Sans Souci – Warum ich gerne entsorgt werden würde

Für Karl Popper ist Demokratie die einzige Staatsform, die es ermöglicht, auf unblutigem Weg Politiker loszuwerden. Der entsorgte Politiker lebt, ausgestattet mit blendender Altersversorgung, in aller Regel sorgenfrei. Im Sinne des Alten Fritz: sans souci.

Da deutsche Kultur jenseits der Sprache, wie wir von berufener Stelle erfahren, „schlicht nicht mehr identifizierbar“ ist, will ich mich ganz auf die Sprache stützen. Sans souci: ohne Sorge. Schon der alte Fritz, der deutsche Kultur im Wesentlichen jenseits des französischen Umgangstons fand, wollte auf Sanssouci aller Sorgen entledigt sein, gleichsam entsorgt.

I.

Diese ursprüngliche Bedeutung des schönen deutschen Tätigkeitsworts kommt so gut wie nicht mehr vor. Denn heute wird kein König (und keine Politikerin) mehr entsorgt, schon gar nicht von Sorgen. Entsorgt wird allein die deutsche Sprache. Und zwar ohne den Sprachentsorgern Sorge zu bereiten. An der einseitigen Verwendung des Verbs entsorgen ist das gut zu sehen. Frau Özoguz sähe vielleicht gern die deutsche Kultur jenseits der Sprache entsorgt. Die Entsorgung der Sprache aber schaffen wir ganz ohne sie.

II.

Ein kurzer Blick in die übrige Wortfamilie. Wer jemandem etwas besorgt, nimmt ihm eine Sorge. Wer es jemandem besorgt, macht jemandem Sorgen (oder unter gewissen Umständen sogar Vergnügen). Die Parteien versorgen ihre Wähler mit Programmen, ihre Klientel mit Wahlversprechen. Dennoch bleibt die Versorgungslage kritisch. Es kommt immer darauf an, womit man versorgt wird. Und von was entsorgt. Und wie. Zu Entsorgungsmaßnahmen rät schon der alte Schlager: „Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein.“

III.

Das mit der Vorsilbe ent kombinierte Verb sorgen (von den Nazis bekanntlich erst 1973 in den Duden aufgenommen) ist eigentlich ein Produkt sprachlicher Weichspülerei. Ein Euphemismus grüner Gesinnung. Wir sorgen uns um die Umwelt. Um diese Sorge loszuwerden, beseitigen wir den Müll nicht mehr, sondern trennen ihn, um ihn anschließend zu entsorgen, ihn also nicht einfach wegzuschmeißen, sondern zu verwerten, also in wertvollen Rohstoff zurück zu verwandeln. Das Verb entsorgen bedeutet: Etwas nicht zu vernichten, sondern mit Sorgfalt zu sammeln, wertzuschätzen und wenn möglich in den Kreislauf des Nützlichen zurückzuführen. Es fehlt oft an einem nachhaltigen, umweltfreundlichen Entsorgungskonzept.

IV.

Das Wort entsorgen enthält auch ein Element der Verweichlichung, wenn nicht sogar der Verharmlosung. Wer Müll oder gar die Brennstäbe eines Kernkraftwerks entsorgt, ist ja die Sorgen noch nicht wirklich los.

Genau dies ist bei Politikern anders. Ihre Entsorgung klappt meist risikofrei. Die Demokratie hat zur Politikerentsorgung Wahlen vorgesehen. Für Karl Popper ist Demokratie die einzige Staatsform, die es ermöglicht, auf unblutigem Weg Politiker loszuwerden. Der entsorgte Politiker lebt, ausgestattet mit blendender Altersversorgung, in aller Regel sorgenfrei. Im Sinne des Alten Fritz: sans souci. Angenommen die Kanzlerin würde bei den Wahlen entsorgt, müsste sie sich um sich keine Sorgen mehr machen. Gleichzeitig wären viele Wähler eine größere Sorge los. Wir nennen das im Deutschen Win-Win-Situation.

V.

Fragen Sie jetzt noch, warum auch ich gerne im doppelten Sinn entsorgt werden würde?

VI.

