Zum Evergreen der Parteiologie: CSU bundesweit ist obsolet

Die bundesweite CSU als tatsächlich konservative Partei ist nur noch eine Reminiszenz. Das Ergebnis einer Umfrage von INSA im Auftrag von BILD ist kein Votum für eine bundesweite CSU, sondern ein Misstrauensvotum gegen die Merkel-CDU.

imago images / Sven Simon

Lang ist’s her, seit Franz Josef Strauß 1976 in Wildbad Kreuth die Revolution ausrief. Der Bayerische Rundfunk erinnerte 2009 noch einmal daran:

In der zwölfstündigen Marathonsitzung am 19. November stimmten 30 Mitglieder der Landesgruppe für den Beschluss, 18 dagegen, einer enthíelt sich. Nach 27 Jahren sollte die Fraktionsehe mit der Schwesterpartei aufgelöst werden. Angezettelt wurde die Revolte vom damaligen CSU-Chef persönlich. Franz Josef Strauß, ab 1978 auch mächtiger bayerischer Ministerpräsident mit starken bundespolitischen Ambitionen, wollte an der Spitze einer eigenständigen Fraktion im Bonner Parlament stehen.

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— CSU (@CSU) April 22, 2021

Strauß hat die Idee auch nach 1976 nicht vergessen. Als die sozialliberale Koalition 1982 zerbrach, führte Hans-Dietrich Genscher Anfang 1983 viele Gespräche mit Ralf Dahrendorf, wie dieser den Parteivorsitz übernehmen sollte, weil Genscher nicht an den Wiedereinzug der FDP in den Bundestag glaubte. In der FDP blieb das damals auch im engsten Führungszirkel geheim. Aber Strauß war informiert und sondierte auf Vermittlung eines bekannten TV-Moderators bei einem Dahrendorf-Vertrauten, ob nicht die von den Sozialliberalen verlassene FDP und die CSU bundesweit zusammen kommen könnten. Wie der Verlauf der Geschichte zeigte, wurde daraus nichts.

Das Ergebnis der Umfrage von INSA im Auftrag von BILD ist kein Votum für eine bundesweite CSU, sondern ein Misstrauensvotum gegen die Merkel-CDU.

Wenn Befragte sich äußern, ist das ein Stimmungsbild, was noch lange nicht heißt, dass eine echte Abstimmung so ausginge. Aber als Stimmungsbild sind 10 Prozent CDU ein Datum, das diese Partei ernst nehmen müsste, was sie selbstverständlich nicht tun wird.

Das INSA-Ergebnis als Beweis dafür zu nehmen, dass die Union mit einem Kandidaten Söder statt Laschet besser abschneiden würde, wäre erheblich zu kurz gesprungen. Nie waren CDU und CSU politisch und strukturell so nahe beieinander wie heute. Merkel hat beide Partei entkernt. Richtig ist, dass die Union schon bei Adenauer ein Kanzlerwahlverein war. Eine Mitglieder- und Programmpartei machten Biedenkopf und Geißler aus der CDU unter dem Patronat von Kohl, aber diesen Pfad verließ die CDU mit dem Anschluss der DDR an die BRD wieder in die politische Beliebigkeit des reinen Kanzlerwahlvereins. Merkel konnte diesen Weg viel gnadenloser weiter gehen, weil sie im Unterschied zu Kohl keine emotionale Verwurzelung im Christ-Sozial-Demokratischen mit sich herumträgt – und auch keine andere. Die in der DDR geprägte Merkel ist wie viele, wenn nicht alle der dort zum Teil des Systems Gewordenen am Ende unpolitisch, richtungslos, umtriebig beliebig. Gelegenheit wo bist du? Ich ergreife dich.

Die Union hat schon aufgehört, die alte Bundesrepublik zu prägen, als sie die erste große Koalition bildete. Wehner wusste, was er wollte. Die Koalition Brandt-Scheel war Wehners Betriebsunfall. Wehner wollte die große Koalition als Dauerlösung, natürlich ab der zweiten oder dritten unter Führung der SPD.

Das erinnert mich daran, dass der ebenfalls aus dem Osten kommende Generalsekretär der FDP, Karl-Hermann Flach bis zu seinem Tod 1973 an einer Strategie arbeitete, in einer Dauerkoalition mit der Union eine so dezidiert sozialliberale Politik zu vertreten und die FDP umzubenennen in Sozialliberale Partei, bis die SPD auf Platz drei verdrängt wäre. Im Ergebnis gibt es die Flach’sche Konstellation heute, wenn auch nicht so wie von ihm modelliert. Grünschwarzrotgelb ist keine Partei, aber eine verwechselbare Versammlung nur formal Verschiedener innerhalb des Kartells Parteienstaat. SED/Die Linke einerseits und AfD andererseits gehören nicht dazu, ragen aber mit kleinen Schnittmengen ins Kartell hinein.

Heute sind alle Überlegungen, wie sich mit unterschiedlichen Koalitionen von Parteien des Kartells Parteienstaat unterschiedliche Politiken verwirklichen ließen, gegenstandslos. Welche Konstellation von Regierung mit den dann übrig bleibenden nur formalen Oppositionsparteien den bisherigen Opportunitätskurs fortsetzt, ist egal. Überlegungen von sogenannten bürgerlichen Koalitionen aus Union/FDP und AfD sind schon deshalb obsolet, weil es zwischen diesen keine nennenswerten politischen Schnittmengen in der Sache gibt – vom Dogma keine Koalitionen mit der AfD des Kartells abgesehen.

Und dann? fragen Sie logischer Weise. Politik ändert sich in Deutschland erst, wenn sich rund um Deutschland der Zeitgeist so weit ändert, wie er es überall begonnen hat, und sich die deutsche Classe Politique dieser Entwicklung anpasst, wie sie es seit langem immer tut. Freiheit und Recht sind nicht in Deutschland daheim, sie müssen immer wieder importiert werden, in kleinen Dosen und widerstrebend.

Die bundesweite CSU als tatsächlich konservative Partei ist nur noch eine Reminiszenz, der mit der INSA-Umfrage von BILD auf dem Gelände von Wildbad Kreuth ein passendes Marterl als Gedenken an den ausgedienten Evergreen der Parteiologie gesetzt werden darf.

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