Der Brexit, und was ihm folgt. Anmerkungen über die Briten

Ohne das Chaos, das Merkel angerichtet hat, wäre die Brexit-Abstimmung vermutlich anders ausgegangen.

Die Berichterstattung über den Brexit gleicht Fußballreportagen. England gegen die EU. In diesem Spiel gewinnt jedoch nicht ein Team, sondern beide verlieren es. Oder gewinnen es. Es hängt zum Geringsten vom Ausgang der Verhandlungen ab. Denn die wichtigsten Aspekte lassen sich nicht verhandeln.

I.

England war, ist und bleibt eine Insel. Das hat die EU immer ignoriert. England empfand sich auch nie als Bestandteil eines europäischen Projekts, sondern nur als Mitglied in einem Club europäischer Nationalstaaten – als Ergänzung, nicht als Ersatz des Vertrauten. Die Entfremdung beschleunigte sich mit dem Euro ohne ökonomisches Fundament, dem Vertrag von Maastricht, der langfristig die Nationalstaaten überwinden will, und mit der Migration nach Merkels Rezept. Ohne das Chaos, das sie angerichtet hat, wäre die Brexit-Abstimmung vermutlich anders ausgegangen. Man könnte sagen: Der deutsche Sonderweg zwang England zurück auf den eigenen alten Sonderweg.

II.

Den Europäern wird die englische Mentalität fehlen. Der Eigensinn, der Pragmatismus, die offene Streitkultur im Parlament, der Vorrang der Vernunft, die skeptische Distanz gegenüber Utopien, und wolkigen Ideen – und gegen die Denkverbote, die die EU zunehmend ideologisieren. Der angelsächsische Liberalismus , der der Freiheit des Individuums stets den Vorrang gibt, ist auf dem Kontinent der französischen Revolution und des deutschen Obrigkeitsstaats nie mehrheitsfähig gewesen. Jetzt wird er ausgebürgert.

III.

Es wäre gut, wenn der Brexit die EU-Elite grundsätzlich zum Nachdenken über ihr „Projekt“ veranlassen könnte. Leider ist das bisher nicht geschehen. Der Brexit blockiert das Denken. Statt endlich den Brüsseler Zentralismus zu lindern, vergaloppiert sich die EU weiter in die falsche Richtung. „Integration“ statt mehr Föderalismus. Die EU-Elite kultiviert ihre moralische Überheblichkeit. Der Brexit ist jedoch keine dieser Krisen, aus der die EU immer gestärkt hervor gegangen ist. Er ist mehr: Er macht offensichtlich, dass Brüssel nicht kapiert hat, dass die alte Vision verblasst ist.

IV.

Der Auszug aus Brüssel bedeutet nicht den Auszug aus dem Haus Europa. Neue, flexiblere Formen der Partnerschaft könnten ein Segen für beide sein. Die Gefahren sind ebenso evident. Der Brexit wird weitere EU-Staaten über einen Austritt nachdenken lassen. Und Schottland und Nordirland werden ermuntert, Großbritannien endgültig zu verlassen. Aufzuhalten wäre es nicht.

V.

„Nur wer nicht mehr an sich selbst glaubt, macht anderen den Abschied so schwer (…) Das Zusammenzwingen von Interessen, die nicht deckungsgleich sind, vergeudet Energien, ohne dass es Europa stärker macht (…) Die Briten wollen im Grundsatz dasselbe wie die Europäische Union: Demokratie, Rechtssaat, Wohlstand, Frieden. Sie glauben nur, dies besser auf eigenem Weg erreichen zu können – und das trifft die EU in ihrem Kern.“ Drei Zitate aus dem exzellenten Buch („Die Flucht der Briten aus der europäischen Utopie)“ des Londoner Korrespondenten der FAZ, Jochen Buchsteiner, einem der wenigen deutschen Journalisten, die den Brexit nicht in Bausch und Bogen verdammen.

