Dieser Text wird nichts ändern. Aber Du kannst es. Eine Kampagne und ihr Sinn.

Die Parole „Mach mit!“ bedeutet in Wahrheit: Mach auf der richtigen Seite mit! Pflichte uns bei! Reih´ Dich ein! Es zählt nur Zustimmung. Es ist keine Kampagne für offene Diskurse, sondern für mehr Zensur.

Wenn Agenturen Politik formulieren, weil Politiker ihre Politik als Werbung gestalten, endet das manchmal in doppelter Selbstentlarvung.

I.

Fangen wir im ganz Kleinen an. Also in Berlin. Woran liegt es, dass diese Hauptstadt so verwahrlost ist, und in ihr das meiste (von der Architektur bis zur Politik) verwahrlost? Das frage ich mich, seit ich hier bin. Es sind erst 17 Jahre. Ich glaube, ich hab´s: Der Berliner hält sich nicht für verwahrlost, sondern für tolerant. Dies bedeutet, dass der, der sich an der Verwahrlosung stößt, intolerant ist. Er ist dann selbst daran schuld, wenn ihn etwas stört (die Schäbigkeit, die Rotzigkeit, die Inkompetenz, die Gleichgültigkeit, das Herunterwirtschaften, die ideologische Verbohrtheit etc.) Wem die Verwahrlosung nicht passt, vergeht sich am Toleranzgebot. Die Schäbigkeit ist in Wahrheit Stil, das Rotzige Schlagfertigkeit, die Dummheit Weltoffenheit, die ideologische Verbohrtheit Unbeirrbarkeit, das Bedrohliche kulturelle Vielfalt usw. Nach diesem Muster wird heute von Berlin aus die ganze Republik regiert.

II.

Für diese Erkenntnis bin ich der Bundesregierung dankbar. Genauer: ihrer neuen, supertollen, superteuren, supercoolen, supergrellen Scholz & Friends-Kampagne. Es ist die erste Kampagne, die offiziell damit angibt, nichts zu bewirken.

„Dieses Plakat wird nichts ändern. Aber du kannst es.“

„Dieses Plakat hängt nur rum. Aber du kannst mehr.“

„Dies ist keine Säule der Gesellschaft. Aber du kannst eine sein.“

Also mal im Ernst. Ich finde es gut, wenn Politiker sich daran erinnern, dass das demokratische Gemeinwesen der Mitwirkung seiner Bürger bedarf. Bisher haben sie uns lieber raus gehalten und den festen Eindruck hinterlassen, Bürger störten nur. Wenn es denn unbedingt sein muss: Sollen sie ihre Einsicht plakatieren. Kriegt ja sonst keiner mit.

III.

Sieht man allerdings genauer hin, geht es gar nicht um das Engagement der Bürger für dieses Land. Sondern um eine Kampagne für ein „demokratisches, vielfältiges, respektvolles Miteinander“ gegen „Rechtsextremismus“, Gewalt und Menschenfeindlichkeit. Es ist der Aufruf, sich entsprechenden Projekten, Initiativen und Vereinen anzuschließen. Hört sich erst einmal gut an, schließt aber in Wahrheit einen Teil der Bürger aus. Die Parole „Mach mit!“ bedeutet in Wahrheit: Mach auf der richtigen Seite mit! Pflichte uns bei! Reih´ Dich ein! Es zählt nur Zustimmung. Es ist keine Kampagne für offene Diskurse, sondern für mehr Zensur. Da wird nicht mehr Demokratie gewagt, sondern der Demokratie ein geistiges Korsett verpasst. Da könnte ja jeder kommen. Die Regierung braucht Hilfstruppen gegen wachsende Kritik an der Verwahrlosung des republikanischen Gemeinwesens. Engagement ist keineswegs per se erwünscht. Sondern nur jenes, welches staatlich empfohlen wird. Der Kampagnenbesteller, das Bundesministerium für Gedöns, rechnet offenbar mit der traditionellen Staatstreue.

Ein Fall von Nudging liegt hier vor, eine Erziehungsmaßnahme, die der zu Erziehende nicht als Zwang begreifen soll, obwohl es sich um nichts anders handelt. Während manche die Schnauze eines jungen Hunds in dessen eigene Exkremente stupsen, nudged der Staat den unzufriedenen oder gar widerspenstigen Bürger in den Mist, den der Staat selbst produziert hat. Vornehmer ausgedrückt: Die Kampagne entpuppt sich als Propaganda. Dies ist weniger harmlos, als es scheinen mag. Denn der Staat will ablenken von Versäumnissen und Fehlentwicklungen, die nicht der Bürger, sondern die herrschenden Parteien zu verantworten haben.

