Ein Musk ist nicht genug

Wann beginnt in diesem bisher lauen Wahlkampf mit einem wie unter Beruhigungsmitteln agierenden Herausforderer Merz endlich die große, scharfe Debatte darum, wie das Ruder herumgerissen werden kann? Statt leidenschaftlichen Streits finden jetzt schon Koalitionssondierungen statt. Deutschland bräuchte nicht einen Musk, sondern viele.

Das neue Jahr fängt so falsch an, wie das alte geendet hat. In seiner Neujahrsansprache wünscht der Kanzler, „dass wir uns nicht gegeneinander aufwiegeln lassen“. Die Spaltung der Gesellschaft gilt als das Schlimmste, was den einigkeitsbesessenen Deutschen passieren könnte. Wenn schon den Wohlstand verspielen, dann bitte gemeinsam im Gleichschritt und untergehakt auf Kommando.

I.

Nein, spalten lassen wir uns nicht! Außer, wir tun es selbst. In Wahrheit spaltet Scholz, indem er unterscheidet zwischen der „ganz großen Mehrheit der Vernünftigen und Anständigen“ und denen, die seine Regierung für eine Heimsuchung halten. Der Immer-noch-Kanzler spielt an auf seinen neuen Staatsfeind Nummer ein, auf Elon Musk, der ohne vorher Genehmigungsanträge ausgefüllt zu haben, Propaganda für eine Partei macht. Seine Analyse des ökonomischen Niedergangs ist nicht deshalb falsch, weil er zugleich die AfD zum „letzten Funken Hoffnung“ erklärt. Es ist durchaus hirnrissig, wie haltlos gerade auf der rechten Spur (nicht nur bei der AfD selbst) manche Kommentatoren Musk gerade vor Begeisterung die Zehennägel küssen. Du lieber Gott! Der Mann mag ein begnadeter Unternehmer sein. Ein intimer Kenner der deutschen Politik ist er gewiss nicht. Die AfD etwa ist, um etwas Erfreuliches über sie zu sagen, eine ausgesprochene Gegnerin des Elektromobilitätswahns, dessen Galionsfigur wiederum der Tesla-Gründer ist. Der Libertäre hat gewiss auch für die antikapitalistischen und antiamerikanischen Ressentiments des national-sozialen Flügels der AfD keine Sympathien.

II.

Selbstverständlich hat ein Mann, der in Deutschland Milliarden investiert, das Recht, die Meinungsfreiheit zu nutzen. Nirgends steht, dass er dabei von höherer Weisheit erfüllt sein muss. Und ebenso abwegig ist es, anzunehmen, seine Intervention könnte die Wahl entscheidend beeinflussen. Zwar mögen Sympathisanten der AfD vor Begeisterung quietschen, ihnen gegenüber stehen eben aber diejenigen, die grundsätzlich finden, Milliardären sollte man den Mund verbieten – oder sie am besten gleich enteignen. Streiten dürfen in Deutschland nur die Guten. Und zwar unter Betreuung. Alles andere erfüllt den Tatbestand der Verunglimpfung. Dass die meisten Deutschen das Vertrauen in die Politik verloren haben, bedeutet übrigens nicht automatisch, dass sie Vertrauen in die AfD schöpfen würden.

III.

Musks Zustandsbeschreibung trifft, seine Überschätzung der AfD ist Illusion, zulässig ist sie gleichwohl. Richtiges darf nicht richtig sein, wenn es auch von der AfD zu hören ist, denn die steht ausschließlich für das Falsche. Scholz aber lässt in seiner selbstvergessenen Neujahrsbotschaft jeden Sinn für Realität vermissen und rühmt die „Erfolgsgeschichte“ dieser Republik, als hätte er Anteil daran. Die Erfolgsgeschichte ist mit (nicht wegen) der sogenannten Wiedervereinigung zu Ende gegangen und mit zunehmendem Gefälle des Abstiegs ist die AfD entstanden und erstarkt. 16 Jahre Merkel und drei Jahre „Fortschrittskoalition“ unter Scholz haben dem Modell Deutschland das Licht ausgeblasen.

IV.