Doch leider hat das vielseitige Verb entsorgen eine Wandlung erfahren. Es ist ganz auf das beschränkt, was dem deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz unterliegt. Dabei genießt laut Umweltbundesamt „der Schutz von Mensch und Umwelt“ höchste Priorität. Die allgemeine Wertschätzung für die Kultursachverständige Özoguz beweist es. Wer die Entsorgungsvorschriften verletzt, ist als Rassist, Volksverhetzer, geistiger Brandstifter und Menschenverächter zu verfolgen. Er gehört ausgegrenzt. Er entsorgt sich gewissermaßen selbst. Nirgends ist sich Deutschlands Entrüstungsindustrie einiger als hier.


Wolfgang Herles ist Schriftsteller und (TV-) Journalist, er schrieb mehrere Romane und zahlreiche politische Sachbücher, zuletzt Die Gefallsüchtigen in dem er das Quotendiktat der öffentlich-rechtlichen Medien und den Populismus der Politik attackiert. Sie erhalten es in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop

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Kommentare ( 68 )

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Thorben-Friedrich Dohms
7 Jahre her

Sie haben die Bedeutung politisch korrekter Sprache offenbar nicht verstanden. Wichtig ist, dass wir den Kampf gegen politisch nicht korrekte Sprache und NS-Geheimcodes jetzt endlich ganzheitlich und nachhaltig angehen. Wir sollten mit der Eliminierung der übelsten Buchstabenkombinationen beginnen. In einer Übergangsphase können entfernte Buchstaben durch ein „-“ kenntlich gemacht werden. Der erste Schritt muss die Entfernung des „HH“ aus der deutschen Sprache sein. Da sollte es keine Probleme geben, denn das Doppel-H ist ja nicht wirklich häufig. Dac–aut sagen eh nur die Dachdecker und ein Schnitzel kann man auch flachklopfen statt flac–auen. Bei „HJ“ wird es auch keine größeren Schwierigkeiten… Mehr

RÜDI
7 Jahre her

Ich bin ENTgeistert, wenn dann die MERKEL die WAHLVERSPRECHEN ENTsorgt, danach die Männer ENTgültig ENTeiert und Deutschland ENTdemokratsiert; ohne ENTgegnung, ENTkernt und dann ENTgültig ENTsorgt hat.

Stephan Kurz
7 Jahre her

Was an dem Fall Fischer besonders schlimm ist, dass dieser Herr ein Beweis dafür ist, dass die Justiz heute, zumindest in Teilen, auch bereits links steht/indoktriniert ist.
Und diese (die Justiz) ist ja die dritte Säule der Gewaltenteilung.

Stephan Kurz
7 Jahre her

In Ihrer Argumentation haben Sie natürlich,letzten Endes, recht, – aber steht das mit dem in Klammern stehenden Ergänzung „… (und deutsche)…“ wirklich auch im Originaltext von Karl Popper ?
Wenn nicht, wird jemand, der die Existenz der deutschen Kultur verneint, aber eine europäische sieht (Wie es ja viele heute machen, die sich als Weltbürger und Europäer – und nicht als Deutsche sehen) dies Ihnen – zu recht – argumentativ um die Ohren hauen.
Abgesehen davon, dass das dann ein Fall falschen Zitierens und somit auch unredlich wäre.

Grüsse !

ZurückzurVernunft
7 Jahre her
Antworten an  Stephan Kurz

Das „deutsche“ in Klammern habe ich ergänzt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich Karl Popper auf die Zeit seit der Renaissance bezieht. Ein „Deutschland“ gab es zu dieser Zeit bekanntlich nicht. Und so es ist bis heute durchaus strittig, ob z.B. Mozart nun Deutscher oder Österreicher war. Das Gleiche gilt für Beethoven. Und ob Kopernikus nun Deutscher oder Pole war ist ebenfalls strittig. Mein Heimatort war z.B. bis 1803 ein selbstständiger Stadtstaat, gehörte dann abwechselnd zu Österreich, Salzburg, Frankreich, der Toskana, seit 1810 zu Bayern und erst seit 1871 zu Deutschland. Mein Vater ist im heutigen Polen aufgewachsen und meine… Mehr

Stephan Kurz
7 Jahre her
Antworten an  ZurückzurVernunft

In Ihrer Argumentation, dass das, was als deuteche Kultur erkennbar ist, natürlich auch Teil der europäischen Kultur ist, – haben Sie natürlich recht !
Insofern ist die Erwähnung in Klammern inhaltlich legitim.

ZurückzurVernunft
7 Jahre her
Antworten an  Stephan Kurz

Danke – natürlich haben Sie recht, dass man korrekt zitieren muss.
In sofern muss ich auch noch zugeben, dass ich in Poppers Text auch Zivilisation und Kultur gleichgesetzt habe, was ja im englischsprachigen Raum auch durchaus korrekt ist.

