Eine Politik des Dauernotstands führt in den Staatsbankrott

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Staatsverschuldung bietet die Chance zu einer grundlegenden Kurskorrektur in diesem Land. Es kann nur durch eine Abkehr von der Politik der endlosen „großen Rettungen“ erfüllt werden.

IMAGO

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. November 2023 hat den Nachtragshaushalt der Bundesregierung für das Jahr 2021 für unvereinbar mit dem Grundgesetz und damit nichtig erklärt. Aber es stellt auch grundlegende Anforderungen einer verfassungsgemäßen Haushaltsführung und damit Grenzen der Staatsverschuldung in Deutschland klar. Dazu gehören die Grenzen, die den Regierenden bei der Berufung auf eine „Notlage“ gezogen sind, wenn sie ein Abweichen von der normalen Haushaltsführung legitimieren wollen. Eigentlich müsste dies Urteil also eine Überprüfung der Politik der „großen Rettungen“ – insbesondere in den Bereichen Klima-Rettung Migranten-Rettung und Ukraine-Rettung – zur Folge haben.

Das Urteil wäre eine Chance: Man könnte es zum Anlass nehmen, um im blinden Weiterso innezuhalten und zu prüfen, ob die mit immensen Ausgaben auf Schuldenbasis verbundene Rettungspolitik noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kräften des Landes steht. Die ausufernde Finanzpolitik der Regierenden gibt sehr viel Geld für sehr fragwürdige Ziele aus. Und sie gibt das Geld auch für den Versuch aus, die immensen Kosten der Rettungspolitik etwas zu dämpfen und die den Bürgern auferlegten Opfer dadurch in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. So dienen diese Ausgaben dem Zweck, die Politik der „großen Wenden“ fortzusetzen, obwohl das Erreichen ihrer Ziele in eine immer weitere Ferne rückt. Demgegenüber böte das BVerfG-Urteil also die Chance zu einer grundlegenden Kurskorrektur in diesem Land.

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Das wahre Gesicht der „großen Rettungen“ – Doch erstmal geschieht etwas ganz anderes: Mit den Beschlüssen der Bundesregierung zum Bundeshaushalt 2024 werden nicht die Grundentscheidungen zur Energiewende, Verkehrswende, Heizungswende, Agrarwende, usw. korrigiert. Sie werden nicht mal für die nächsten Jahre zur Überprüfung zurückgestellt. Jede Änderung hier ist ein Tabu. Und obendrein werden nun die Finanzhilfen gestrichen, die die teuren und zerstörerischen Folgen der Wendepolitik etwas mildern und beschönigen sollten.

Damit zeigen die „großen Rettungen“ nun ihr wahres Gesicht. Die schlimmen Folgen der Wendepolitik werden mit kalter Rücksichtslosigkeit serviert. Die Belastungen werden ganz ungeschminkt vom Staat auf die Bürger abgewälzt – auf die Privathaushalte, auf die Unternehmen, auf die öffentlichen Infrastrukturen. Die Energie wird durch eine erhöhte Abgabe auf CO2-Emissionen noch weiter verteuert. Die Auslauf-Beschlüsse für Verbrenner-Motoren und Verbrenner-Heizungen bleiben bestehen. Aber die „alternativen Lösungen“ (E-Mobile, Wärmepumpen) werden für die breite Mehrheit noch unerschwinglicher, als sie eh schon sind – weil Kaufprämien gestrichen wurden. Schamlos werden die Normen und Kosten für das Bauen, für den Betrieb einer Industrie, eines Handwerks, einer Landwirtschaft und auch für den Betrieb von Infrastrukturen für Energie, Wasser, Müll erhöht. Dies geschieht für Ziele wie „heiler Umwelt“ oder „sozialem Zusammenhalt“, die bekanntlich unendliche Ziele sind, und bei denen zugleich jeder Abstrich ein Tabu ist. Diese Kombination von Unendlichkeit und Tabu herrscht auch bei der Massenmigration und beim Ukraine-Krieg.

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Ein perfides Politik-Spiel – Und nun hat, am Ende des Jahres 2023, ein perfides Politik-Spiel begonnen. Man denkt nicht im Traum daran, die großen Grundentscheidungen anzutasten, sondern stellt die Bürger vor eine erpresserische Wahl: „Wollt ihr die großen Wenden mit Hilfsgeldern oder wollt ihr sie ohne Hilfsgelder?“ So sollen die Wenden selbst unantastbar bleiben. Und die jetzigen Kürzungen sind nur der erste Teil dieses perfiden Spiels.

