Mitleid hat Merz nicht verdient. Wieder einmal inszeniert die bürgerliche Mitte eine angebliche Wende als harmloses Stühlerücken. Das aber ist das wahre Scheitern, die tiefste Krise: Die Unfähigkeit zu einer echten demokratischen Wende.
Mit einem Male liegen alle Zumutungen der deutschen Politik offen zu Tage. Zu verdanken ist die klare Sicht auf die Dinge dem Sturz der Regierung, der endlich wieder dazu führt, dass die Stunde des Parlaments geschlagen hat. Oder besser: Geschlagen haben könnte /sollte / müsste. Genau in dieser Stunde wird aber auch deutlich, wo der Wurm steckt in der repräsentativen Demokratie dieses Landes. Mit einem Satz: Die Damen und Herren Volksvertreter verwechseln sich mit dem Souverän, den sie vertreten. Und zwar jeder einzelne Abgeordnete das ganze Volk, nicht bloß seine eigene Partei. Statt endlich ihren Job zu tun, fügen sie sich dem durchschaubaren Kalkül ihrer Organisationen. Die bestimmen, worüber notfalls gestritten, beraten, abgestimmt werden könnte / sollte / müsste. Denkste.
I.
Das Scheitern einer Regierung ist keine Krise, es ist das, wozu Demokratie erfunden wurde: geregelter Wechsel. Eine Ablösung ist keine Katastrophe, schon gar kein Verlust, sondern in jedem Fall immer auch eine Befreiung. Das Getue über den Sturz der Ampel zeugt von der überheblichen Anmaßung derer, die glauben, ohne sie ginge die Welt unter. Weil wenigstens zwei Ampelparteien aber genau dies glaubten, regierten sie rücksichtslos gegen den Willen der Mehrheit. Daher jetzt das Ende ohne jeden Schrecken. „Wir haben im Kabinett nicht über dasselbe Land gesprochen“ stellte der entlassene Finanzminister fest. Das trifft es auf den Punkt. Die Grünen und Roten haben jeweils nur ihr eigenes Land regiert. Nicht erst neulich, sondern seit langem. Der Kanzler und seine rot-grünen Volksbeglücker sind vollkommen frei von Selbstzweifeln. Sie leben nach wie vor in ihrer eigenen Welt.
Lindner: „Wer im Kreis läuft, kann keine Fortschrittskoalition führen“. Auch das ist keine neue Erkenntnis. Diese Ampel war ein von Inkompetenz, Wokeness und religiöser Inbrunst getriebene Zwangstransformation. Also ein permanenter Ausnahmezustand. Der nun endlich ausgebrochene Wahlkampf ist dagegen kein Ausnahmezustand.
II.
Die größte Lachnummer ist die plötzliche Entdeckung der einfachen Leute. Drei Jahre lang haben Rot und Grün alles getan, die Leute auszunehmen und ihnen das Leben schwer zu machen, sie zu regulieren, zu schikanieren und zu entmündigen. Anstatt sich dafür zu entschuldigen, tut die verbliebene Fußgängerampel so, als gäbe es jetzt nichts Wichtigeres, als in den letzten Wochen ihrer beschädigten Restregentschaft Gesetze zur „Entlastung der Fleißigen“ (Scholz) durchzudrücken. Soll das ein Witz sein? Und im schicken puderfarbenen Hosenanzug entdeckt plötzlich die feministische Außenministerin „die Menschen“ und klagt darüber, dass sich der Preis von Kartoffeln verdoppelt hat. Als sei das nicht auch die Schuld derer, die im Namen des Weltklimas eine beispiellose Teuerungswelle ausgelöst haben.
III.
Und die Unionsparteien sollen Schuld daran sein, wenn sie jetzt diesen „Wohltaten“ nicht zustimmen. Sie stimmen ja überwiegend zu. Keine Sorge. Sogar dem ziemlich unsinnigen Deutschlandticket. Wer dieser Tage die Debatte in den regierungsnahen Medien verfolgt, muss den Eindruck gewinnen, das „Deutschlandticket“ sei das Wichtigste überhaupt in diesem Land. An ihm entscheide sich nun Wohl und Wehe. Für so beschränkt halten die Parteien das Volk. Es soll das Ticket für Volksbeglückung halten, die über unendlich schlimmere Missstände (etwa der Dysfunktionalität der Bahn, der hinten und vorn das Geld zur Sanierung fehlt) hinweg täuscht. Aber die Angst vor den 13 Millionen Nutzern des Tickets ist stärker als die Vernunft.
