Das große Dilemma

Die Schmuddelkinder spielen mit. Niemand kann sie daran hindern, auch wenn es versucht wird. Unabhängig davon, was Friedrich Merz wirklich will, außer so bequem wie möglich Kanzler zu werden, steckt er deshalb in einem tiefen Dilemma.

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern! So wie es der (kommunistische) 68er-Barde Franz Josef Degenhardt einst satirisch zuspitzte, kann Demokratie nicht funktionieren. Auch nicht, wenn die Schmuddelkinder anders als damals heute rechts verortet werden. Die Schmuddelkinder spielen mit. Niemand kann sie daran hindern, auch wenn es versucht wird. Unabhängig davon, was Friedrich Merz wirklich will, außer so bequem wie möglich Kanzler zu werden, steckt er deshalb in einem tiefen Dilemma.

I.

Aber so einfach, wie es scheint, ist die Sache nicht. Manch konservativer Kampfkommentator glaubt ernsthaft, es müsste nur die „Brandmauer“ fallen, schon komme das verwahrloste Land wieder auf den rechten Weg, und Merz könnte (jetzt bereits) durchregieren. Schwarz-Blau mache Germany alternativlos great again. Nun ja, träumen ist nicht verboten. Die CDU ist der erklärte „Hauptfeind“ der AfD. Zu Recht. Würden die Unionsparteien auch nur andeuten, offen zu sein für ein rechts-konservatives Bündnis, wäre es im selben Moment vorbei mit den guten Prognosen. Davon profitieren würden alle drei Ampelparteien. Merz hat schon genug Probleme im sich ziemlich undemokratisch verhaltenden „demokratischen Lager“. Deshalb weicht er aus, führt bisher gar keinen Wahlkampf, nutzt sein rhetorisches Potential nicht aus, sondern gibt den ausgleichenden Staatsmann. Bei niemandem will er anecken, eckt genau damit an und verharrt an der 30-Prozent-Marke. Die klarer positionierte CSU liegt bei über 40 Prozent. Merz muss mehr Profil zeigen. Sonst wird es nichts mit einem Politikwechsel und einer echten Wirtschaftswende. Und die Union verliert noch mehr Stammwähler an die AfD, die es ohne Mithilfe von Merkels CDU vermutlich gar nicht gäbe.

II.

Gut, sagen die Katastrophentheoretiker, dann eben 2029! Nach österreichischem Vorbild liegt dann Frau Weidel vorn. Nach vier Jahren „Ampel light“ wären die Unionsparteien erledigt. Das weiß auch Merz. Er kann den Zustand des Landes nicht ignorieren. Also muss er nach der Wahl liefern. Wenigstens distanziert er sich mittlerweile deutlicher von den in Personenkult erstarrten Grünen. Den verheerenden Unsinn des Degrowth-Ministers Habeck habe er bei näherer Beschäftigung über die Feiertage erkannt. Sagt er. Es war seit Jahren nicht zu übersehen, auch nicht von jemandem, der unbedingt Kanzler werden will. Merz kann nur hoffen, dass die SPD für das Versagen der Regierung Scholz bei den Wahlen eine so saftige Rechnung präsentiert bekommt, dass der Mützenich-Esken-Klingbeil-Lauterbach-Verein zur Besinnung kommt und zum Richtungswechsel bereit wäre. Davon zu träumen, ist nicht verboten, aber auch nicht zu verwechseln mit Politik.

III.

Die Union kann sich die politische Landschaft nicht malen. Natürlich käme sie mit Lindners FDP besser klar. Am Dreikönigstag ist die Dreikäsehoch-Partei in Stuttgart ordentlich aufgetreten. Lindner bot – anders als Scholz und Habeck – Selbstkritik bester Qualität, gestand Fehler ein, begangen, um zum Beispiel „Habeck einen Gefallen zu tun“. Die FDP hat das ordnungspolitisch klarste Programm. Wer glaubt, nur aus Ekel über woke Buschmänner in der FDP könne man auf mehr Liberalität verzichten, übersieht das Grundsätzliche. Die Unionsparteien haben den Sozialstaat von Beginn an (bruttolohnbezogene Rente, für Ludwig Erhard ein Unding, für Konrad Adenauer unverzichtbar) ausgereizt. Die rechten Rechten setzen keineswegs auf die Freiheit des Individuums. Die National-Sozialen betreiben Identitätspolitik, nur eben von rechts. Mit einer Mitwirkung der FDP im nächsten Bundestag ist aber kaum noch zu rechnen. Das neue Wahlrecht verhindert überdies eine Zweitstimmenkampagne zu ihren Gunsten.

IV.

Tu felix Austria, hast es besser? Gemach! Dort gibt es nur deshalb keine Brandmauer, weil die Blauen schon an der Regierung gewesen sind. Gehalten haben sie sich dort nie sehr lang. Und es ist noch nicht ausgemacht, dass ein Bundeskanzler Kickl – notabene kein Höckl – als „Volkskanzler“ überzeugen kann. Wahrscheinlich werden die Schwarzen ihn nur solange ertragen, bis ihre Aussichten bei Neuwahlen wieder besser ausschauen, bis also Kickl sich in den Augen seiner Anhänger als „Weichei“ erwiesen hat, weil er im Kanzleramt lieber Staatsmann als Scharfmacher ist. Auch er steckt jetzt im Dilemma eines Wahlsiegers.

V.

Gerade sind die Rechten beinahe außer sich vor Begeisterung. Trump-Musk-Kickl. Wohin man auch schaut, fast überall dreht der Wind (außer in Deutschland). Wird ja auch Zeit. Es geht aber nicht nur um Regierungspolitik, sondern immer noch um den unerbittlichen Kulturkampf. Die woken Jahre sind noch nicht zu Ende? Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Da dürfen unbotmäßige Bücher nicht erscheinen, weil der Verlag sich nicht getraut, wie gerade das des Welt-Herausgebers Ulf Poschardt, der designierte ttt-Moderator Thilo Mischke wird auf Druck einer woken Kultur-Minderheit von angepassten Kulturfunktionären der ARD grundlos entlassen, noch ehe er beginnen kann, eine Berliner Uni-Präsidentin beschwert sich über die Polizei, die ihre Hochschule von linken Antisemiten räumen will. Die Liste der Beispiele wird jeden Tag länger. Zuckerbergs (Facebook) Unterwerfung vor Trumps Thron dagegen ist ein Beispiel dafür, dass ohne Opportunismus der Kulturkampf nicht gewonnen werden kann. Der Zeitgeist wird immer getragen von den Anpassern. Nicht schön, aber wohl unvermeidlich. Es wäre deshalb überheblich und falsch, wollte man den politischen Moralismus von links jetzt nur durch einen anderen von rechts ersetzen wollen. Es würde schon genügen, wenn das Normale wieder normal würde.


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