Lämmer und Wölfe – Anmerkungen zum Osterfest

Es sind die Wölfe, die den Lämmern einreden, die Welt ändern zu können. Es geht ganz leicht: Sie müssen sich nur ein wenig opfern lassen. Frohe Ostern!

Das Osterfest unterbricht die Welle der Verbotsexzesse, die aus Berlin und Brüssel kommend den Bürgern die Luft zum Atmen nimmt. Eigentlich ist Ostern ein Fest der Befreiung vom irdischen Irrsinn.

I.

Streng genommen ist das Christentum kulturelle Aneignung. Jesus als „Lamm Gottes“ – ein Symbol, das vom orientalischen Opferlamm abstammt. Es wird in den Kirchen nicht geschlachtet, sondern symbolisch geopfert. Das echte Osterlamm wiederum erfährt auf den festlichen Tischen höchste Verehrung, wenngleich es jene Christen verschmähen, die sich mittlerweile von einer politischen Religion zum Vegetarismus nötigen lassen. Vor dem Osterlamm als Backwerk wiederum warnt der Ökoernährungsminister. Zucker ist mindestens so schlimm wie Blut.

II.

Das wahre Opferlamm ist heute der vegetarisierte, woke Mensch. Sollen wir doch alle Schafe sein, Opferlämmer, die nach alter Methode ausbluten. Geopfert für das Klima. Theologisch gesehen, ist das gottlose Anmaßung. Der Mensch erhebt sich zum Erlöser. Das ist nicht nur wissenschaftlicher Unsinn, sondern auch Gotteslästerung. Politisch betrachtet ist es ein Kulturkampf gegen das Abendland. Dessen größte Errungenschaft ist die Menschenwürde: also die Selbstverwirklichung jedes einzelnen Menschen als einzigartigem, unverwechselbarem Wesen. Den Individualismus verdankt die Welt der europäischen Philosophie von der Antike übers Christentum bis zur Aufklärung. Die verheerenden Ideologien der Moderne machten ihn zum Rädchen im Kollektiv. Die grüne Ideologie ist die jüngste, eng verwandt mit Kommunismus und Faschismus. Nun soll der Mensch wieder als gehorsames Schaf die Welt retten.

III.

Wer nicht mit den Lämmern blökt, wird den Wölfen zugerechnet. Etwas anderes als Lämmer und Wölfe ist nicht vorgesehen. Allenfalls finden sich etliche Wölfe in Schafspelzen und Schafe in Wolfspelzen. Mit den Wölfen ist es so eine Sache. Sieht man Habeck aufmerksam zu, weiß man nicht, ob man die Großmutter vor sich hat oder den bösen Wolf, der die Großmutter gefressen hat.

IV.

Angst vor der Klimakatastrophe soll die schweigenden Schafe zusammenhalten. Die Hälfte der Deutschen finden laut einer neuen Dimap-Umfrage die Heizungsverbote für angemessen oder sogar für noch nicht weitgehend genug. Aber es ist nicht das Klima, es sind Wölfe im Schafspelz, die die Lämmer zu Opfertieren machen.

V.

Der scharfsichtigste deutsche Lyriker der Nachkriegszeit, der kürzlich verstorbene Hans Magnus Enzensberger, schrieb 1957 das berühmte Gedicht: Die Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer. Einige Zeilen daraus sind von atemberaubender Aktualität. Sie liefern ein exaktes Porträt des lammfrommen Bürgers, der sich zum Herdenvieh machen lässt. Die Unterdrücker tarnen sich als Schafe und handeln als Wölfe. Der Witz und die Treffsicherheit des Gedichts kommt daher, dass Enzensberger nicht in die Klage über die Wölfe einstimmt, sondern die Lämmer verspottet. Es sind Opfer, haben aber kein Mitleid verdient:

„seht in den Spiegel: feig,
scheuend die mühsal der wahrheit,
dem lernen abgeneigt, das denken
überantwortend den wölfen,
den nasenring euer teuerster schmuck,
keine täuschung zu dumm, kein trost
zu billig, jede erpressung
ist für euch noch zu milde.“

Besser kann der Zustand des deutschen Bürgertums in Zeiten grüner Diskurshoheit nicht beschrieben werden. Das Gedicht endet so:

„ihr (…)
werft euch aufs faule bett
des gehorsams, winselnd noch
lügt ihr, zerrissen
wollt ihr werden, ihr
ändert die Welt nicht mehr.“

Es sind die Wölfe, die den Lämmern einreden, die Welt ändern zu können. Es geht ganz leicht: Sie müssen sich nur ein wenig opfern lassen. Frohe Ostern!

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Kommentare ( 60 )

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Je me souviens
1 Jahr her

Wolfgang Herles, dessen Kolumnen ich immer ob der Treffsicherheit seiner prägnanten Sätze und Worte sehr schätze, sei nach seiner süffisanten Stichelei, das Christentum sei [sic!]strenggenommen kulturelle Aneignung, das Lesen des 10. Kapitels des Briefes des Apostel Paulus an die Hebräer im Neuen Testament empfohlen. Wenn der Autor so formuliert, legt er den Verdacht nahe, dass er die schlichte Übernahme eines Ritus und seine Imitation insinuiert. Das Christentum aber verkündet genau das Gegenteil, es hebt alle Lebende-Opfer auf und erklärt sie im neuen Bund eben für nicht mehr gottgefällig.

Wolfgang Schuckmann
1 Jahr her

Das kann nicht nur sein. Wir sehen es real ablaufen vor unseren Augen.
Und auch das Ende ist absehbar. Wir werden verschwinden.

alberto el primo
1 Jahr her

Einspruch, Euer Ehren! Enzensberger mag ein scharfsichtiger Autor gewesen sein, aber ein (guter) Lyriker war er nicht.