IV.
Den amtierenden Kanzler Olaf Scholz hat der Schatten Joe Bidens erfasst. Es grummelt in seinem Laden. Doch von der erneuten, aussichtslosen Kandidatur zurücktreten, könnte nur er selbst. Er wird es nicht tun. Warum sollt er auch? In Deutschland droht ja kein Trump, sondern bloß ein Merz. Ein neuer Koalitionskompromiss. Ein irgendwie weiter so. Es geht nur noch um die internen Machtverhältnisse der künftigen schwarz-roten Koalition. In dieser Hinsicht ist Scholz für Merz ein bequemerer Gegner, als es Boris Pistorius wäre.
V.
Nein, weder Scholz noch Pistorius sind die wahren Gegner von Merz. Alice Weidel ist’s. Die AfD ist sein Hauptgegner im Kampf um die Stimmen der vernachlässigten Mitte. Da die schneidige „Kanzlerkandidatin“ nicht in die Verlegenheit kommen wird, Regierungsverantwortung zu übernehmen, spricht sie so, als könne sie demnächst durchregieren. Damit steht sie mit der Realität allerdings ebenso auf Kriegsfuß wie die Scholzokraten. Es wird ihr aber nicht schaden. Dank Merz! Die Unionsparteien tun sich keinen Gefallen, wenn sie mögliche Mehrheiten für Kernenergie, Migrationsbremse und Bürokratiestopp ausschlagen. Sie stecken in einem klassischen Dilemma, in das sie aus eigener Schuld geraten sind. Einerseits bräuchten sie für eine echte Politikwende die Stimmen der Unberührbaren im Parlament. Andererseits würden ihr die Wähler den unerwarteten Abriss der Brandmauer übel heimzahlen.
VI.
Der künftige Kanzler Merz führt also einen Zweifrontenkrieg gegen Rechts und Links zugleich. Er schwächt sich damit selbst. Seine dritte Front scheint zwar zur Zeit befriedet, bleibt aber sichtbar. Im Bundestag trat erstmals Markus Söder auf, nicht als Bayerischer Ministerpräsident, sondern um zu beweisen, dass er der bessere Wahlkämpfer wäre. Er kocht auch bloß mit Wasser. Doch Söder kann warten. Merz gibt schon heute den Kanzler, der schauen muss, wie er ein tragfähiges Mitte-Links-Bündnis zustande bekommt und trotzdem die Aufgabe löst: Entschlackung des Staates, Ende der Planwirtschaft, Aufschwung und Wachstum. Es ist eine so gut wie unerfüllbare Mission. Mitleid hat Merz nicht verdient. Wieder einmal inszeniert die bürgerliche Mitte eine angebliche Wende als harmloses Stühlerücken. Das aber ist das wahre Scheitern, die tiefste Krise: Die Unfähigkeit zu einer echten demokratischen Wende.
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Ach, die Brosamen vom Tisch der Herrn Herles! Frau Dr. Weidel gönnt er ein „Alice Weidel,… schneidige Kanzlerkandidatin, die nicht in die Verlegenheit kommen wird, Regierungsverantwortung zu übernehmen“. Lieber Herr Herles, Frau Dr. Weidel wäre ganz im Gegenteil die einzige im Hohen Hause, die die Übernahme der Regierungsverantwortung in keinerlei Verlegenheit bringen würde. Einfach nur mal der Frau zuhören und mitdenken, okay?
Die Parteien sind sich einig, Deutschland 4 weitere Jahre zu zerstören. Sie werden nichts verändern und keine Schuld eingestehen und werden sich weiter Geld Macht und Pöstchen zuschieben. CDU und CSU und SPD werden sich von 2025 bis 2029 mit hoher Wahrscheinlichkeit von 2025 bis 2029 zu einer mittelgroßen Koalition zusammenschließen. Alles andere ist nur Show und Gewäsch. 32 Prozent Union 16 Prozent SPD. Das reicht um 4 Jahre durchzuregieren. Eine andere Machtoption als die SPD hat Merz doch auch gar nicht. Die lachen die Wähler aus und das können sie auch. Denn an dieser Koalition führt kaum ein Weg… Mehr
Kann es sein, dass das 49-Euroticket gar kein „Geschenk“ an die Bevölkerung ist, sondern das Mobilticket für die Wanderer aus fremden Welten, damit sie sich planmäßig über das Land ergießen können? Heute hier und morgen dort, immer fort!
