Weil die Machthaber meist nicht freiwillig gehen, sollten die demokratischen Regeln geändert, die Amtszeit von Regierungschefs auf zwei Wahlperioden begrenzt werden.
Über notwendige Reformen der deutschen Demokratie. Kanzler sollten nicht länger als zwei Wahlperioden im Amt sein.
I.
Der CDU-Parteitag in Karlsruhe markiert den Beginn einer zweijährigen Periode pausenlosen Wahlkampfs von den drei Landtagswahlen im kommenden März bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017. Politik wird nun noch mehr als sonst der Gefallsucht unterworfen. Noch mehr Symbol- und Scheinpolitik beschäftigt die medial erregte Gesellschaft.
In Karlsruhe wird die CDU vermutlich ein Burka-Verbot beschließen und als Lösung anpreisen. Abgesehen davon, ob es sich gegen Einwände des Koalitionspartners und des Bundesverfassungsgerichts überhaupt durchsetzen ließe: Integration ist weder so noch anders zu erzwingen. Entscheidend ist die Bereitschaft der Muslime in Deutschland, an ihrer eigenen Religion zu zweifeln. Der Parteitagszirkus wird das Publikum mit Begriffsakrobatik um das Wörtchen „Obergrenze“ ablenken. Dabei geht es doch nur darum, die Abschiebung einer einzigen Person aus der Politik zu verhindern. Es soll so aussehen, als habe sich Angela Merkel durchgesetzt, obwohl sie alles ändern soll. Würde die Öffentlichkeit der CDU diesen Mumpitz abnehmen, müsste ersthaft über die Begrenztheit der Oberstübchen politischer Journalisten debattiert werden.
II.
Das große Paradox: Es kommt am Ende des superlangen Wahlkampfs gar nicht darauf an, was die CDU alles nicht zustande gebracht hat. Entscheidend für die Machtverhältnisse in den Parlamenten ist der wohl sichere Sprung der AfD über die Fünf-Prozent-Hürde. Die CDU wird davon profitieren, dass in den Parlamenten eine Partei mehr als bisher sitzen wird, und mit dieser AfD keine andere Partei koalieren mag. Deshalb riecht es nach weiteren großen Koalitionen (Merkelrot-Gabrielrot). Dies wären dann österreichische Verhältnisse. Die zwingende Folge ist bekannt: noch mehr Rückenwind für Rechtspopulisten.
Und deshalb kann Frau Merkel Kanzlerin bleiben, solange sie nicht amtsmüde ist, und es wird auch keinen Wechsel an der Spitze der CDU geben. Für die demokratische Substanz der Unionsparteien ist dies suboptimal. Und für die Lage des Landes sind dies nur insofern erträgliche Aussichten, als Rot-Rot-Grün, beziehungsweise Schwarz-Grün derzeit als unwahrscheinlich gelten können.
III.
Für den Kanzlerwahlverein CDU wäre es dennoch heute notwendig, Vorsorge für die Nachmerkelzeit zu treffen. Personell und programmatisch entleert, ist die Partei dazu nicht in der Lage.
Die Geschichte lehrt: Nach zwei Legislaturperioden sind Kanzler verbraucht. Das Amt hat sie ausgelaugt, ihre Innovationskraft ist geschwunden. Kohl ist das beste Beispiel. Nach acht Jahren und sinkender Zustimmung entging er auf dem Bremer Parteitag nur knapp dem Sturz. Dann fiel ihm die Mauer vor die Füße und er durfte als „Kanzler der Einheit“ quasi noch einmal von vorn anfangen. Eine historisch einmalige Situation. Nach wiederum zwei Wahlperioden konnte die Mehrheit der Wähler Kohl nicht mehr riechen. Er hätte nicht mehr kandidieren dürfen. Doch war seine Partei nicht in der Lage, ihn daran zu hindern und Schäuble ins Rennen zu schicken.
Schon Konrad Adenauers dritte und letzte Legislaturperiode war ein eher tragikkomischer Abgesang in Etappen gewesen. Die CDU litt unter der Unfähigkeit des „Alten“, rechtzeitig zu übergeben.
Nicht anders bei Angela Merkel. In den ersten zwei Wahlperioden schüttete Fortuna ihr Füllhorn über sie aus. Sie wurde zur lebenden Legende. In der dritten Periode reiht sie Fehler an Fehler, zeigt sich beratungsresistent wie die beiden anderen Langzeitkanzler vor ihr. Ihre Führungsmethode bewundert niemand mehr.
IV.
In einer Analogie zur Physik könnte man dies als das Gesetz der politischen Entropie – als Energieentwertung – bezeichnen. Einer Physikerin sollte man den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nicht erklären müssen. Von der Macht deformierte Politiker glauben aber immer, die Dynamik des Machtverfalls würden für alle gelten, nur nicht für sie.
V.
Weil die Machthaber meist nicht freiwillig gehen, sollten die demokratischen Regeln geändert, die Amtszeit von Regierungschefs auf zwei Wahlperioden begrenzt werden. Stünde Merkel heute vor dem automatischen Ende ihrer Kanzlerschaft, wäre ihr Ausscheiden keine Niederlage. Es sähe auch nicht nach Illoyalität oder Autoritätsverlust aus, wenn sich ihre Partei nun um einen neuen Kanzlerkandidaten versammeln müsste.
Traditionell versuchen die jeweiligen Machthaber, sich ihrer innerparteilichen Konkurrenten zu entledigen. Wenn aber die Kanzlerpartei nach wenigen Jahren einen neuen überzeugenden Kandidaten für das erste Amt benötigt, kann sie sich den Verschleiß der wenigen größeren Talente nicht leisten. Im Gegenteil: Starke Figuren sind dann erwünscht. Gäbe es in Deutschland eine Amtszeitbegrenzung, wäre zum Beispiel Schäuble wahrscheinlich schon Kanzler und Friedrich Merz noch immer auf der Bühne. Denn acht überschaubare Jahre lassen sich überwintern. Und Frau Merkel wäre bereits Geschichte.
VI.
Gewiss: Donald Trump kommt uns wie eine Horrorfigur aus einem schrägen Trashfilm vor. In den USA liegt das Problem an der in Europa ganz und gar undenkbaren Form der Parteienfinanzierung. Trump müsste in Deutschland erst einmal eine eigene Partei gründen, um am Rennen teilzunehmen. Davon abgesehen hätten Vorwahlen viele Vorteile. Sie wären Anreiz für politische Talente. Sie müssten und könnten sich auf offener Bühne bewähren.
Das vielleicht größte Problem der müden deutschen Demokratie ist das Ausbluten der politischen Eliten. Es hat mehrere Gründe. Einer ist, dass Kandidaten in Hinterzimmern gemacht werden. Liebedienerische Gefolgschaft zahlt sich für sie eher aus als intellektuelle Brillanz und Streitfähigkeit. Gäbe es Vorwahlen, würde niemand mehr Kanzler, der nicht reden kann oder will.
Wolfgang Herles: “Die Gefallsüchtigen – Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik” >>>
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