VI.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das deutsche Sprichwort lässt sich leicht paraphrasieren. Wer Theresa May hat, muss uns um Angela Merkel nicht beneiden. Gilt auch umgekehrt. Wer Angela Merkel hat, muss England nicht für Theresa May bedauern. Das Unvermögen zweier Pfarrerstöchter richtet mehr Schaden an als einst Heinrich VIII mit der Trennung der Church of England von Rom.


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Kommentare ( 66 )

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jansobieski
6 Jahre her

Ich kann nicht feststellen, dass die Briten den Freiheitswillen, den sie für sich in Anspruch nehmen in der Geschichte anderen Ländern/Völkern zugestanden haben. Die Länder des Commonwealth können ein Lied davon singen, ebenso Deutschland mit den Erfahrungen des ersten und zweiten Weltkrieges. Im Übrigen erkennen die Briten eben rechtzeitig das stark sinkende Schiff Europa. Deutschland ist darin durch Verschuldung so derartig gebunden, dass zu befürchten ist, dass es mit dem sinkenden Schiff untergeht. Rechtzeitg rausgehen ist die Devise. England tut`s.

Absalon von Lund
6 Jahre her

Sir Sebastian Wood sprach vor nicht allzu langer Zeit von der besonderen jahrhundertealten Kultur der Briten, die man sich durch die EU nicht nehmen lasse. Der britische Botschhafter in Berlin setzt offenbar andere Priortäten als die Deutschen, also Kultur vor Wirtschaft. Seit Ludwig Erhard setzen die Deutschen Wirtschaft und Leben gleich. Hier gilt leben, um zu arbeiten. Das ist ein fataler Irrtum. Die anderen Völker arbeiten, um zu leben und lassen die Kirche im Dorf. Nun hat Deutschland nach dem Krieg keine eigene Kultur, kann nicht mal eine Leitkultur definieren und wird deshalb bald wieder eine LEIDKULTUR haben. Dann wird… Mehr

horrex
6 Jahre her

Ich unterschreibe jedes Wort!
Bis auf die Bemerkung am Ende über die „englische Pfarrerstochter“.

Wolfgang Schuckmann
6 Jahre her

Sehr geehrter Herr Herles, ihre Einlassung verdient jede Menge Respekt. Nur selten habe ich eine so schlüssige Argumentation bzg. der Selbstbefindlichkeit der Briten gelesen.
Sie haben mit ihrem Beitrag aufgezeigt, dass man bzg. des Brexit die besonderen Aspekte des Königreiches nicht vernachlässigen darf.
Sie liegen in einer so nur selten zu konstatierenten klaren Linie bei der Beurteilung der
Kriterien, die im Umgang mit den Briten wichtig und unabdingbar sind.
Ob Europa das ebenfalls lernen wird, lasse ich mal dahingestellt.

Ursula Schneider
6 Jahre her

„Der Brexit ist jedoch keine dieser Krisen, aus der die EU immer gestärkt hervorgegangen ist.“ Das müssen Sie mal erklären, lieber Herr Herles. Haben die Griechenland-Pleite oder die Finanzkrise 2008 die EU gestärkt? Und wenn ja, in welcher Weise? Wird das Haushaltsdebakel Italiens zu ihrer Stabilisierung beitragen? Ich sehe seit Jahren nur hilfloses Durchwursteln, Fahren auf Sicht, Vertragsbrüche ohne Ende, verantwortungslose Verschuldung und einen zunehmenden Verfall – von dem galoppierenden Vertrauensverlust gar nicht zu reden.

Jo_01
6 Jahre her
Antworten an  Ursula Schneider

Danke für dieses notwendige „Geraderücken“ – Hr. Herles wird Ihnen aber wohl kaum antworten.

giesemann
6 Jahre her

Sie haben so recht, Herr Herles, wir brauchen die Brits mehr denn je. Ich habe vier englische Vettern, die alle entsetzt waren über das Ergebnis, des Referendumms – so entstanden durch die älteren Briten, die sich gefragt haben: Wie kommt es, dass die Deutschen schon wieder oben auf schwimmen, mit ihrem Islamophilie-Wahn – und haben mit „yes“ gestimmt; die Jungen gingen gleich gar nicht zur Wahl, war denen egal – hoffentlich wachen sie jetzt endlich auf und merken: It‘ all about us, our future. Hoffe immer noch, dass der Brexit nicht kommt, gefordert von den jungen Briten und Engländern. Wait… Mehr

GermanMichel
6 Jahre her

Der Brexit ist eigentlich komplett dumm, da er den guten Teil der EU abwickelt (Binnenmarkt mit einheitlichen Normen) und den schlechten Teil beibehält (bedingungslose Islamisierung mit vorauseilender Unterwerfung).

