Wir müssen jetzt streiten über die Zukunft Europas. Wir müssen es von Grund auf demokratisieren und neu konstruieren. Eine gute Zukunft Europas liegt nicht in einem Supernationalstaat, sondern in einem superintelligenten Netzwerk auf der Basis seiner Regionen. Ein Verfassungskonvent ist notwendig.
Servus Tichy, ich widerspreche! Da haben nicht „die Mutigen den Schritt ins Freie gewagt“. Es ist ein Sieg der Dummheit des Oberschichtenschnösels Cameron. Er könnte als derjenige in die Geschichte eingehen, der das Vereinigte Königreich zerlegt und der City in London den Strom abgedreht hat. Es war ein Sieg der Alten gegen die Jugend, der Vergangenheit über die Zukunft.
I.
Die EU ist nicht „über Nacht eine muffige Gemeinschaft geworden, in der Kommissare regieren“, die Sie aparter weise an den Genickschuss-Stalinismus erinnern. Es waren die Nationalstaaten und ihre geschichtsvergessenen politischen Führungseliten, die das Debakel seit langem zu verantworten haben. Von der Gurkenkrümmung bis zu Merkels Flüchtlingspolitik (die einen wesentlichen Anteil am Brexit hat) waren es immer Nationalstaaten, die aus den Brüsseler Institutionen die Karikatur eines vereinten Europas gemacht haben.
Würde Europas Union zerfallen, müsste man sie auf der Stelle neu gründen. Mit weniger Mitgliedern, doch besserem Zusammenhalt. Es muss jetzt Schluss sein mit der in Brüssels und Berlins Amtsstuben üblichen Denkungsart: Was scheren uns die Ängste und niederen Instinkte der Bürger, Europa in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf. Die nationalistischen Esel sind dazu durchaus in der Lage.
II.
Die Europäische Union ist der Turmbau zu Brüssel. Große, visionäre Projekte sind aber nicht schon deshalb unbrauchbar, weil sie falsch konstruiert sind. Das Bauvorhaben an sich ist richtig. Der Bauplan ist falsch, die Baustelle außer Kontrolle.
Man hat im zehnten Stock zu bauen begonnen, obwohl das Fundament noch nicht komplett gegossen und ausgehärtet war. Die Bürokraten haben sich eingenistet, noch ehe Türen und Fenster im Turm waren. Was längst hätte geschehen müssen, fehlt bis heute: Eine gemeinsame europäische Armee. 1954 an der französischen Nationalversammlung gescheitert, die ihre Atommacht zu kurz nach dem Sieg gegen Hitler-Deutschland nicht mit der Bundesrepublik teilen wollte. Aber nach dem Kalten Krieg wäre dies möglich und wichtiger gewesen als die Währungsunion.
Gemeinsame Grenzen gemeinsam zu schützen , wäre nicht erst heute notwendig. Auch eine gemeinsame Außenpolitik, die diesen Namen verdient, wäre längst fällig. Die Union zu erweitern, ohne sie zunächst hinreichend zu vertiefen, war utopisch. Utopien halten den Lauf der Geschichte für ein Naturgesetz. Siehe Kommunismus. Utopien bürden den Lebenden Opfer auf, die sich Jahrzehnte später auszahlen sollen. Beispiel Währungsunion: Solange sich Volkswirtschaften und Sozialsysteme stark unterscheiden, kann sie nicht funktionieren. Die politische Klasse hatte für Ökonomie selten Verständnis. Ihr Verhältnis zur Wirtschaft oszilliert zwischen Hybris und Verachtung.
III.
Wo bleibt das europäische Narrativ? Die Grundorientierung, die Antwort auf das große WOZU? Frieden statt immer wieder Krieg in Europa, diese Nachkriegserkenntnis ist realisiert und damit konsumiert. Eine Errungenschaft, die nicht genug geschätzt werden kann, aber die Herausforderungen der Zukunft nicht beantwortet. Die Bürger haben nicht Angst vor Krieg in Deutschland. Sie werden aber zunehmend beherrscht von anderen Ängsten. Die EU schürt sie. Immer mehr Wähler verschanzen sich hinter den vertrauten Mauern ihrer Nationalstaaten. Sie bieten keinen Schutz, nur altbackene Illusionen. Es ist doch nicht Merkels Berliner Verhau, dem wir mehr vertrauen als Brüssel, Tichy! Der Unterschied ist nur, dass der eigene Verhau demokratisch legitimiert ist.
IV.
V.
Also, was nun? Die Europäische Union wird nur akzeptiert werden, wenn alles, was in den Regionen geregelt werden kann, dort auch entschieden werden darf. Die Einteilung der Menschheit in Nationalstaaten ist weder besonders alt, noch besonders vernünftig. Nationen sind in der Regel eher das Ergebnis blutiger Machtkämpfe als das gemeinsamer Herkunft. Aus dem Konstrukt der Nation wurde die blutigste Ideologie der Weltgeschichte. Ist das so schwer zu kapieren?
Nationalstaaten können nur dort überwunden werden, wo ihre Grenzen Regionen zerschneiden. Bayern hat mit den anderen Alpenländern mehr gemeinsam (Wirtschaft, Kultur, Mentalität) als mit Brandenburg. Kölner und Düsseldorfer fühlen sich in Amsterdam und Lüttich wohler als in Dresden. Der Brexit hat doch auch mit dem von London unterdrückten Regionalismus zu tun. Die Schotten ticken europäischer als die Engländer. Europa vom Kopf auf die Füße zu stellen ist jetzt also notwendig. Auf die Füße: also auf seine Regionen.
VI.
Das heißt: Abbau der Brüsseler Bürokratie und zugleich Stärkung des gemeinsamen Fundaments. Rückbau und Aufbau zugleich. Alles, was Regionen nicht können: Verteidigung, Einwanderungsrecht, Außenpolitik, Außenwirtschaftsbeziehungen gehören nach Brüssel. Was dann für Berlin übrig bleibt, wird man sehen. Weniger als heute. Vermutlich die Sozialpolitik. Wer jetzt eine europäische Sozialunion fordert, macht alles nur noch schlimmer. Denn es hieße Angleichung auf Mittelmaß. Viele Deutschen könnten dabei nur verlieren. Davor haben sie Angst. Deshalb nistet die Eurosklerose auch in ihren Köpfen.
VII.
Was wir jetzt sofort brauchen ist nicht das Merkelsche Diskursvermeidungs-Gelaber. Wir müssen jetzt streiten über die Zukunft Europas. Wir müssen es von Grund auf demokratisieren und neu konstruieren. Eine gute Zukunft Europas liegt nicht in einem Supernationalstaat, sondern in einem superintelligenten Netzwerk auf der Basis seiner Regionen. Ein neuer Verfassungskonvent ist notwendig.
Sonst ist nach dem Brexit vor dem Exit. Na dann Servus!
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