Monostatos
1 Jahr her

Das Gedicht von Hans Magnus Enzensberger bringt das Lakaientum der Deutschen präzise auf den Punkt. Vielen Dank für diese literarische Quelle. BTW: Heinrich Heine, sicherlich einer der größten deutschen Lyriker, kam vor ca. zwei Jahrhunderten zu sehr ähnlichen Diagnosen. Dieser Mangel an Selbstbewusstsein gehört offensichtlich und leider zur deutschen DNA.

Nibelung
1 Jahr her

Das Problem mit dem geistigen Zustand der Bevölkerung wird ja von zwei Seiten gesehen, wobei tatsächlich auch Schwächen zu erkennen sind, wenn diese nicht in der Lage sind, sich die geeignete Führung zum Selbstzweck auszuwählen. Die eine Gruppe, die sich über Geld definiert und damit glaubt etwas besseres zu sein, indem sie der Masse ihren eigenen Stempel aufdrücken wollen und die andere Seite ebenso rigide, weil sie sie ihre eigene Ordnung über göttliche Weisungen verbreiten wollen und somit beide Gruppen von Demokratie wenig halten und sich nun ergänzen in einem üblen Konglomerat von Machtansprüchen, die das Ziel haben, den Menschen… Mehr

Nihil Nemo
1 Jahr her

Zu III: Habeck ist weder Wolf noch Lamm. Er ist für mich der Deutsche Herrenmensch, Version 2.023. Er kennt das Richtige qua Geburt.

CIVIS
1 Jahr her

Auf den Punkt gebracht: „Es sind die Wölfe, die den Lämmern einreden, die Welt ändern zu können. Es geht ganz leicht: Sie müssen sich nur ein wenig opfern lassen.“

Ein „dreifach hoch“ auf diesen deutschlandtypischen, hochgradig moralisierenden Masochismus. Aus Schuld an allem Elend der Welt sind wir gerne bereit uns zu opfern, …auf dass sich der Rest der Welt ein leuchtendes Beispiel an uns nimmt und uns obendrein bewundert.

Leider haben nur wir die Opferrolle eingenommen; von Bewunderung und Nachahmung aber weltweit keine Spur. Im Gegenteil: es herrscht weltweite Verwunderung über so viel Dummheit !

Last edited 1 Jahr her by CIVIS
albert deutsch
1 Jahr her

Na wenn erst die Hälfte Heizungsverbote befürwortet hats noch Zeit .Aber bis zu Kurt Tucholskys : Die meisten feiern Weihnachten ,weil die meisten Weihnachten feiern ,fehlt hier nur noch ein kleiner Schritt und die Herde (Schafe) folgt.

Ralf Poehling
1 Jahr her

Ein Volltreffer, Herr Herles. In mehreren Punkten: Das Christentum ist in der Tat bei uns in unseren Gefilden das Resultat kultureller Aneignung. Kurioserweise wird das aber nie thematisiert. Es wird in unseren Gefilden ja immer gleich von Atheismus oder Heidentum fabuliert, wenn jemand kein Christ ist. Dabei wird vergessen, dass die Germanen usprünglich ihre eigene Religion hatten. Die Nordische Mythologie. Diese ist durch kulturelle Aneignung bei uns ins Private verdrängt worden und deshalb kaum noch sichtbar, gleichwohl sie hier noch existiert. Das hat bloß kaum jemand auf dem Schirm, da diese Aneignung nun schon pi mal Daumen ihre 1000 Jahre… Mehr

Farbauti
1 Jahr her
Antworten an  Ralf Poehling

„Allerdings lehnt die Kirche Waffen ab.“
Sie sollten öfter mal mit einem Pfaffen und seinem Gefolge sprechen.
Die Evangelischen sind hier beim gerechten Krieg gegen Putin mal wieder ganz vorne. Da bringen die Waffen den FRIEDEN.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Farbauti

Früher hingen vor den Kirchen die Hakenkreuzfahnen – heute die von der Ukraine. Bilder im www. Es könnte einem schlecht werden.
Und auch die Schlächter werden von den Kirchen aufs vorzüglichste willkommen geheißen. Wie in Byzanz hat man eine Pforte vergessen zu schließen – und die Gläubigen den Feinden anheim gegeben. Stefan Zweig beschreibt „Die Eroberung von Byzanz“: https://www.projekt-gutenberg.org/zweig/sternstu/chap003.html
Die jungen Männer haben heute zwar ein smartphone – der Glaube, der fest in ihren Hirnen implantiert ist, ist jedoch der ihrer Vorfahren. Kein Deut hat sich über die Jahrhunderte daran verändert.
Schauen Sie die Fußwaschung am Gründonnerstag: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2022-04/papst-gefaengnis-civitavecchia-fuesse-letztes-abendmahl-messe.html

Freigeistiger
1 Jahr her

„Angst vor der Klimakatastrophe soll die schweigenden Schafe zusammenhalten“. Kollektive Angst ist von zentraler Bedeutung, wenn man die Bürgerherde zusammenhalten und in die vorgesehene Richtung treiben will. Doch wie erzeugt man die erforderliche Angst, wenn die Wölfe (noch) keine Diktatoren mit uneingeschränkter Machtfülle sind und sich im Schafspelz als ehrliche, gutmeinende und harmlose Hirten präsentieren? Dazu muß eine existenzielle Bedrohung, eine große Gefahr vorhanden sein, mit der man die Herde hinter sich bringt und zum Gehorsam verpflichten kann. Traditionell erfüllen diese Aufgabe reale oder konstruierte Feinde und natürlich Krieg, der aber im Atomzeitalter unkalkulierbare Risiken birgt. Viel geeigneter und effektiver… Mehr