Kalter Staatsstreich?
Merz mit bürgerlicher Mitte gleichzusetzen, ist hahnebüchen. Merz repräsentiert schon lange nicht mehr die bürgerliche Mitte, wenn er es je getan hat. Er ist so weit nach links gerutscht, das links davon nicht mehr viel Platz ist und bürgerlich? Niemals, bestenfalls elitär. Lindner muss man nicht rein waschen und er selbst muss auch keine Krokodilstränen vergießen. Er ist 3 Jahre lang mit im Kreis gelaufen, obwohl er mehrfach die Möglichkeit hatte, aus diesem Kreis auszubrechen. Ich wünsche der opportunistischen FDP, dass sie nicht mehr auf die Beine kommt. Die Stunde des Parlaments hätte schlagen müssen, aber die, die glauben der… Mehr
Merz ist ein abgehobener Hardore-Globalist ohne Ausstrahlung und mit charakterlichen Defiziten behaftet, zumindest nach meiner Einschätzung Einer der mit hängenden Schultern durch die Lande tingelt und zum Einknicken neigt, wenn er etwas mehr als den „handelsüblichen“ Widerstand verspürt. Seine martialischen Sprüche missfallen mir sehr, Leute wie er könnten daran Schuld tragen, wenn ich auf meine alten Tage noch einen Luftschutzbunker aufsuchen muss, er selbst hätte sich dann längst ein einen sichereren Winkel der Erde verkrümelt. Wenn das Geld in jeder gewünschten Menge vom Konto kommt, ist eben vieles machbar. Merz ist ein „Anywhere“ – nix mehr mit heimatverwurzeltem Sauerländer –… Mehr
Die Wähler würden der CDU den unerwarteten Abriss der Brandmauer übel heimzahlen?
Ganz im Gegenteil. Nach diversen Umfragen wollen zwei Drittel der Wähler eine Blau/Schwarze Koalition. Anders ist nach Lage der Dinge auch keine wirkliche Politikänderung zu bekommen. Es wäre auch ein kleiner Schritt zurück zu demokratischen Verhältnissen.
Ein Abriß der Brandmauer würde sicher dazu führen, daß einige unverbesserliche Merkel-Anhänger dann grün oder rot wählen, dafür aber sehr viel mehr aus dem Nichtwähler-Lager zurückkommen.
SPD und Grüne schäumen vor Wut auf den Spielverderber Lindner mit seiner FDP. Klar – ohne sie können sie ihr schmutziges Spiel nicht fortsetzen. Da gehen so mancher schöne Posten, so manches leistungslose Einkommen nach den Wahlen verloren.
Die CDU ist nicht die bürgerliche Mitte! Merz und Co hatten drei Jahre lang Zeit, für die bürgerliche Mitte einzutreten und haben es vorgezogen alle linken Spinnereien mitzumachen. Das gleiche gilt auch für ihre FDP Herr Herles. Jetzt, wo das Kind bereits im Brunnen liegt, die Umfragen eindeutiger nicht mehr sein können und die Wahlergebnisse eine deutliche Sprache sprechen, entdeckt man die konservativen Themen und bedient sich dazu ungeniert bei der AFD. Das diese mit SPD und Grünen nicht umsetzbar sind, weiß keiner besser als Herr Merz selbst. Es ist also ein Wahlkampf der großen Täuschung mit anschließender noch größerer… Mehr
Das meiste von dem, was Wolfgang Herles schreibt, ist uneingeschränkt richtig, aber wie immer liegt er in Details daneben. Denn so ganz entkommt er der Falle, in der sich die Grünlinken befinden, als bayrischer Liberalkonservativer auch nicht. Und zwar nicht wegen seines Lieberalkonservatismus, sondern seiner Lebenswelt. Zu der scheint die Nutzung des ÖPNV nicht zu gehören. Geschenkt, hier über den lausigen Zustand von Bahn und Bus zu debattieren. Allein, dieser Zustand lässt sich eben nicht auf die 49-€-Karte zurückführen. Der ÖPNV und die DB waren vorher schon disparat. Möglicherweise fährt Herr Herles nur Auto, so dass er dieses Angebot nicht… Mehr
„Drei Jahre lang haben Rot und Grün alles getan, die Leute auszunehmen und ihnen das Leben schwer zu machen, sie zu regulieren, zu schikanieren und zu entmündigen.“
Wir haben seit 1998 durchgehend rot-grün, mitunter auch nur durch einen Schwarzanstrich getarnt.