Die hysterischen, durch und durch neurotischen Reaktionen auf die Wortmeldung des Unternehmers Musk lassen tief blicken. Nein, dessen Äußerungen sind weder „anmaßend“ noch „übergriffig“, wie Kanzlerkandidat Merz tönt, weder „gefährlich“ noch „beschämend“, wie SPD-Generalsekretär Miersch tobt. Beschämend sind allenfalls solche Reflexe. Weil sie erkennen lassen, was Spitzenpolitiker vom mündigen Bürger halten. Sie trauen ihm nicht zu, Trumps Meinungsäußerungen selbst einzuschätzen. So, als wäre die Gesellschaft nicht imstande, den notwendigen Diskurs über eine Wende zum Besseren zu führen. Die deutsche Obrigkeit hält Demokratie offenbar für eine Art ewigen Kirchentag, auf dem bunte Halstücher geschwenkt und zuversichtliche Parolen ausgetauscht werden. Hoffnung auf die Reformfähigkeit des Landes macht das nicht.

V.

Wann beginnt in diesem bisher lauen Wahlkampf mit einem wie unter Beruhigungsmitteln agierenden Herausforderer Merz endlich die große, scharfe Debatte darum, wie das Ruder herumgerissen werden kann? Die Erregung um Musks Intervention scheint als Ablenkung vom Notwendigen geradezu willkommen. Die Herausforderungen stehen Schlange: Bildung als Voraussetzung für die Renaissance der Leistungsgesellschaft, preisgünstige Energie als Bedingung für Wachstum, Steuersenkungen als Motor, Schrumpfung des bürokratischen Molochs Staat als Befreiung usw. usw. Wo bleibt die entfesselte Debatte, um endlich das Land zu entfesseln? Aber statt leidenschaftlichen Streits finden jetzt schon unverhohlen Koalitionssondierungen statt. Deutschland bräuchte nicht einen Musk, sondern viele.


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Kommentare ( 87 )

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WandererX1
17 Stunden her

Musk will die lahmen Hühner in den westlichen Kernländern etwas aufscheuchen, Leben in die Bude bringen: das machte er zuerst in einigen Wirtschaftsbereichen und damit immer wieder in seinen Firmen. In den Partei- u. Staatsapparaten westl. Länder machen sich zuviele sehr bequem, besondern geistig- mental, also muss jemand von außen kommen und aufrütteln, ins kalte Wasser schmeissen und feigen Polit- Funktionären nötigen, dort im Kalten neu schwimmen zu lernen. Insbesondere machen sich Musk und Trump über die kleinbürgerliche Feigheit lustig, die sich in den letzten 40 Jahren im Westen überall ausgebreitet hat. Die Beschreibung sagt aber nichts über deren innersten… Mehr

Johannes R. Brecher
1 Tag her

Deutschland wird nach hinten durchgereicht, entwickelt sich langsam, aber stetig, zum Vielvölkerstaat und was genau soll Merz nun herumreißen, Herr Herles? „Seine (Musk) Überschätzung der AfD ist Illusion“, mitnichten, denn die AfD ist die einzige Partei die noch einen Bezug zur Realität hat und für dieses Land ist es 5 vor 12. Das weiß auch Musk, denn die objektive Betrachtung der Realität ist der Schlüssel für seinen Erfolg.

AHMED
1 Tag her

Woran liegt es, dass viele Leser den Artikel von Wolfgang Herles als unzulänglich und offenbar zu wenig kritisch empfinden? Die Reaktionen tonangebender Politiker in Deutschland (wie Habeck oder Merz) auf die Meinungsäußerungen von Elon Musk zeigen klar, dass diese Politiker die Meinungsäußerungsfreiheit am liebsten abschaffen würden, denn wer freie Meinungsäußerungen nur eigenen Anhängern oder reichweiteschwachen Kritikern vorbehalten möchte, will allenfalls simulieren, dass Meinungsäußerungsfreiheit existiert. Dieser jüngste Angriff von Habeck, Merz & Co. auf die Meinungsäußerungsfreiheit – d.h. auf das wohl wichtigste Grundrecht in einem demokratischen Rechsstaat – wird von Herles, so könnte man sagen, durchaus verharmlost: Das Äußerste, was Herles… Mehr

Hieronymus Bosch
1 Tag her

Trump und Musk stehen für einen völligen Umbruch von Staat und Gesellschaft! Man mag im Einzelfall darüber spekulieren, aber nur das kann uns retten! Davon ist hier allerdings nichts zu spüren!