Die verschlagenen britischen Eliten haben den Tommies stets erzählt, die EU erzwinge die Massenimmigration, dabei waren die Briten selber der EU da stets etwas voraus.

Und zur Erinnerung, der ganze irre Wahnsinn der PC, Identitätspolitik etc kommt aus dem Angelsächsischen Raum, genau wie der entfesselte Finanzkapitalismus ohne eigene Haftung.

Das Böse spricht dieses Mal Englisch.

Jo_01
6 Jahre her
Antworten an  GermanMichel

Auch das ist richtig und es ist erfreulich, dass hier auch Widerspruch zur Meinung von Hr. Herles geäußert wird. Man lese einfach mal das Buch „Der Suizid Europas“ , welches ja in der Edition Tichys Einblick erschien. Nach dieser Lektüre kann man den Briten nur wünschen, dass sie sich erstmal selbst klar werden, in welche Lage sie sich seit Jahrzehnten gebracht haben. Ungeachtet dessen kann ich den Brexit nur begrüßen, denn er wird andere Länder Europas dazu bringen, entweder den Druck auf EU-Brüssel hin zu einem gleichberechtigten Europa der Vaterländer zu erhöhen, oder über den eigenen Austritt ernsthaft nachzudenken. P.S.… Mehr

Marc Hofmann
6 Jahre her

Man kann es aber auch so sagen…in den Engländern steckt die Sturheit und Freiheitsdrang wie auch die Kampfkraft der Angeln und der Sachsen. Die Angeln und die Sachsen…zwei germanische Völker…die sich in England niedergelassen haben. Hinzu kommen die Gene der Kelten und der Wikinger (Nordmänner). Auf dieser Insel = England haben sich die Stämme zusammengefunden…Stämme mit einen unbändigen Freiheitswillen…einer lebendigen Diskussion/Streitkultur aber auch des Zusammenhalt, wenn Bedrohung und Gefahr von Außen bzw. Innen droht.
England…die Nachfolger von Angeln, Sachsen, Wikinger, Kelten…haben sich diesen Instinkt bewahrt…wenn Kräfte von Innen und Außen ihr freiheitliches Zusammenleben bedrohten.

AP
6 Jahre her

Hätte ohne Merkel-Chaos überhaupt eine Brexit-Abstimmung stattgefunden?

karel
6 Jahre her
Antworten an  AP

Sorry,
es war der Premier Cameron, der die Brexit-Abstimmung wollte,
um innenpolitischen Widersachern zu begegnen.
Das ging schief, Cameron trat zurück.

Bei der Suche nach dem schwarzen Peter nun Fr. Merkel ins „Boot“ zu nehmen….
das klappt auch nur bei Deutschen…..

Thorsten
6 Jahre her
Antworten an  AP

Falls ja – wäre sie wohl anders ausgegangen.

Der Brexit ist eine Konsequenz aus Merkels Flüchtlingspolitik, die von CDU/CSU, SPD und Grüne maßgeblich mitgetragen wurde!!!

Eloman
6 Jahre her

Wieso sollte die Lösung von der Hegemonie der Katholischen Kirche unter Heinrich VIII Schaden angerichtet haben. Im Gegenteil, sie war eher eine Grundvoraussetzung für die Aufklärung.

giesemann
6 Jahre her
Antworten an  Eloman

Yeah.

Thorsten
6 Jahre her
Antworten an  Eloman

Die Abspaltung war für England erfolgreich und war ein Baustein für den Aufstieg zum „British Empire“.