IV.

Noch einmal von vorn. Die Regierung erklärt zu Toleranz, was viele Bürger als Verwahrlosung wahrnehmen, wofür sie wiederum der Intoleranz bezichtigt werden. Nicht die Feindseligkeit der Islamisten gegenüber der westlichen Zivilisation wird bekämpft, sondern die Feindseligkeit gegenüber den Islamisten. Nicht, wer sich der Integration systematisch verweigert, wird vom Staat beargwöhnt, sondern der, der dies beklagt, als integrationsfeindlich abgestempelt. Minderheiten sind unantastbar – mit Ausnahme der Minderheit, die das nicht akzeptiert. Man verlangt Solidarität mit denen, die nicht dazu gehören wollen. Wer das nicht akzeptieren will, gehört nicht mehr dazu.

So werden die Werte der Republik entwertet. Denn wer kulturelle Unverträglichkeiten nicht zur Kenntnis nehmen will, entsolidarisiert die Gesellschaft. Die Verwahrlosung des Bürgersinns wird von jenen betrieben, deren Kampagne vorgibt, dem Bürgersinn aufzuhelfen. Diese Paradoxie zu benennen, trägt dem Kritiker bereits den Vorwurf ein, Hass zu schüren. Selbstzensur wird gar zur Bürgerpflicht erklärt. Denn es geht nicht um Wahrheit, sondern um Moral. Der Moralist spricht alle schuldig, die ihm nicht folgen. Es geht also bei dieser Kampagne nicht um Aufklärung, sondern darum, Andersdenkende moralisch zu züchtigen.

V.

Warum ist die deutsche Politik verwahrlost? Weil sie nicht nur die Grenzen des eigenen Landes ignoriert hat, sondern auch die Grenzen der Toleranz. Offene Gesellschaften brauchen Grenzen. Sonst verlieren sie ihre Offenheit. Dies ist kein Paradox. Die beste Kampagne für demokratisches Engagement wäre politische Vernunft.

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Kommentare ( 176 )

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Johann Thiel
7 Jahre her

Sie haben natürlich recht, daß die Wurzeln für den Linkskurs in der damaligen BRD bei den 68ern zu suchen sind, und in der Folge von den Grünen weitergeführt wurden. Die Gesellschaft im Westen ist in dieser Entwicklung nun an einem Punkt angekommen den man nur noch als kollektiven Schwachsinn bezeichnen kann. Während also der Westen die Demokratie mittlerweile völlig abgelegt hat, ist im Gegenzug der Osten eigentlich nie in ihr angekommen. Im Gegensatz zu den wohlstandsverwahrlosten Wessis, waren und sind die Ossis vornehmlich an Wohlstands-Teilhabe und -Wahrung interessiert. Eine demokratische Grundeinstellung steht also bei den einen nicht mehr, und bei… Mehr

Johann Thiel
7 Jahre her

Ich weiß das wir naiven Wessis diese gesamten Fehlentwicklungen seit der Wende nach kräften befeuert haben. Was ich nur nicht verstehe ist, das ihr Ossis euch jetzt plötzlich so überrascht gebt. Ihr habt doch gewußt was da für Typen in die Parteienlandschaft des Westens einwandern. Ihr hättet ja mal ein Wort sagen können. Fehlanzeige. Im Gegenteil, ihr konntet ja gar nicht genug von euren Spezialisten in einflußreichen Positionen sehen.

Michail Bodef
7 Jahre her

Es ist gar nicht so kompliziert…, es ist ganz einfach: Merkel betreibt den Kommunikationsansatz, den sie vermutlich bereits als FDJ- Funktionärin in der „DDR“ von Jugend auf verinnerlicht hat: „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“…
Auch „Scholz & Friends“ liefern nur das, was der Kunde bestellt..

