Vom 2. auf den 3. Oktober, so die offiziöse Lesart, traten die neugegründeten Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie Berlin als Ganzes dem Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 GG bei, wurden somit Teil der Bundesrepublik Deutschland.
Damit ist der 3. Oktober lediglich das Datum des bürokratischen Vorganges, den die Bonner Chefbürokraten Wolfgang Schäuble und Klaus Kinkel ohne jedes Gespür für die historische Stunde, die das hätte sein können, in viele zu viele Worte gegossen hatten. Als ich in jenen Tagen zu Klaus Kinkel sagte, das ist die Stunde der FDP, alles auf den Prüfstand, was sich in der Bonner Republik fehlentwickelt hat, zurück zu Ludwig Erhard und eine mutige Reform an Haupt und Gliedern, sah er mich an, als zweifelte er an meinem Verstand.
Es war dann auch keine „Wiedervereinigung“, sondern ein Anschluss – dem eine goldene Zeit folgte für Beamte, öffentlich Bedienstete, Politiker, Anwälte und so weiter, die im Westen nicht so recht voran kamen, weil sie nicht die Besten waren, oder weil zu viele von ihnen in der Warteschlange standen. Die sogenannte Wiedervereinigung war die Stunde der Anschluss-Gewinnler und rettete Helmut Kohl, Otto Lambsdorff und ihre Parteien völlig unverdient vor dem sicheren Verlust der bevorstehenden regulären Bundestagswahl.
Da in der Bonner Republik so gut wie niemand mehr an eine „Wiedervereinigung“ geglaubt hatte – auch in CDU und FDP – und viele bei SPD, FDP und Grünen keine wollten, als sie plötzlich möglich erschien, rollte die bürokratische Anschlusswalze über sie alle hinweg, bevor sie so richtig begriffen, was da geschah.
Der Anschluss 1990 verschob nicht nur die damals längst überfällige Grunderneuerung des deutschen Parteienstaats bis heute, sondern gab den Mandarinen und Eunuchen dieses Parteienstaats die Möglichkeit, von noch mehr Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien Besitz zu ergreifen.
Hatten bereits in der Bonner Republik die Allermeisten den echten „Tag der deutschen Einheit“ am 17. Juni nur noch als arbeitsfreien Tag genutzt, löst der „Tag der Deutschen Einheit“ am Kunstdatum 3. Oktober erst recht keine Gefühle der Ergriffenheit aus. Wie auch in einem Land, das die Classe Politique unter opportunistischem Voranschreiten der Person M. so tief gespalten hat, wie es geistig nicht einmal die Existenz zweier deutscher Staaten vermocht hatte.