Man wartet auf den Aufschrei der Bürger, um dann zu sagen: Tja, wenn das so ist, dann müssen wir doch viel mehr Schulden aufnehmen und dazu müssen wir halt irgendeine Formel von „außerordentlichem Notstand“ erfinden, um die höhere Verschuldung zu legitimieren. Dass es hier gar nicht um einen zeitlich begrenzbaren Ausnahmezustand geht, sondern um einen jahrzehntelangen Dauerzustand, muss bei diesem Politik-Spiel verschwiegen werden. Ebenso gehört zu den Spielregeln, dass niemand die Frage stellen darf, aus welchen Mitteln die Schulden, die sich so immer höher auftürmen, jemals an die Gläubiger zurückgezahlt werden können.

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Das Anliegen des Bundesverfassungsgerichts – Umso wichtiger ist es, noch einmal auf das BVerfG-Urteil zurückzukommen. Das Urteil stellt fest, dass die Übertragung von Kreditermächtigungen zur Corona-Bekämpfung auf den sogenannten „Klimatransformationsfonds“ verfassungswidrig war. Das BVerfG erklärt diese Übertragung auch materiell-rückwirkend für nichtig – so fehlten der Bundesregierung auf einmal 60 Milliarden Euro. Das Urteil ist sehr richtig und wichtig. Indem die Übertragung von Geldmitteln von einem Notstand auf einen anderen Notstand zum Verfassungsbruch erklärt wird, wird ein Einfallstor für eine wuchernde Schuldenpolitik geschlossen. Jede neue Sonder-Verschuldung, die sich auf einen Notstand beruft, muss das Neue dieses Notstands belegen. Eine vage Not-Verkettung nach dem Motto „Die Welt ist aus den Fugen“, wie sie in den Massenmedien gängige Münze ist, ist für einen demokratischen Verfassungsstaat nicht zulässig.

Bedeutsam ist, dass dieser Verfassungsbruch im Namen des sogenannten „Klimaschutzes“ praktiziert wurde. Hier ist das BVerfG-Urteil ein historischer Markstein: Sie zeigt, dass die sich auf den Klimaschutz berufende „große Transformation“ des Landes in einen Grundsatz-Konflikt mit einem überprüfbaren und eingrenzbaren Staatshaushalt geraten ist. „Klima“ ist irgendwie überall und die „Klimakrise“ sprengt jeden zeitlichen Rahmen. Eine jährliche Haushaltsbilanz erscheint dann sinnlos.

Es ist kein Zufall, dass die Regierenden nach dem Urteil versuchen, die politische Aufmerksamkeit auf sogenannte „notwendige Zukunftsinvestitionen“ zu lenken. Das ist eine merkwürdige Wortkonstruktion, die das unmittelbar „Notwendige“ und das in einer fernen „Zukunft“ Liegende miteinander verklebt. Es ist eine staatsgefährdende Konstruktion. Wo solche „Investitionen“ regieren, ist der Weg frei für eine dauerhafte Überschreitung jeglicher Schuldengrenze. Denn niemand kann sagen, inwieweit es sich um echte Investitionen handelt, die eine zusätzliche Wertschöpfung zur Folge haben, oder um fruchtlose Geldausgaben (und damit keine Investitionen). Die Rückführbarkeit der Schuldenhöhe ist dann reine Spekulation.

Unter diesem Vorzeichen wird die jährliche Haushalts-Debatte des Parlaments und sein Entscheidungsrecht über Gewährung oder Nicht-Gewährung neuer Kredite zur Farce. Dabei geht es hier eigentlich um das „Königsrecht“ des Parlaments. Es ist das wichtigste Unterpfand des demokratischen Souveräns für eine maßvolle Staatsführung in Krisen- und Kriegszeiten.

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Die Grenzen des finanzpolitischen Notstandes – Mit dem BVerfG-Urteil werden der Möglichkeit der Regierenden, sich auf „Notsituationen“ zu berufen, enge Grenzen gesetzt. Das gilt auch für eine Aussetzung der sogenannten „Schuldenbremse“. Und auch bei einer Veränderung der Schuldenbremse durch den Gesetzgeber wird er dies Urteil beachten müssen. Denn es präzisiert, was eine Ausnahmesituation im verfassungsrechtlichen Sinn ist.

