Sicherheit über alles, vor allem in gefährlichen Zeiten. Wie sich Gesellschaften ändern, in denen die Freiheit wenig wert ist und die Sicherheit benutzt wird.
Jetzt mache ich mich todsicher unbeliebt, lieber Roland Tichy. Denn über Sicherheit wird nicht diskutiert. Es wird gekuscht. Denn Sicherheit geht vor. Alles, was Sicherheit verspricht, hat unwidersprochen akzeptiert zu werden. Doch warum eigentlich?
I.
Mehr Sicherheit? Ich kenne jemanden, der im Auftrag der Polizei Waffen und Sprengstoff durch Sicherheitskontrollen auf Flughäfen geschmuggelt hat (um die Sicherheit der Sicherheit zu testen). Es gelingt verblüffend oft. Bleibt aber streng geheim. Denn die Sicherheitsprozedur ist nicht für die Sicherheit da, sondern für das Sicherheitsgefühl der Passagiere. Mehr Psychologie statt effektiver Schutz. Dafür der irrsinnige Aufwand? Die Verwandlung von Passagieren zu Herdenvieh, die sich klaglos an Geschlechtsteilen herumtatschen lassen? Aber wehe, du sagst etwas! Dann bleibst du besser zuhause.
II.
Kürzlich in Berlin:
„Tourist oder Terrorist?“
„Wie bitte?“
„Tourist oder Terrorist?“ Der Sicherheitsmann am Gate fand seinen Gag so toll, dass er ihn wiederholte.
Ich war sprachlos. Eine Antwort hätte der Uniformierte verdient. „Kein Terrorist, bloß ein wenig lebensmüde“, wäre eine Möglichkeit gewesen. Oder: „Ganz sicher kein Tourist.“
Wie auch immer, ich hätte die Prozedur erheblich verlängert. Scherze machen nur Amtspersonen. In Amerika, Australien und anderswo sind Späße bei Sicherheitskontrollen gesetzlich sogar ausdrücklich verboten. Du machst dich strafbar, wenn du die Zumutungen mit Humor erleichterst.
III.
Voller Stolz meldeten die Behörden, beim Fußballspiel in Berlin gegen England seien Körperscanner für Journalisten eingesetzt worden. Die akkreditierten – also namentlich bekannten – Medienvertreter wurden am schärfsten kontrolliert. Das zeigt den ganzen Unsinn. Mit Sicherheit wird angegeben.
Sprechen wir es ruhig aus. Die meisten Sicherheitsvorkehrungen sind dumm, denn sie unterscheiden nicht. Für Menschenmassen gilt der Grundsatz: Alle Personen werden ausnahmslos gleich kontrolliert, selbst Greise, Kleinkinder, etc. Es sind aber nicht alle gleich gefährlich. Es gibt längst weit überlegene psychologische Methoden, mit denen geschultes Personal mit wenigen Blicken und Fragen potentielle Gefährder herausfiltern könnte, statt bei jedermann akribisch nach Wasserfläschchen, Rasierwasser, Zigarrenabschneidern oder Nagelfeilen zu fahnden.
IV.
Das gilt vermutlich auch für die flächendeckende Überwachung der Kommunikation. Ein gigantischer Aufwand – abgesehen vom Datenschutzproblem. Alle Terroristen in Brüssel und Paris waren den Behörden bereits aufgefallen. Nichts hat es genützt. Wer glaubt, totales Datensammeln sei die Lösung, macht sich etwas vor. Totale Sicherheit ist immer Illusion und immer totalitär dazu.
V.
Die Sicherheitsindustrie ist eine dumme Industrie. Aber sie setzt Milliarden um. Sie wächst krebsartig und kommt dem Terror doch nicht hinterher. Niemand stellt in Frage, ob Aufwand und Repression in einem gesunden Verhältnis zum Nutzen stehen. Die Sicherheitsindustrie ist nicht idiotensicher. Mit Sicherheit aber voller Idioten.
VI.
Sicherheitsapparate haben generell eine latente Neigung zum Polizeistaat. Sie verwechseln Schikane mit Sicherheit. Sicherheit verbessert man nicht mit Schikanen, sondern mit Intelligenz. Zurecht heißen im Englischen Geheimdienste Intelligence Service. Je intelligenter die Sicherheitssysteme sind, desto unauffälliger und spezifischer und ziviler sind sie zugleich.
Das allgemeine Sicherheitsbedürfnis gibt Leuten und Institutionen Autorität, die ihnen nicht zusteht. Das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung ist das letzte Gebiet, auf dem moderne Staaten Bürger wie Untertanen behandeln und dafür noch gelobt werden.
VII.
9/11 hat die USA verändert. Seitdem ist es eine Zumutung, in die USA einzureisen. Man wird wie ein Verdächtiger behandelt. Ich musste schon wegen eines verrotzten Tempotaschentuchs, das ich dem Bodyscannerman verschwiegen hatte, zur verschärften Durchsuchung. Das größte Risiko auf amerikanischen Flughäfen ist der Fußpilz. Ständig muss man sich die Schuhe ausziehen. Der patzige, militaristische Ton der Beamten, das stundenlange Schlange haben ein Weltniveau, gegen das sich die DDR nicht verstecken müsste. Welcome im Land der Freiheit. Es darf nicht gefragt, nicht hinterfragt und schon gar nicht kritisiert werden, was im Namen der heiligen Sicherheit geschieht. Ich will nicht, dass Europa so wird wie die USA. Kleinigkeiten? Nein, es geht um Würde, die wir uns im Namen der Sicherheit klaglos abnehmen lassen. Wie erbärmlich ist das!
VIII.
Terroristen schüren Ängste. Ihr Ziel ist es, die offenen Gesellschaften zu zerstören. Ihnen die Freiheit zu nehmen, indem sie den Sicherheitswahn entfachen. In den USA ist es den Terroristen schon gelungen. In Deutschland noch nicht. Aber warten wir mal ab, bis auch hier etwas Größeres passiert. Für ein wenig mehr vermeintlicher Sicherheit müsse man eben ein paar Unannehmlichkeiten akzeptieren, heißt es. Es sind schon längst ein paar Unannehmlichkeiten zu viel.
Der Mangel an Freiheitsliebe hierzulande ist nicht zu übersehen. Sicherheit vor Freiheit: Das unterschreibt auch die große Mehrheit der Deutschen. Ich nicht.
In diesem Sinne stets Ihr
Wolfgang Herles
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