Tichys Einblick
Über die letzten Tage der Menschheit

Macht verfällt durch Machtanmaßung

Wir sind immer wieder empört über die Geschichtsvergessenheit, die Ignoranz, den Größenwahn der Mächtigen. Das ist in Demokratien nicht anders als in Diktaturen. Die Mächtigen wollen die menschliche Natur nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist der Kern ihrer Dummheit.

Dass Wissen Macht ist, glaubten wir zu wissen. Jetzt wissen wir es wieder einmal besser. Lehrstück Afghanistan.

I.

Wenn Wissen bedeutet, Fakten nicht nur zu kennen, sondern sie auch zu erkennen, hätte Wissen etwas mit Intelligenz zu tun. Weshalb sonst werden Geheimdienste auf englisch Intelligence Service genannt? Lachen Sie bitte nicht! Bleibt trotzdem die Frage, warum die Mächte dieser Welt so oft nicht wissen, was sie wissen, und dazu gar keinen intelligenten Dienst bräuchten? Es genügten ein paar Bücher, ein paar weise, alte Männer vielleicht. Antwort: Weil sie nicht wissen wollen. Wissen bedeutet auch immer, sich der Grenzen des eigenen Wissens bewusst zu sein. Das ist der entscheidende Punkt. Den Mächtigen fehlt das Bewusstsein für die eigenen Grenzen. Sie setzen sich über Gewissheiten hinweg. Deshalb sind sie mächtig geworden. Deshalb scheitern sie immer wieder. Es ist das Paradox der Macht. Macht entsteht immer wider besseres Wissen. Und Macht verfällt, wenn sie nicht lernfähig ist. Aktuelles Beispiel: Großmacht USA.

II.

Oder nehmen wir die Briten. 1839 – 1842 führten sie den ersten Anglo-Afghanischen Krieg. 1878 den zweiten. Na bitte! Kolonialismus! Die Mutter aller Katastrophen, glauben wir zu wissen. Die Briten wollten nicht wissen, was sie wussten, dass vor ihnen nicht nur Alexander der Große schon in Afghanistan gescheitert war, sondern auch – wer kennt die Völker, nennt die Namen – Abbasiden, Ghaznawiden, Seldschuken, Ghuriden, Safawiden, Scheibaniden, indische Mogulen und Perser. Der dritte anglo-afghanische Krieg 1919 endete mit der Unabhängigkeit, was immer das bedeutete, denn das Land blieb Spielball zwischen russischen und britischen Interessen. Alles wie gehabt. 1933 die erste „Demokratie“ als Geschenk. Frauenwahlrecht! Pressefreiheit. Über die Köpfe der Bevölkerungsmehrheit hinweg.

Langweile ich Sie?

Die nächste „Republik“ wurde 1973 von den Kommunisten ausgerufen. Auch dagegen Widerstand. 1979 marschierten die Russen ein, um „ihr“ Regime zu stützen. Der Westen half den Mudschahedin. Stellvertreterkrieg. Jetzt erlebten die Sowjets ihr Vietnam (1992). Verfeindete Milizen, Warlords, Bürgerkrieg. 1996 errichteten zum ersten Mal die Talibans ihre Herrschaft. Nach dem Anschlag in New York (2001) wollte der der Westen nicht länger zusehen und „befreite“ Afghanistan.Das Ergebnis ist gerade zu besichtigen. Es ist auch nur ein Zwischenergebnis. Immer, wenn sich etwas ändert, ändert sich nichts. Noch immer lernen alle wie verrückt aus der Geschichte. Die Blödheit ist das einzige perpetuum mobile, das funktioniert

III.

Warum das so ist? Am Mangel an historischem Wissen kann es nicht liegen. Am Mangel an historischer Bildung durchaus. Bildung ist Verständnis für Zusammenhänge, die tiefer reichen als das Kurzzeitgedächtnis von Politikern. Bildung ist Aufklärung – also die Voraussetzung vernunftgeleiteten Tuns. Der Aufgeklärte weiß, dass alle Siege über kurz oder lang in Niederlagen münden. Immer wenn der Glaube an eine (natürlich gute) Sache stärker ist als das Wissen, geht es schief. 1989 glaubte der „freie“ Westen, er habe den Osten besiegt. Wie naiv war es doch, zu glauben, die ganze Welt würde sich freiwillig über kurz oder lang unserer Vorstellung von Freiheit anschließen. Es klappt ja nicht eimal bei den Ex-Kommunisten – immerhin legitimen Kindern der europäischen Aufklärung. Wie sollte das dann erst in der irrationalen Gegenwelt des Islam funktionieren? Es gab nach dem Ende der Sowjetunion nur noch eine Weltmacht, die USA. Diesen „Sieg“ hat sie verspielt, weil sie sich über die Natur der Menschen hinweggesetzt hat – wie alle Mächte zu allen Zeiten.

IV.

Napoleon etwa ignorierte den russischen Winter. Aus Unwissenheit wohl kaum. Er schlug das Wissen aus. Weil er sich daran gewöhnt hatte, dass Gesetze für ihn nicht gelten, nicht einmal die Gesetze der Natur. Weil er sich für ein Genie hielt. Weil er die Vorsehung auf seiner Seite glaubte. Weil ihm niemand von Vernunft entschieden genug widersprach. Wir sind immer wieder empört über die Geschichtsvergessenheit, die Ignoranz, den Größenwahn der Mächtigen. Das ist in Demokratien nicht anders als in Diktaturen. Die Mächtigen wollen die menschliche Natur nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist der Kern ihrer Dummheit.

V.

Und wir Gewöhnlichen? Nur weil wir Trump als ungebildetes Großmaul erlebten, wollten wir Biden für klug und vernünftig halten. Nur, weil Frau Merkel ein so uneitler, pragmatischer Mensch ist … Sie wissen schon. Nur weil wir noch immer glauben, vom Glauben an irgend etwas Höheres gehe grundsätzlich Segen aus, unterschätzen wir die menschenfeindlichen Kräfte im Islam. Weil wir uns einreden, die Menschheit könne am Klima zugrunde gehen, verfallen wir dem Wahn, das Klima manipulieren zu können. Paranoia erzeugt Hybris, und Hybris ist der Anfang der Selbstzerstörung. Wenn ein Virus eine kleine Minderheit gefährdet, schützen wir nicht die Minderheit, sondern blockieren die Mehrheit. Nur, weil wir nicht unsterblich sind, weigern wir uns zu leben. So viel ist gewiss: Die letzten Tage der Menschheit werden ein Sieg der Blödheit sein.

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