In einem Artikel des Freiburger Wirtschaftsprofessors Lars Feld („Finanzpolitik nach dem Verfassungsurteil“, in der FAZ vom 21. November 2023) heißt es dazu in Anlehnung an den Wortlaut des Urteils: „In einer Ausnahmesituation, im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, darf sich der Bund höher verschulden, als es die zuvor skizzierte Normallage erlaubt.“ Demnach lässt sich nicht jede Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe als außergewöhnliche Notsituation im Sinne des Artikels 115, Absatz 2 interpretieren. Die Folgen von Krisen, die „lange absehbar waren oder gar von der öffentlichen Hand verursacht worden sind“, dürfen nicht mit Notkrediten gemildert oder behoben werden. Und der Autor zieht (mit Ausrufezeichen) die Schlussfolgerung: „Die Klimakrise ist somit keine Krise im Sinne des Art.115 Abs.2 Satz 6 GG!“

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Ein unscheinbarer, aber wichtiger Begriff: „Geeignetheit“ – Das BVerfG-Urteil ist nicht bloß ein Urteil über verwaltungstechnische „Instrumente“ (wie es die SPD-Bundesvorsitzende Eskens behauptet), sondern betrifft die Rettungspolitik als solche. Diese Tiefe des Urteils findet sich in Formulierungen, deren Tragweite man nicht sofort erkennt. Ich zitiere hier aus der Kurzfassung des Urteils:

„Je länger die diagnostizierte Krise anhält und je umfangreicher der Gesetzgeber notlagenbedingte Kredite in Anspruch genommen hat, desto detaillierter hat er die Gründe für das Fortbestehen der Krise und die aus seiner Sicht fortdauernde Geeignetheit der von ihm geplanten Maßnahmen zur Krisenbewältigung aufzuführen. Er muss insbesondere darlegen, ob die von ihm in der Vergangenheit zur Überwindung der Notlage ergriffenen Maßnahmen tragfähig waren und ob er hieraus Schlüsse für die Geeignetheit künftiger Maßnahmen gezogen hat.“

Der Schlüsselbegriff ist hier „Geeignetheit“. Nehmen wir die Klimapolitik. Hier geht es nicht nur darum, wie groß man das Klimaproblem sieht. Selbst wenn man von einer größeren Klimakrise ausgeht, erledigt sich dadurch nicht die Frage, ob die Strategie und die daraus folgenden Maßnahmen, die mit dem zusätzlichen Geld auf Pump finanziert werden sollen, einen zielführenden (oder überhaupt nennenswerten) Effekt haben. Wenn das BVerfG-Urteil das Kriterium der „Geeignetheit“ hervorhebt, betrifft das also die sogenannte „CO2-Strategie“, das Kernstück der deutschen Klimapolitik. Es ist im Wesentlichen eine Negativ-Strategie, die alle Produkte, Herstellungsverfahren und Infrastrukturen, die mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe verbunden sind, ausschalten will. Diese Klimapolitik ist so teuer und hat so gravierenden Folgen, weil es beim gegenwärtigen Stand der Technik keinen gleichwertigen, gleich produktiven Ersatz gibt.

Zugleich liegen die erhofften Wirkungen des CO2-Ausstiegs auf das Klima in einer ferner Zukunft und sind überhaupt fragwürdig. Wer wollte ernstlich behaupten, dies gewaltige Abschaltprogramm würde mit Gewissheit nach einer bestimmten Zahl von Jahren zu einer messbaren Besänftigung des Wetters führen? Zudem könnten sich solche Effekte ja gar nicht unmittelbar im Bilanzraum Deutschland einstellen, sondern müssten erst den Umweg über eine Veränderung des globalen Gesamtklimas nehmen. Niemand könnte ernsthaft eine solche Geeignetheit der CO2-Strategie nachweisen. Aber was ganz sicher in absehbarer Zeit bei der CO2-Strategie herauskommt, ist der Verlust eines Großteils der bezahlbaren, für den Normalbürger erreichbaren Güter. Also der ersatzlose Verlust von Maschinen, Anlagen, Betrieben, Verkehrswegen, Heizungen, Wohnhäusern, Nahrungsmitteln, usw.

