Der März ist ein deutscher Schicksalsmonat. Überall stehen Barrikaden herum, hinter denen sich die Menschen verstecken. Andere werden fallen, noch ehe die AfD erste Rundfunkräte schickt.
Der März ist kein Wonnemonat, lieber Roland Tichy. Er verspricht mehr, als er selbst halten kann. Der Winterschlaf vorbei, doch von Frühlingserwachen noch kaum eine Ahnung. Die frühen Knospen kriegen leicht eine Ladung Frost ab. Was mit mir los ist, Tichy? Was soll schon los sein, ich schreibe über Politik. Nur eben ein wenig durch die Blume. Wir sind ja jetzt alle ein wenig grün angehaucht.
I.
Und das kommt so. Winfried Merkel und Angela Kretschmann haben nicht nur füreinander gebetet, sie sind auch auf beinahe magische Weise in der Lage, sich ineinander zu verwandeln. Wie ein Kippbild. So sehr man sich auch anstrengt, es gelingt nie, beide Bilder gleichzeitig zu fixieren. Entweder Osterhase oder Ente. Kretschmann oder Merkel. Jeweils das, was der Betrachter auf Grund vorprogrammierter Deutungen erkennen will. Dabei sind sie materiell gesehen identisch, die selben Punkte und Linien – aber zwei Schematisierungen. Unser Gehirn ist nicht in der Lage, beide zu koordinieren. Deshalb wählen wir Merkel in Gestalt des Kretschmann. Und nächstes Jahr im Herbst vielleicht Kretschmann in Gestalt der Merkel. Die Naturwissenschaftlerin hat das natürlich längst erkannt. Sie lässt auch den Bundestag wie eine Kippfigur aussehen. Alles eine einzige Partei, die lediglich in unseren Köpfen unterschiedliche Gestaltwahrnehmungen auslöst. Merkel ist somit die einzige Politikerin, die hirnphysiologische Erkenntnisse in Strategie umsetzt. Unschlagbar, wie sie die linken Gehirnhälften ihrer Parteifreunde gegen die rechten ausspielt. Jemand wie Frau Klöckner weiß am Ende nicht mehr, ob sie Männlein oder Weiblein ist. Aber Hauptsache, sie weiß, weshalb sie verloren hat, jedoch Frau Merkel zugleich gewonnen, obwohl sie eigentlich der selben Partei angehören.
II.
Der März ist ja auch eine Art metereologisches Kippbild. Man reißt sich den Schal vom Hals und liegt am Morgen danach mit Angina im Bett. Die Veränderung ist nicht stabil, die Hoffnung nicht eingelöst. Nur eines ist sicher: Draußen ist es länger hell. Also Fenster auf! Auch in der CDU. Man wünschte sich jetzt die kreative Rivalität zurück, die es in der CDU einst gab, als dem mächtigen Kanzler-Parteichef Helmut Kohl aus heutiger Sicht verblüffend selbstständige, strategisch und programmatisch denkende Generalsekretäre wie Biedenkopf und Geißler gegenüber standen. Der Sekretär heute kann politisch nicht mal Steno. Er heißt Tauber, was eigentlich kein passender Name ist, tatsächlich folgt er dem leisesten Flüstern seiner Chefin.
III.
Womit wir bei den Iden des März wären. Hüte dich vor den Iden des März, warnte der Augur Titus Vestricius Spurinna den Cäsar. Die CDU aber hat weder einen Brutus noch einen künftigen Augustus in ihren Reihen. Weiß man doch, Brutus ist zwar eigentlich ein ehrenwerter, tatsächlich aber ein höchst unbeliebter Mann.
Können Sie folgen, Tichy? Es kommt auf den kleinen Unterschied zwischen eigentlich und tatsächlich an. Ein einfaches Beispiel: Eigentlich ist die Kanzlerin auch Parteivorsitzende, aber tatsächlich kennt sie keine Parteien mehr, sondern nur ihre Kanzlerei. Eigentlich müsste die CDU deshalb darauf bestehen, dass sie sich auf ihr Staatsamt konzentriert und einen anderen Parteivorsitzenden wählen. Tatsächlich bilden die beiden Jobs nicht einmal mehr ein Kippbild. In der CDU kippen nur noch die Stühle der Kanzlerinnenkritiker. Eigentlich wäre jetzt ein Sonderparteitag fällig. Tatsächlich würde dort der Mannheimer Klatschrekord für Merkel in Gefahr geraten. Eigentlich müsste jetzt die CSU die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag verlassen, aus der Koalition ausscheiden und demnächst Merkel als gemeinsame Kanzlerkandidatin ablehnen. Tatsächlich fallen im März eher die Blätter.
IV.
Zum März gehören die Märzgefallenen. Der Begriff bezieht sich auf zwei Ereignisse der deutschen Geschichte. Erstens auf die Opfer der gescheiterten Märzrevolution 1848. Eine Niederlage der Demokraten. Sie gingen vergeblich auf die Barrikaden. Der März des Jahres 2016 kennt keine Gefallenen. Aber es war auch keine Revolution. Nur Barrikaden stehen herum, hinter denen sich die Leute verstecken statt sie zu besteigen.
V.
Zweitens: Anfang März (!) 1933 fand die letzte Reichstagswahl mit mehr als einer Partei statt. Hitler war bereits Reichskanzler, doch für die Nazis reichte es noch immer nicht ganz zur absoluten Mehrheit. Nach dieser Wahl beantragten Scharen von Beamten die Mitgliedschaft in der NSDAP. Man nannte sie die Märzgefallenen. Es ist nicht bekannt, ob sich viele Staatsdiener bereits der AfD andienen. Aber es wird geschehen. Wetten dass? Auch mancher Journalist gehört schon zu den Märzgefallenen. War die AfD vergangene Woche noch nichts als Abschaum, ist es heute sonnenklar, weshalb so viele Wähler gar nicht anders konnten, als sie zu wählen. Warten Sie erst mal ab, bis die AfD in allen Rundfunkräten sitzt.
Hier endet der Vergleich. Wer jetzt die AfD mit der NSDAP vergleicht (wie der Bild-Herausgeber und der Zentralratschef der Muslime), verharmlost die Nazis und dämonisiert die einzige Partei, die nicht in Merkels Kippbild passt.
VI.
In der CDU-Parteizentrale sollen Flugblätter eines Kommandos Friedrich Merz (März?) aufgetaucht sein. (Unbestätigtes Gerücht)
VII.
Unsere Kanzlerin hält es mit der Bauernregel: Der März soll wie ein Wolf kommen und wie ein Lamm gehen. Es steht aber nicht im Grundgesetz, dass sich das Wetter daran halten muss.
In diesem Sinne stets Ihr
Wolfgang Herles
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