Ich habe jedenfalls bislang noch keine bessere Definition der deutschen und europäischen Kultur gehört, als die von Popper.

Prof. Meuthen war der einzige Politiker, der mir geantwortet hat, dass er ebenfalls dieses Kulturverständnis teilt.

Gero Hatz
7 Jahre her

Den professionellen Entsorgern in Muttis Küchenkabinett steht ja noch einiges bevor: Nach Entsorgung der Technologieführerschaft im Bereich der Kerntechnologie sind jetzt die Autobauer und ihre Zulieferer in tausenden von mittelständischen Unternehmen dran. Danach kann man noch die technischen Universitäten entsorgen und sie durch Gender und Integrationsschulen ersetzen. Wenn die De-industrialisierung gelungen ist, wäre da als letztes noch die Viehwirtschaft. Sind erst diese bösen Rindviecher entsorgt, können wir endlich gut und gerne in Menschland leben und unsere Haferflocken mümmelend das Lob Muttis singen.

Harry James mit Armbrust
7 Jahre her

Öhm – ich habe meiner Mutter ihren heißgeliebten Thunfisch mit Gemüse besorgt. OK, Thunfisch ist für viele kein PC korrektes Lebensmittel, aber deshalb gleich ein Aufschrei?
Und zudem, von Zeit zu Zeit besorge ich ihr auch Kreuzworträtselhefte – daran ist doch nun wirklich nichts verwerfliches, oder?

😉

Harry James mit Armbrust
7 Jahre her

Ups, da müsste ich also den Thunfisch entsorgen um selber sorgenfrei zu sein 🙂

Lutz Sander
7 Jahre her

Fassen wir zusammen: Merkel muss weg, Özogus unbedingt auch und noch einige dieser Figuren in dieser Demokratur!

Durch Abwahl – deshalb bekommt die AFD am 24.9. meine beiden Stimmen!

Vivi Virtual
7 Jahre her

Anregend, amüsant, einfach köstlich zu lesen diese Spiele mit den Worten in ihrer eigentlichen Bedeutung!

Bernd Schreller
7 Jahre her

‚Entsorgen‘ ist das perfekte Wort fuer den Zustand der Leute in diesem unserem Lande. Alle wollen sich ent-sorgen. Ob jemand anderes dafür die Zeche zahlt – egal, Hauptsache mir geht s gut. Gemeinsinn, anderen-helfen – Nein danke. Eine widerliche Egoisten-Gesellschaft sind wir geworden. Jeder achtet ausschließlich auf seinen Vorteil und freut sich, wenn er dem anderen eins auswischen kann. Kompensiert wird das Ganze mit Gutmenschentum, so lang es einen selbst nix kostet, und Denunziantentum, wenn jemand seinen Abfall nicht richtzig vorschriftsmaessig ‚entsorgt‘. Ja, ne selbstgerechte Besserwisserei macht sich ebenfalls immer mehr breit. Und das gepaart mit zunehmendem, im Individuellen fast… Mehr

Rudi
7 Jahre her
Antworten an  Bernd Schreller

Ich sehe das (naturgemäss?) etwas anders. Denn was würden Sie Ihrem Kind sagen, wenn es so egoistisch wäre? Oder sollte ich eher fragen, ob Sie dann etwa etwas bei der Erziehung Ihres Kindes falsch gemacht haben? Kein Mensch kommt also böse auf die Welt! Das ist die Wahrheit! Und so viel Böswilligkeit wie Sie kann ich beim besten Willen auch nicht erkennen, noch fühle ich mich irgendwie kaputt. Ja, feige! Feige bin ich zunehmend in einem Land, dass mir und anderen das Equivalent genommen hat; ja es geradezu unter Strafe stellt. Und das ist das Selbstbewusstsein. Früher auch Stolz genannt.… Mehr

Alfred Ost
7 Jahre her

Jemandem etwas besorgen muss keineswegs Lustgewinn augenzwinkernd umschreiben.
„Dem werde ich es aber besorgen“ kann durchaus die Absicht ausdrücken diesem Jemand mal eins „auf die Mappe“ (Ausdruck des Herrn Chulz) zu hauen. Herauszuhören, wie solche Redensarten konnotiert sind bedarf des Zuhörens. Oder falls, der Sprechende beim Reden noch mit einem Baseballschläger hantiert, des Hinsehens 🙂