Mit anderen Worten: Wer im Namen der Klimapolitik bis zum Jahr 2050 mit einer ständigen Aussetzung der Schuldenbremse und mit einem Jahr für Jahr wachsenden Schuldenberg regieren will, hat eine gewaltige Bringschuld. Und er hat sie hier und jetzt. Mit dem Wörtchen „Zukunftsinvestition“ ist es nicht getan. Und auch das beliebte Sätzchen „Das ist eine Herausforderung“ kommt gar nicht zur eigentlichen Aufgabe – nämlich eine zur Lösung geeignete Maßnahme vorzulegen.

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Von finanziellen Grenzen zu materiell-technischen Grenzen – Hier führt das Kriterium der „Geeignetheit“ auf das Feld der materiell-technischen Realität und ihres konkreten, geschichtlich gegebenen Standes. Zusätzliches Geld allein löst keine technologischen Probleme, insbesondere nicht das Fundamentalproblem einer ganz neuen Energiebasis. Eine große zusätzliche Verschuldung ist nur dann „geeignet“, wenn sie auf einen bestimmten Stand der Technik trifft. Nur wenn hier eine erhöhte Tragfähigkeit und Produktivität greifbar nahe ist, ist eine außerordentliche Kreditermächtigung des Staates vertretbar. Denn dann könnte eine Überschuldung aus real erreichbaren Überschüssen wieder auf ein normales Maß zugeführt werden. Also geht es um den Stand der Technik, und dabei ist der springende Punkt: Der Stand der Technik ändert sich nicht einfach, wenn die Menschen es wollen.

Ein neuer Stand ist nicht einfach „machbar“. Die Technikgeschichte zeigt, dass er sich aus einem komplexeren Zusammenspiel von Naturanlagen, Entdeckungen, Kapitalbildungen, Arbeitsfähigkeiten ergibt. Dies Zusammenspiel hat seinen eigenen Zeitrhythmus. Mal läuft die Technikgeschichte schneller und macht Sprünge, mal bewegt sie sich träge auf einem bestimmten Niveau. Es gibt Fortschritt, aber er kommt, wann und wie er es will – und nicht, wann und wie die Menschen es wollen.

Die Konsequenz ist, dass Wirtschaft und Staat eine sorgfältige Beobachtung und realistische Einschätzung der technischen Entwicklung machen müssen. Und dann zu einem Urteil kommen müssen: Das ist machbar, und das ist nicht machbar. Eine solche „Machbarkeitsprüfung“ ist übrigens sowohl bei Großinvestitionen von Unternehmen als auch bei großen Infrastrukturprojekten des Staates eine Rechtspflicht. Man sollte einmal die Sorgfalt, die hier gefordert ist, mit der Fahrlässigkeit vergleichen, mit der das Etikett „Zukunftsinvestition“ auf die sogenannten „erneuerbaren“ Energien geklebt wird.

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Die „Zukunftsinvestitionen“ sind ein Fass ohne Boden – Im Bereich der „Klimarettung“ fällt auf, dass die Investitionen, die eine ganz neue Zukunft tragen sollen, nur in sehr allgemeinen Prinzipien, „Studien“ und „Modellvorhaben“ vorliegen. Bei den Zukunftsinvestitionen bekommt man bei näherem Nachfragen schnell die Antwort, es gebe hier noch „große Herausforderungen“. Die Erzeugung von „Innovationen“ erscheint als eine Art Wundertüte, an der man nur ordentlich schütteln muss, um das Gewünschte zu erhalten. So ist die damalige grüne Kanzlerkandidatin Baerbock im Wahlkampf des Jahres 2021 mit der Parole „Verbote sind Innovationstreiber“ herumgelaufen – frei nach dem zynischen Motto: Man muss die Leute in Not bringen, dann werden sie schon erfinderisch. Hier zeigt sich exemplarisch, wie die rein negative CO2-Strategie als Ergänzung eine Wunder-Erzählung braucht: die Erzählung von einer ganz anderen, hochproduktiven Technologie, die eigentlich schon da ist und nur noch auf „viel Geld“ wartet.

Leider ist der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz davon gar nicht so weit entfernt – wenn er nämlich als Krisen-Lösung das Motto „Innovation und Technologie“ ausgibt. Die vielfach angekündigten Wundertechnologien wie zum Beispiel die „Wasserstoff-Wirtschaft“ sind beim heutigen Stand der Technik viel zu aufwendig, um für ganz Deutschland, geschweige denn für die ganze Welt, eine Grundlage bieten zu können. Und auch die Rede von der „Technologie-Offenheit“ hilft nicht weiter, wenn die Technikgeschichte auf einem bestimmten Gebiet gerade in einer zähen Phase ist. Bloße Prinzipien helfen jetzt nicht weiter. Was gebraucht wird, ist eine immer wieder neue Beurteilung dessen, was machbar ist und was nicht. Daraus ergibt sich auch ein Urteil über die Bestände und Fähigkeiten, die nicht aufgegeben werden dürfen, sondern unbedingt gesichert oder sogar wiedergewonnen werden müssen.

