Jamaika nützt nur Merkel

Sie hat nichts falsch gemacht. Weiß nicht, was sie ändern soll. Ist nicht enttäuscht. Sagt, in der Ruhe liegt die Kraft. Und meint: Nach mir die Sintflut. Enttäuschen kann sie nur ihr Sturz. Der wäre für sie bestürzend.

13 Prozent der Wähler haben die AfD angekreuzt. Aber 87 Prozent der öffentlichen Aufregung gelten dieser Partei. Was auch immer die anderen tun, sie begründen es mit der AfD.

I.

Wenn Frau Nahles im Karriererausch einen derb-doofen Scherz macht, gibts gleich kollektiv eins auf die Fresse. Und voll teutonischem Ernst mahnt die republikanische Kommentatorengarde: Angesichts der drohenden Herrschaft rechtsradikalen Ungeistes müssten alle Demokraten ihre Worte doppelt wägen. Nur zur Erinnerung: Der wirkungsvollste Fraktionsvorsitzende der SPD war ein gewisser Herbert Wehner. Er sammelte die meisten Ordnungsrufe, beleidigte mit grandiosem Furor und war dennoch der Inbegriff eines Parlamentariers. Zur Beruhigung empfindsamer Gemüter: Frau Nahles wird nie ein zweiter Wehner.

II.

Mit der AfD wird auch begründet und allgemein begrüßt, dass Wolfgang Schäuble Bundestagspräsident werden soll. Er allein könne den ungehobelten Halbfaschisten, wenn schon nicht Manieren beibringen, so sie doch wenigsten daran hindern, im Hohen Haus die Wacht am Rhein anzustimmen.

Verlogener geht´s nicht. Merkels erster Schachzug war es, ihren besten Mann aus dem Verkehr zu ziehen, um der FDP ein Angebot zu machen, dass diese nicht ablehnen kann. Um nichts anderes geht es. Wer den Präsidenten macht, ist zweitrangig. Merkel will die FDP im Rausch der Wiedergeburt einkaufen, noch bevor über Steuersenkungen und andere liberale Ziele geredet wird. So wie Kubicki gerade durch die Talkshows tourt, ist er nicht ganz zurechnungsfähig vor Glück. Ob Lindner seinen Verstand behält, wissen wir noch nicht.

III.

Apropos Schäuble: Er war nicht der beste Finanzminister, er war nur Merkels bester Mann. Er war sogar ein ziemlich schlechter Finanzminister, dessen Fortune darin bestand, dass die Steuerquellen sprudelten wie nie zuvor. Und der nichts davon an die Bürger zurückgab. Der die immer noch maßlose Verschuldung nur in Grenzen hielt, weil den Normalverdienern der Zins für ihr Erspartes gestohlen wurde. „Unser Problem ist“, sagte gestern Schäubles Staatssekretär Jens Spahn, „dass wir zuviel Geld einnehmen“. Und trotzdem nicht genug vorsorgen für schlechtere Zeiten, die dank Merkels Politik auf dem Fuß folgen. Schäubles Steuerstaat ist Ausbeuter und Verschwender zugleich. Nur, weil es dieser Staatsdiener gelegentlich wagte, ein Gesicht zu machen, als sei er nicht mit allem ganz einverstanden, was seine Herrin befiehlt, ist er noch kein Held. Schäuble war der einzige, der die Mittel gehabt hätte, Merkel zu stürzen. Dann hätte er sich um dieses Land verdient gemacht. So bleibt er als einer in Erinnerung, der sich dreimal von Merkel abservieren ließ, ohne zu murren.

IV.

Die zentrale Frage der deutschen Politik bleibt offen: Wann endlich endet das Regiment der Frau, die ihrer Partei, ihrem Land und Europa mehr geschadet hat als alle bisherigen Kanzler der Bundesrepublik zusammen. Sie selbst will sich nicht einmal vorstellen, was sie hätte anders machen sollen. Sie sagt: In der Ruhe liegt die Kraft. Und meint: Nach mir die Sintflut. Sie sagt: Ich bin nicht enttäuscht. Lügt sie, oder leidet sie unter Realitätsverlust? Weder noch: Sie ist nicht enttäuschbar, so lange sie die Macht behält, gleichgültig wie.

