Buchmesse: Die Komik der Intoleranz

Nicht nur Terroristen gefährden die Freiheit des Wortes, sondern auch quotengeile Intendanten, gefallsüchtige Chefredakteure und moralisierende Politiker, die an die Alternativlosigkeit ihres Tuns glauben wie Kardinäle an die Unbefleckte Empfängnis Marias.

Einige Anmerkungen zu heiligen und unheiligen Allianzen, die Freiheit des geschriebenen Wortes und die Unbefleckte Empfängnis.

I.

Montag. Wie immer beginnt die Buchmessenwoche mit der Verleihung des Deutschen Buchpreises. Einen Preis hat „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ von Frank Witzel verdient. Den für den skurrilsten Titel. Aber nur den. Eine 800 Seiten fette Schwarte, aus der nichts Neues über deutschen Terrorismus zu erfahren ist. Wenigstens gilt die gute, alte Bonner Republik wieder als interessant. Immer noch besser als die DDR-Abwaschbrühe von Lutz Seiler im vergangenen Jahr.

Der literarisch hochrangige Roman der Stunde dagegen durfte nicht gewinnen. „Gehen, ging, gegangen“ von Jenny Erpenbeck setzt sich mit illegalen Einwanderern aus Afrika aus der Perspektive eines deutschen Bildungsbürgers auseinander und liest sich nahezu prophetisch, da schon vor Muttis Willkommens-Exzess geschrieben. Die Jury scheute nicht zum ersten Mal die Auszeichnung des bereits Erfolgreichen und Relevanten wie der Teufel das Weihwasser, wollte sie doch auch die eigene Souveränität adeln. Der Deutsche Buchpreis wurde gestiftet, um deutscher Gegenwartsliteratur im Ausland stärkere Beachtung zu geben. Unter dieser Maßgabe ist die Entscheidung eher weltfremd. Jenny Erpenbecks Roman hätte der sich wundernden Welt erklärt, was in diesen komischen Deutschen heute vorgeht. Doch das Feuilleton jubelt über die Auszeichnung Witzels. Sein Werk zählt zur beliebten Kategorie: Bücher, über die man reden kann, ohne sie gelesen haben zu müssen.

II.

Dienstag. Salman Rushdies Auftritt zur Eröffnung. Der Iran boykottiert deshalb die Messe.

Seit 1989 bis heute wird der Autor von der Fatwa, dem Todesurteil des Ayatollah Chomeini bedroht. Die Freiheit des Wortes, die er unerschrocken verteidigt, ist nicht nur in Diktaturen gefährdet. Rushdie beschreibt, was geschieht, wenn sich Political Correctness weiter ausbreitet und auch noch Emotional Correctness dazu kommt. Er nannte zahlreiche Beispiele aus den USA. Dort verlangen etwa selbst an der Eliteuniversität Columbia Studenten, Weltliteratur wie die Metarmophosen von Ovid, mit Warnhinweisen zu versehen. Aus Rücksicht vor den Gefühlen empfindlicher Leser.

Schaffen, geschaffen, abgeschafft
Merkels TV-Auftritt schafft den Diskurs. Und zwar ab.
 Das ist komisch in einer Gesellschaft, in der Gewalt und Sex zum Grundrauschen gehört.

Unter dem Deckmantel der Rücksichtnahme erleben wir auch in offenen Gesellschaften die Radikalisierung von Intoleranz. Der deutsche Gutmenschen-Mainstream hält dabei gut mit. Vor allem, wenn es um religiöse Gefühle geht. Menschenverachtende Ideologien müssen sich nur als Glaubensinhalt kostümieren, schon werden sie toleriert. Meinungsfreiheit ist dort zu Ende, wo die Religiösen selbst bestimmen, was ihre Gefühle verletzt. Das gilt für christliche Fundamentalisten ebenso wie für Muslime. Das Recht auf Religionskritik ist kein geringeres Menschenrecht als die Religionsfreiheit. Sie wird jedoch inzwischen besser geschützt als die Freiheit des Wortes. Toleranz ist keine Einbahnstraße, deren Richtung die Intoleranten festlegen.