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Die Staatsräson des Verfassungsgerichts-Urteils – Wenn das Jahr 2023 für Deutschland etwas erbracht hat, dann ist es eine große Ernüchterung und ein größerer Respekt vor den Widrigkeiten der Realität. Diese Ernüchterung hat viele Menschen aus sehr unterschiedlichen Schichten ergriffen, auch wenn ein anderer, durchaus beträchtlicher und tonangebender Sektor das nicht wahrhaben will.

Solche Ernüchterungen gibt es nicht nur bei der Klima-Politik. Auch in der Migrations-Krise und in der Ukraine-Krise sind die großen Lösungen und Endsiege in immer weitere Fernen gerückt – während die unmittelbaren Belastungen immer spürbarer werden. Das Urteil, das das BVerfG in diesem November 2023 gefällt hat, ist auch ein gewisser Reflex auf die Ernüchterung der Nation. Im Urteil ist die Erfahrung der begrenzten Möglichkeiten Deutschlands spürbar.

Das wird auch deutlich, wenn man dies Urteil mit dem „Klima-Urteil“ vom Frühjahr 2021 vergleicht, das der Erste Senat des BVerfG (Vorsitz Stephan Harbarth) gefällt hat. Dies Urteil erklärt eine verschärfte CO2-Strategie zum Verfassungsgebot und stellt diese Verschärfung unter keinerlei Vorbehalt hinsichtlich der Stabilität der Staatsfinanzen. Und mehr noch: Das Urteil kommt ganz ohne eine Bewertung des geschichtlichen Standes der Technik aus. Was für eine bizarre Unterlassung: Das Urteil fordert eine Vorverlagerung der CO2-Senkungsziele, ohne überhaupt die Tatsache zu erörtern, dass bei einer solchen Vorverlagerung eine Ersatztechnologie entsprechend schneller verfügbar sein muss. Ist die Ersatztechnologie nicht verfügbar oder in realistischer Reichweite – wird das Urteil zu einem reinen Kahlschlags-Urteil. Es entzieht den technologischen Errungenschaften und ihrer Weiterentwicklung den Schutz der Verfassung.

Wie wohltuend ist demgegenüber jetzt das Urteil, das der Zweite Senat des BVerfG gefällt hat. Es ist eine Aufforderung, den begrenzten Möglichkeiten Deutschlands ins Auge zu sehen: Natürlich war es nicht Aufgabe dieses Verfahrens, ein Urteil über die materiell-technischen Grenzen der Gegenwart zu sprechen und daraus eine besondere Vorsicht bei der Überschreitung von Verschuldungsgrenzen abzuleiten. Aber die Richter des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts haben einen Beitrag geleistet, der im Deutschland unserer Gegenwart keineswegs selbstverständlich ist: Sie haben die Finanzpolitik daran erinnert, dass sie sich im Rahmen eines Staatshaushalts bewegen muss, der nur von den begrenzten Mitteln eines Landes getragen werden kann. Sie haben eine willkürlich wuchernde Finanzpolitik in die Pflichten und Grenzen einer Staatsräson zurückversetzt.

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Kommentare ( 75 )

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Haba Orwell
10 Monate her

Während man in Schland darüber nicht redet, die italienische Diplomatin Elena Basile schrieb kürzlich in einer Zeitung, Europa degeneriere und sei den US-Interessen unterworfen. Die regierende Oligarchie habe das ursprüngliche Ziel der EU des Wohlstands vergessen. Italien schade eigenen Interessen, wenn es sich für die EU-Aufnahme der Ukraine einsetze.

Wieso kann man solch offene Aussagen (außer der AfD) von den deutschen Konservativen nie lesen?

jopa
10 Monate her

Weniger als Weltrettung machen wir nicht. Schließlich gilt seit Kaier W2: Am deutschen Wesen soll muß die Welt genesen.

