulieren.

Last edited 8 Stunden her by DerGrinser
Alf
8 Stunden her

Gib den Politdarstellern die Kraft, einzusehen, daß es besser ist, gar nicht zu regieren, als so schlecht zu regieren. Scholz: „Zu den notwendigen Konsequenzen gehört, dass wir untersuchen, ob man diese schreckliche Tat hätte verhindern können“. Die notwendige Konsequenz ist also nicht die Verhinderung der Tat, sondern die Untersuchung im Anschluß? Nur, was könnte eine Regierung tun, damit schreckliche Taten sich nicht wiederholen? Mehr Kompetenzen für Sicherheitsbehörden? Was sollen Sicherheitsbehörden, wenn sie kein Personal und keine Befugnisse haben? Scholz: Meine Erwartung ist klar: Jetzt muss sehr genau geprüft werden, ob es Versäumnisse bei den Behörden in Sachsen-Anhalt oder auf Bundesebene… Mehr

November Man
9 Stunden her

Es geht auch ohne massenhafte Einwanderung. Gastarbeiter auf Zeit reichen vollkommen aus. In jedem Unternehmen, das unkontrollierten Zuwachs hat, unkontrolliert wächst, wird die Unternehmensführung irgendwann die Kontrolle über das gesamte Unternehmen verlieren. So ist es auch in Deutschland, im deutschen Staat. Dieses Unternehmen muss, um weiter überleben zu können, sich gesundschrumpfen. In Deutschland leben mittlerweile ca. 83 Millionen Einwohner. Davon sind ca. 60 Millionen Deutsche. Gesundschrumpfen heißt: Nur noch die ca. 60 Millionen Deutsche plus die Ausländer die sich in Deutschland integriert haben, nicht straffällig geworden sind und einer geregelten, sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen werden zukünftig noch gebraucht. Sinnlose Geldverschwendungen, wie… Mehr

thinkSelf
9 Stunden her

„Denn es ist der Staat, der gegenüber seinen Bürgern immer übergriffiger wird, zum Feind der Freiheit.“ Na und? Schließlich ist Freiheit für die Masse keine Verheißung, sondern schlicht die schlimmste aller Bedrohungen. „Alles steckt voller Widersprüche. KI? Neue Illusionen. Roboter zahlen keine Rentenbeiträge.“ Das tut jetzt echt weh. Erst „Roboter“ oder exakter gesagt fremdenergetisch angetriebene Maschinen erlauben eine Steigerung der Produktivität auf eine Höhe die Konzepte wie „Rente“ überhaupt erst ermöglicht. Umso mehr Roboter, umso mehr Rente ist die richtige Aussage. „Wer soll tun, was zu tun ist, wenn es an Leuten fehlt, an Busfahrern, Polizisten, Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern, Servicepersonal jeder… Mehr

Fieselschweif
11 Stunden her

Die (gute) Nachricht: „… Ein Drittel aller Gemeindemitarbeiter gehen in den kommenden fünf Jahren in Pension…“ Na da freut sich nicht nur der Beitragzahler, dass die Boomer endlich Platz machen für die nächste (kleinere) Generation. Auch der Steuerzahler freut sich, neben dem Beamtennachwuchs – den man sei Jahren schon marktgerecht bezahlen muss, sonst findet man ja keine – endlich die überkandidelten Pensionen der ehemaligen Verwalter berappen zu dürfen. Dass Beamte, deren Salär automatisiert (vermutlich weil’s weniger „kompliziert“ ist) am Tarifabschluss des öD hängt (plus 8% …) und die Pension am Salär der letzen Jahre, wird erstaunlicherweise immer vergessen, wenn man… Mehr

Last edited 11 Stunden her by Fieselschweif
Zum alten Fritz
11 Stunden her

Wenn die Industrie (wertschöpfende Tätigkeiten) verschwindet, braucht es auch keine Kellner mehr. Dann kann sich jeder selbst sein süppchen aus sperlichen Zutaten kochen.
Außerdem regelt der Markt (Ökonomie) einiges selber, wenn man es zulässt. Wie soll es laufen wenn ich Leuten von denen die Steuern zahlen Geld gebe ohne Gegenleistung? Da wird der einfachste ökonomische Zusammenhang ausgehebelt. Usw usw.

Juergen Waldmann
11 Stunden her

Im Bundestag erleben wir seit längerem populistische Ausfälle . Dieser Wahlkampf wird wahrscheinlich manches Mal inakzeptabel sein . Und zwar auf allen Seiten. Konkurrenz unter Demokraten muss sein , aber wir müssen am Ende das Land zusammenhalten . Für mich gibt es politische Gegner , aber nur einen Feind. Das sind die Feinde der Demokratie. Das ist die AfD. Und das sollten wir uns alle klar machen , damit wir kein böses Erwachen erleben bei dieser oder sonst der nächsten Wahl . Das sagte Mützenich ( SPD ) , er glaubt allen ernstes , dass die AfD ein Feind der… Mehr

Alfonso
12 Stunden her

„Stoßgebet zum Wahlkampf“

Gekämpft wird hier ausschließlich aus einer Richtung, von den links-grünen Parteien SPD, CDU, GRÜNE, FDP und von den beiden linken Parteien BSW und die LINKE gegen die Afd,

Gekämpft wird allerdings kaum mit Sachargumenten sondern unter Einsatz von Diskriminierung von Personen“
Ja, wenn man keine politischen Argumente hat (dafür gibt es verschiedene Ursachen), dann kann man nur auf diese Art wahlkämpfen.

Last edited 11 Stunden her by Alfonso