Spyderco
1 Tag her

,,Wann beginnt in diesem bisher lauen Wahlkampf mit einem wie unter Beruhigungsmitteln agierenden Herausforderer Merz endlich die große, scharfe Debatte darum, wie das Ruder herumgerissen werden kann? “

Wer glaubt,die Kartellparteien wollen,,das Ruder“herumreissen,der hat wohl in den letzten Jahren im Exil gelebt 😉

Karl Schmidt
1 Tag her

Herr Herles wird Recht behalten. Das funktioniert aber nur mit einem Trick: Wir erfahren nur, was er kritisiert; aber nicht, was – seiner Auffassung nach – in der nächsten Legislaturperiode konkret erledigt werden muss. Er setzt keine Prioritäten; es bleibt bei einem Brainstorming. Er nennt keine Personen oder Parteien, die er mit der Umsetzung seiner Vorstellung in Verbindung bringt. Alles bleibt vage und destruktiv. Das ist keine Politik, deren Ziel ja das Gestalten und nicht das Wünschen ist, wenngleich der Wahlkampf genau so gestaltet wird: Es werden Wünsche formuliert, die man leider, leider gar nicht umsetzen kann, weil man ja… Mehr

Nobis
1 Tag her

Weitern wir mal ein bißchen den realpolitischen Horizont. Die AfD wird mit Sicherheit kein Teil der zukünftigen Regierung sondern stärkste Oppositionspartei. Das Gespräch Musk/Weidel auf X/space wird daran nichts ändern. Allerdings ist die AfD im Bewußtsein der amerikanischen Politik endgültig angekommen als interessante Partei, die gegenwärtig den Trump/Republicans von allen deutschen Parteien mit ihrer Programatik am nächsten steht. Höcke geht nicht nach Berlin sondern bleibt in Thüringen. Kubischek (Schellroda) überdenkt gerade seine Positionen (Strategie/Taktik) was US betrifft. Nachzulesen in der Sezession, der Plattform von Kubischek. Kubitschek/Höcke sind Randphänomene der AfD, wenn auch mit bestimmten aber nicht bestimmenden Einflüssen. Nr.1 ist… Mehr

HRR
1 Tag her

Richtig ist, die Altparteien haben Deutschland an die Kante des Abgrundes geführt. Wirtschaftlicher Niedergang und Wohlstandsverlust sind bereits mehr als deutlich erkennbar. Am 23. Februar darf das Volk wählen, was voraussichtlich zum erwartbaren Ergebnis der Kanzlerschaft von Fritz Merz führen wird und er demnach bereits zu Beginn seiner Legislatur über die Strategie für die Zukunft zu entscheiden hat, um die bereits anrückende Depression zu verhindern. Dem Wähler bleibt in dieser Situation einzig die Hoffnung, dass Merz mit seiner immer noch merkelnden CDU nicht unbedacht handelt, um das politische fatale Wirken der Vorgänger-Regierung zu vollenden. Oder er vertraut sich der einzigen… Mehr

Martell
1 Tag her

Herr Musk wünscht sich ein starkes Deutschland. Ein schwaches Deutschland kann nicht in seinem Interesse sein auch nicht in dem der USA. Und das Herr Musk Recht hat, sieht man an den Reaktionen.

hansgunther
1 Tag her

Das Kapitel II, Ihr Kapitel der Traurigkeit, wiedermal, eines… Ich verbiete es mir auszusprechen, sagen wir unflexiblen, unbelehrbaren und sich der Realität verweigernden Kolumnisten, der zum Verrecken nicht seinem Land helfen will, sondern an seinen verfestigten Gedanken partout festhält. Was ist es das Leben, die Erfahrung, die Frustration, das Alter? Und einfach gedanklich und in Wirklichkeit nicht mehr vom hohen Ross absteigen kann, um das Licht der Finsternis aus den Köpfen seiner Leser mit Zuversicht und einem neuen Ansatz zu den bewährten Spielregeln dieses von der Linken geschundenen Landes gemäß eigener Erfahrungen und Überzeugungen mal die anderen neu machen zu… Mehr