ChrK
10 Monate her
Antworten an  jopa

Das Problem mit diesem Satz ist, daß er vielfach mißgedeutet werden kann.

Wenn man das „deutsche Wesen“ mit den Adjektiven ehrbar, lauter, würdevoll, strebsam, wahr und treu etc., also die ganzen Sekundärtugenden, die irgendsoein saarländischer Schwachmat mit KZs in Verbindung brachte, als einen Gegenentwurf sieht zum merkantilistischen Raubrittertum der der weltherrischen Angelsachsen oder dem Neid und das Es-sich-in-der-Welt-bequem-Machen der Romanischen…ja dann…mithin, diese Facette wurde 1918, 1933 und 1945 dermaßen in Stücke geschlagen, daß nichts mehr draus werden kann.

Instrumentalisieren kann man (m/w/d) es aber immer noch…

jopa
10 Monate her
Antworten an  ChrK

Das sind die alten Werten, die von Schwurblern, Nazis und anderen. Die neuen Deutschen Werte sind: Inkompetenz, Besserwisserei, Eigennutz und Missionseifer= Kreuzzugsmentalität. Und unsere Besserwisser haben faktisch dieses Motto übernommen. Oder wie soll man die aktuelle Politik beschreiben?
Vielleicht noch mit: Über xyz lacht die Sonne, über D die ganze Welt.

Anglesachse
10 Monate her

Kleiner „Focus -Artikel“:
Wirtschaftsweiser Schnitzer fordert eine „Ukraine-Soli“
Aha, dann sollen wir jetzt auch noch persönlich ungefragt für Waffen, Mord & Totschiessen direkt aufkommen!

So kann man also auch Schulden reduzieren….

Ob Berlin-Wahlmanipulation oder Gerichtsurteil bzw. Überschuldung, diesen „Regierenden“ scheint sogar die Justiz schei…egal zu sein.

Siggi
10 Monate her
Antworten an  Anglesachse

Über 50 % der Gelder, die in die Ukrai9ne geschickt werden, versickern in unbekannte Quellen. Selenskyj hat ein Privatvermögen von rund 800 Millionen. Man sieht, in der Ukraine lohnt es sich Präsident zu sein. Wir werden ausgesaugt, um diese Kriminellen zu unterstützen. Tausende von Deserteuren füttern wir auch noch durch, obwohl nicht einmal in einem Fünftel der Ukraine Krieg ist. Wir werden von unserer Links-grün-extremen Regierung verarscht und das nach Strich und Faden.

Kuno.2
10 Monate her

Die immer mehr und höher akkumulierten Schulden von Bund und Ländern werden voraussichtlich nie zurück gezahlt. Einfach deshalb weil diese Höhe nicht mehr bezahlbar ist. Das würde einhundert Jahre hohe Ausgabendiszipin bedeuten und allein dazu fehlt der Wille. Um so mehr erstaunt mich, wie am Anleihemarkt aktuell die Kurse steigen; wer genau kauft denn die Anleihen vom Bund obwohl er wissen müsste, das dieser Kredit nie zurück gezahlt wird? Kauft der Bund etwa selber die eigenen Papiere?

WGreuer
10 Monate her
Antworten an  Kuno.2

Was glauben Sie, warum Sie in die private Rentenzuversicherung gedrängt werden? Diese Rentenversicherungen haben die staatliche Verpflichung (per Gesetz), „sicher“ anzulegen. Ich weiß nicht, wie hoch der Anteil derzeit ist, aber meines Wissens mind. 30% der einbezahlten Rentenbeiträge müssen in die „sicheren“ Staatsanleihen investiert werden.
Und das wiederum bedeutet, dass diese Zusatzrenten (Riester und Co.) IHRE Rentenbeiträge in diese „sicheren“ Staatsanleihen investieren. Jeder, der sich eine derartige Zusatzrente leistet, leiht also sein Geld zu einem gewissen Teil dem ohnehin faktisch bankrotten Staat. Mit aus diesem Grund steigen die Kurse dieser Anleihen.
Honi soit …

Haba Orwell
10 Monate her

> Diese Kombination von Unendlichkeit und Tabu herrscht auch bei der Massenmigration und beim Ukraine-Krieg.

Eine Wirtschaftsweise Schnitzer sagte der „Rheinischen Post“, sie wünscht Ukraine-Soli auf die Einkommenssteuer für den Krieg. Früher wünschte sie auch 1,5 Millionen Migranten in Schland jedes Jahr.

