Was mit Zivilgesellschaft wirklich gemeint ist

Immer wenn heute von Zivilgesellschaft die Rede ist, meinen diejenigen, die sie fordern und sich auf sie berufen, jenen Teil der Bürgergesellschaft, den Parteien und NGOs unter ihre Kontrolle gebracht haben.

@ Getty Images

Immer mal wieder hielt ich bei Nennung dieses Begriffes inne. Zivilgesellschaft. Als erstes denken nicht wenige, das ist das Gegenteil von Uniformgesellschaft. Aber in jedem Zusammenhang, an den ich mich erinnere, meinten jene, die Zivilgesellschaft sagten, nicht, dass diese Zivilgesellschaft nicht uniformiert sein möge, sondern dass sie „richtig” uniformiert werden soll.

So hatte ich diesen Text vor Wochen angefangen, war durch andere Arbeit wieder davon abgekommen und wurde nun durch einen Tweet von Sven Giegold dankenswerter Weise daran erinnert:

— Sven Giegold (@sven_giegold) February 26, 2019

„Demokratie braucht eine kritische Zivilgesellschaft”, formuliert Giegold. Ich sollte erwähnen, dass ich Sven Giegold vor vielen Jahren erlebte, als ich eine Diskussionsrunde mit ihm und anderen moderierte. Er war damals in dieser Runde, weil er als einer der Mitgründer an der Spitze von Attac-Deutschland stand. Dort betonte er von sich aus, niemals in die Parteipolitik gehen zu wollen. Dass er das dann doch tat, werfe ich ihm nicht vor. Er hatte wohl einfach erkannt, dass seine NGO wie andere auch eine Partei als parlamentarischen Arm braucht wie umgekehrt die grüne Partei (und ihre politischen Verwandten) Attac und andere NGOs als zivilgesellschaftlichen Arm. Im Wechsel- und Zusammenspiel von Staat und Zivilgesellschaft erscheinen sie stärker, als es ihrer wirklichen Kraft entspricht.

In seinem aktuellen Tweet sagt der grüne EU-Abgeordnete: „Das Kräfteverhältnis zwischen finanzstarken Lobbys und Zivilgesellschaft wird nun weiter auseinander klaffen.” Aber, aber Herr Giegold, Attac und andere NGOs sind doch Teile und/oder Instrumente dieser finanzstarken Lobbys – wie die EU die Agentur der Konzerne ist.

Immer wenn heute von Zivilgesellschaft die Rede ist, meinen diejenigen, die sie fordern und sich auf sie berufen, jenen Teil der Bürgergesellschaft, den Parteien und NGOs organisieren und lenken – jedenfalls kontrollieren, auf dass nicht zu viele Bürger auf die Idee kommen, ihre Meinungen frei von der Leber weg und auch noch öffentlich zu äußern: in einer freien Bürgergesellschaft.

Was Zivilgesellschaft genannt wird, ist weder zivil noch Gesellschaft, sondern politisch und medial gelenkte Demokratie. Nach dieser ruft auch Giegold in seinem Tweet, wenn er den Staat in Gestalt der Justizministerin aufruft, NGOs als Stützen der Zivilgesellschaft gegen ein Gerichtsurteil zur Seite zu treten.

Unterstützung
oder