V.

Dafür sorgen nun alle Mainstream-Parteien, einschließlich des Nahles-Clubs. Sie haben sich schon wieder auf eine vermeintliche Alternativlosigkeit geeinigt: Neuwahlen dürften nicht sein, Neuwahlen nützten keinem, allenfalls der AfD, Neuwahlen widersprächen dem Wählerwillen. Für wie unbedarft hält die politische Klasse den Souverän?

Doch Merkels krachende Niederlage wird bereits zu einem Meisterstück mit dem sonnigen Namen Jamaika umetikettiert. Alle beteiligten Parteien werden Schaden nehmen in der Koalition der Verliererin. Jamaika nützt nur Merkel selbst. Dann hat sie alles wegkoaliert, was zu kriegen war. Die Grünen werden es ihr von allen Koalitionspartnern am leichtesten machen. Sie hingen bereits in der „Opposition“ an Muttis Rockzipfel. Kretschi betet schon länger für sie. Die Grünen waren der Pfarrerstochter von jeher näher als ihre eigene Partei.


Wolfgang Herles ist Schriftsteller und (TV-) Journalist, er schrieb mehrere Romane und zahlreiche politische Sachbücher, zuletzt Die Gefallsüchtigen in dem er das Quotendiktat der öffentlich-rechtlichen Medien und den Populismus der Politik attackiert. Sie erhalten es in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop

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Kommentare ( 35 )

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35 Comments
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Silverager
7 Jahre her

Nein, weil Sie eine solche Wette garantiert gewinnen würden. :-))

Heinz Straten
7 Jahre her

So ist es! Und das Pampern wird ich noch als sehr nachteilig erweisen.

Jochen
7 Jahre her

„…tiefe Abgründe seines Wesen?“ Das ist die originale Denke von Freimaurern, die er intus hat. Und die sind unverwundbar.

Jochen
7 Jahre her

Mens sana in corpore sano. Wozu man doch Latein gelernt hat…

Jochen
7 Jahre her

De-Industrialisierung, die ist das eigentliche Ziel, das auch schon der Club of Rome gefordert hat. Wieso stellt niemand die Frage: Cui bono?

Jochen
7 Jahre her

Vorwand wofür, bitte?

frederike
7 Jahre her

Verhindern von Neuwahlen bedeutet nur eins, man hat Angst dass die AfD noch stärker wird und es noch enger für die Etablierten wird. Dann fabuliert man von Wählerauftrag! Lachhaft! Eine Koalition und schon gar nicht eine dreier Koalition ist in den seltensten Fällen Wählerauftrag. Sondern das klammern der sie zu Siegern erhebenden an den gut gefüllten Fleischtöpfen (Metapher) der Nation. Von letzterem darf man in dem Zusammenhang sicher noch davon sprechen.

Ute Iwan
7 Jahre her

Der übereifrig blinde Aktionusmus der Grünen
im Hinblick darauf, endlich mitregieren zu können, mutet fast schon putzig an.

Bernd
7 Jahre her

„Europa“, unter Führung der EU, soll sich für den internationalen Wettbewerb aufstellen, indem nun auch China zum Konkurrenten herangewachsen ist. In China fusionieren Grossunternehmen, die weltweit zu Markverdrängern werden. Frankreich und Deutschland wollen die EU so gestalten, dass sie ein Gegengewicht bieten kann.

Andrea Dickerson
7 Jahre her

Ich schrieb es schon vor ein paar Tagen zum Artikel des Finanzbeamten Glomb hier, der den Euro mit konzipierte und einführte. Ein Franzose brachte den Euro ins Spiel, Kohl gefiel das, dem Finanzminister nicht. Genscher griff den Vorschlag auf und Kohl sägte seinen Finanzminister ab, ersetzte ihn mit Euro-Waigel. Es kam der Euro… Zu beobachten ist nun also Kubicki, und sobald er sich auch nur annähernd positiv über Macrons Transferunion äußert, muß man auf die Barrikaden gehen. Merkel hat zwar gesagt, daß sie nach einer „gewonnenen“ Wahl konzentrierter am „Zusammenwachsen Europas“ arbeiten will, aber was das bedeutet, haben die meisten… Mehr