Juergen P. Schneider
10 Monate her

Das Urteil des BVerfG zur Schuldenproblematik ist ganz offensichtlich der Versuch des Zweiten Senats, das irrsinnige Klima-Urteil vergessen zu machen. Man hat zumindest im Zweiten Senat erkannt, in welch verstiegener Form der Erste Senat hinsichtlich der Klimaschutzproblematik über das Ziel hinausgeschossen ist. Die wahnwitzige Rechtsprechung betreffend die herbeihalluzinierte Klimakatastrophe kann für das Höchste Gericht des Landes eines Tages zu einem Bumerang werden. Es wird in absehbarer Zukunft Bundesregierungen geben, die diese unwissenschaftlichen Maximalforderungen aus einer übergeschnappten Rechtsprechung schlicht und einfach ignorieren müssen, um den Staatsbankrott abzuwenden. Dem Ersten Senat des BVerfG wird seine weltfremde, einseitige und zum Teil lächerliche Rechtsprechung… Mehr

GefanzerterAloholiker
10 Monate her

Dänemark. Ukrainische Staatsangehörige, die vor dem Konflikt mit Russland in Dänemark Zuflucht gesucht haben, werden nicht mehr willkommen sein, dort zu bleiben, sobald der Frieden wiederhergestellt ist, sagte Einwanderungsminister Kaare Dybvad am Freitag. Dänemark erlaubt einen Flüchtlingsstatus, was aber im März 2025 ausläuft. Die Tageszeitung Berlingske meldet, dass sie zurückgehen müssten. „Wir werden diesen Standpunkt nicht ändern“, erklärte der Minister. Flüchtlinge haben in Dänemark nur einen vorübergehenden Status. Auch wenn die Ukrainer „uns kulturell näher stünden als Menschen aus dem Nahen Osten“, sagte Dybvad, verhielten sie sich dennoch „völlig anders“ als die Dänen. Wer mehr als 375.000 Dänische Kronen (ca.… Mehr

elly
10 Monate her

Kubicki: FDP-Vize will Milliardenbetrag bei Entwicklungshilfe einsparenWolfgang Kubicki möchte Projekte im Ausland „auf den Prüfstand stellen“. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-12/wolfgang-kubicki-entwicklungshilfe-einsparungen-thorsten-frei Die USA sind mit rund 55,3 Milliarden US$ im Jahr 2022 mit Abstand das größte Geberland weltweit. Deutschland belegt mit 35 Milliarden US$ den zweiten Platz im Geber-Ranking. Danach folgen Japan mit 17,5 Milliarden US$ sowie Frankreich und England mit jeweils ungefähr 15,8 Milliarden US$. Somit entfallen auf diese fünf Geberländer mit rund 140 Milliarden US$ fast 70 Prozent der gesamten weltweiten Entwicklungshilfe. https://www.gtai.de/de/trade/entwicklungslaender/wirtschaftsumfeld/entwicklungshilfe-steigt-auf-rekordniveau-1004492 Allerdings hat USA die 4-fache Bevölkerung. Pro Kopf sieht die Sache ganz anders aus: Land················EntwicklungshilfeproKopf USD·············Prozent zu USA  … Mehr

EndofRome
10 Monate her

Auch diese Analyse fußt auf der Hoffnung, dass die Verursacher unserer Miseren irgendwann doch noch – vielleicht unterm Weihnachtsbaum – zur Besinnung kommen. Dass dies nie passieren wird, dürfte doch inzwischen auch dem letzten TE-Autoren klar sein. Was also soll dieser Artikel?

Haba Orwell
10 Monate her
Antworten an  EndofRome

Die Korruption „unserer“ „Eliten“ wird nicht wie von Zauberhand verschwinden. Die größte Hoffnung dürfte sein, dass auch die restliche Welt gegen die gleichen „Eliten“ kämpft, immer erfolgreicher.

THX1984
10 Monate her

Ukraine hätte verhindert werden können, war offenbar aber nicht gewollt, sondern Strategie der New World Order und des Tiefen Staates.

Mittlerweile berichtet sogar der „Spiegel“ über das RAND-Konzept des Ausstiegs aus dem Ukraine-Krieg, der in den USA mit der Kappung der Geldströme praktisch vollzogen wurde. Schland scheint zuviel Geld zu haben, wenn man hier alle Lasten übernehmen will. Was sagt das Bundesverfassungsgericht dazu?