Gerade unter Linken aber gelten heute zum Beispiel die Rechte der Frau als kulturelles Konstrukt, die im Islam anderes definiert werden dürfen als bei uns, selbst von Einwanderern. Sie sind aber universales Menschenrecht. Auch Angsthasen und Mutlose schwächen die Freiheit. Rushdie kann den Nobelpreis, den er längst verdient hätte, nicht bekommen. Die Furcht vor der Gewalt seiner islamistischen Feinde sorgt dafür.

III.

Mittwoch. Neue Zahlen bestätigen: Es wird weniger gelesen! Gegen diesen Trend ist die Branche machtlos. Es geht nicht um die Rettung des gedruckten Buches, es geht um die Verteidigung des Lesens als Fundament unserer Kultur. Wer kaum noch liest, weil überall, auch im Netz, Bewegtbild die Schrift verdrängt, verblödet allmählich. Lesen programmiert das Gehirn anders als Gucken. Das ist wissenschaftlich erwiesen.

Mit dem Ende der Schriftkultur – Wissenschaftler sprechen seit langem vom „Ende der Gutenberg-Galaxis“ (Norbert Bolz) – verändern sich auch Gesellschaft und Politik, und das ist kein bildungsbürgerliches Schreckgespenst, sondern bereits heute in Deutschland zu besichtigen.

Bilder emotionalisieren. Texte sind komplexer als Bilder. Nur Text lassen zu, die Dinge zu hinterfragen und zu reflektieren. Wo die Schriftkultur schwindet, schwindet das Niveau des Diskurses.

IV.

Donnerstag. Und schon sind wir wieder beim gegenwärtigen Elend. Die Bilder des angeschwemmten Kindes, der frierenden Flüchtlingsmütter, die Selfies mit Kanzlerin: Die politischen Übertreibungen der Willkommenskultur sind ganz wesentlich von Bildern ausge-löst worden, verbreitet von Fernsehen und Internet. Ferndenken ist schwieriger. Der Diskurs darüber, was aus Millionen von „Mitbürgern“ werden soll, die mittellos ankommen, und wie sich die Gesellschaft ändern wird, die sie integrieren will, kostet mehr Mühe, als sich von bewegten Bildern bewegen zu lassen.

Mit Emotionen können Stimmungen erzeugt, Umfragen gesteuert werden. Die Dinge verstehen und lösen aber können nur Bürger, die gelernt haben, genau hinzuhören, präzise zu denken und zu unterscheiden. Schreiben und Lesen sind nicht Selbstzweck. Bildung ist die Grundvoraussetzung funktionierender Demokratie. Früher nannte man das Aufklärung. Der Begriff ist nicht mehr sehr en vogue.

V.

Freitag. Wir lesen und hören: Angela Merkel begründet ihre Flüchtlingspolitik, (die in Wahrheit das Versagen von Politik ist), mit angeblich christlichen Werten. Denen, die sich vor dem wachsenden Einfluss des Islam in Deutschland fürchten, entgegnet sie: Dann müssten eben die Christen ihren Glauben stärker bekennen. Statt sich darüber zu beklagen, dass Muslime dem Koran (ein Buch!) gehorchen, sollten sie selbst mehr zur Bibel (einem Buch!) greifen.

Das ist in der Tat „irgendwie komisch“ (Originalton Merkel). Gar nicht komisch ist, dass die Pfarrerstochter mit diesem seltsamen Vorschlag das Entscheidende verfehlt. Notwendig ist doch nicht Missionierung als Politikersatz, sondern die Verteidigung der säkularen Gesellschaft. Das, was wir als Freiheit verstehen, ist nicht zuletzt die Freiheit der Ungläubigen.

Nicht nur Terroristen gefährden die Freiheit des Wortes, sondern auch der herrschende Konformismus. Quotengeile Fernsehintendanten, gefallsüchtige Chefredakteure, und moralisierende Politiker, die den Diskurs über offensichtliche Missstände verweigern, vergehen sich am Recht des freien Wortes. Sie bilden die Kirche der Gefallsüchtigen. Sie glauben an die Alternativlosigkeit ihres Tuns wie Kardinäle an die Unbefleckte Empfängnis Marias. Nur, dass man auch im Vatikan inzwischen die Dinge so oder so sehen darf. Die Unfehlbarkeit des Papstes ist ein Witz gegen die Rechthaberei der Kanzlerin. Es wird nicht debattiert. Amen.

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