Werner Brunner
7 Jahre her

Auf die Gefahr hin , den einen oder anderen zu langweilen , möchte ich trotzdem das allseits bekannte Zitat von Tucholsky zum Vortrag bringen : “ Wenn Wahlen etwas ändern würden , wären sie verboten “ ! Liebe Foristen , ersetzt das Wort “ Wahlen “ mit Kommentare , Talkshows , Gesprächsrunden , Leserbriefe , Petitionen etc….. , dann erkennt ihr vielleicht was wirklich zu tun wäre , um die Zustände in dieser Republik zu ändern . Aber , ich vermute mal , dazu fehlt es bei viel zu vielen an Mut ! Bei manchen auch an Zeit , Willenskraft… Mehr

Koemar5
7 Jahre her

Ich denke mal, die meisten haben Angst, als Nazis beschimpft zu werden. Schließlich hat unsere Kanzlerin gesagt, wir Deutschen hätten uns an Afrika versündigt. Da hat der klebrige Klaus mit seinen Kollegen Slomka und Will gute Vorarbeit geleistet. Also Kopf in Sand und weiter so.
Ich weiß, was ein richtiger Nazi ist. Demzufolge kann ich keiner sein.
Die Dummheit, nicht zu wissen, wo das letztendlich hinführt ist gewollt herbeigeführt.

Schwabenwilli
7 Jahre her

Mal eine Frage, Herr Tichy und seine Mitstreiter möchten nicht gerne politisch aktiv werden? Ich wäre sofort mit dabei.

Es ist eines auf Missstände hinzuweisen, aufzudecken, ein anderes sie zu beheben, das geht leider nicht (nur) vom Schreibtisch aus.
Es wäre an der Zeit.

Koemar5
7 Jahre her

Wenn ich hier bei Tichy die Kommentare einschätze, sind 99 % gegen die Politik von Merkel und Co. Bei Achgut und Epochtimes ist das genauso. Selbst in den Kommentarspalten der Onlineportale der Mainstreamblätter Focus und Welt sind das 90 %. In meinem Bekannten-, Arbeits- , und Freizeitkreis ist das ähnlich. Wenn ich nun die, sagen wir mal 30 % Nichtwähler mit einbeziehen ist mir nicht ganz klar, wie die etablierten Parteien auf über 85% der Stimmen in den Umfragen und wohl auch zur Wahl im September kommen. Selbst in dem Wissen, ich bewege mich hier unter meinesgleichen ist mir das… Mehr

Walter Knoch
7 Jahre her

Sehr geehrter Herr Herles, ich vermag ja Ihrer Diagnose weitgehend und in den wesentlichen Punkten zu folgen. Wir sind – wenn ich das sagen darf – einig. Aber, was tun, wenn wir nicht bei der Diagnose stehen bleiben wollen?. Was tun? Mit jedem Tag weht der Wind of Change weiter, werden Prozesse in Gang gesetzt, Positionen markiert, wird strukturelle, institutionelle und informelle Macht stabilisiert, festgezurrt. Eine Rückkehr zum Status quo ante ist heute in vielen Bereichen nur unter Inkaufnahme großer Verwerfungen in anderen Bereichen gar nicht mehr möglich. Ich kann die Dekade neuer Denkverbote, neuer Axiome, neuer Mantras, neuer Dogmen… Mehr

Rightwing Liberal
7 Jahre her

Denke eher, dass vorrangiges Ziel dieser Kampagne das Ausnutzen des vorherrschenden Mediennarrativs ist, nach welchem wahlweise die Demokratie, das Gute, das Gerechte, das Faire, das Ökologische, das Richtige, das Nicht-Postfaktische also die letztgültige Wahrheit durch Populismus bedroht wird.

Man könnte es demnach als Vorbereitung auf die Bundestagswahl betrachten, die mehr Anti-Populisten mobilisieren soll oder zumindest schonmal die Idee ausformen soll, dass eine Stimme für die etablierten Bundestagsparteien einen heroischen Akt darstellt.

Könnte allerdings ebenso nach hinten losgehen, nachdem man sich beim Anblick dieser orwellschen Plakate ebenso gut dazu animiert fühlen könnte, dagegen politisch aktiv zu werden.

Schleswig
7 Jahre her

Nee, Nee Herr Herles, auch ich habe lang genug in Berlin gelebt, und bin einfach vor den neu hin zugezogenen, politisch gewollten Sozialhilfe Empfänger geflüchtet. So wie viele Ur – Berliner.
Es gibt fast keine Ur – Berliner mehr, auf jeden Fall nicht in West Berlin. In Ost Berlin noch vielleicht. Ich meide Berlin, und bevorzuge Leipzig, Dresden. Da läßt´s sich´s leben.