Spitzenpolitiker sind beratungsresistent, aber finden willige Expertologen

Virologen scheinen in Corona-Zeiten mit ihrem Fachwissen zu bestimmen, welche Entscheidungen Politiker treffen. Das ist ein grundlegender Irrtum.

Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images
Gesundheitsminister Jens Spahn (m.), Robert-Koch-Institut-Präsident Lothar Wieler (3R), Virologie-Abteilungsdirektor der Charité Christian Drosten (2L) in der Bundespressekonferenz in Berlin am 2. März 2020

Spitzenpolitiker heißen nicht so, weil sie Spitze wären wie etwa Spitzensportler, sondern weil sie an der Spitze der Parteienhierarchie stehen, also das Sagen haben, Sagerspitzen sozusagen.

In meinen Jahrzehnten in der Politik direkt und dann aus ziemlicher Nähe weiß ich: Spitzenpolitiker, Sagerspitzen, sind chronisch beratungsresistent. Sie hören auf keine Berater, es sei denn in allerhöchster persönlicher Not und dann nur bis zum Ende derselben.

Spitzenpolitiker holen sich vielmehr Berater der unterschiedlichen Sparten von Expertologen, um ihre eigene, längst und stets emotional vorgefasste Meinung hinter der von Expertologen zu verbergen.

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Wie bilden Spitzenpolitiker ihre jeweilige, bei empfundenem Bedarf jederzeit sofort wechselnde, Meinung. Früher einmal, indem sie in Parteiveranstaltungen dem Volk aufs Maul schauten. Früher? Bis in die Sechziger Jahre. Zeitungen spielten auch  damals schon eine Rolle, aber die Presselandschaft bot jeder Meinungsrichtung eine Heimat. Rundfunk und Fernsehen auch, da sich die Sender nach den politisch Vorherrschenden in den Bundesländern richteten. Beginnend mit den Siebzigern steigerte sich der Meinungs-machende Einfluss der Massenmedien immer mehr. Parteiveranstaltungen verloren ihre Rolle als Informationsaustausch zwischen Unten und Oben – und verschwanden als Begegnungsorte von Politikern und Bürgern praktisch ganz.

Spitzenpolitiker richten heute ihre Meinung danach aus, womit sie bei den Massenmedien im Moment die größte Zustimmungsrate erwarten. Je heißer die Frage, desto besser ist es für sie, sich auf Expertologen zu berufen. Die gibt es in nahezu unbegrenzter Auswahl. Für die gewünschte Position gibt es stets nicht nur einen, sondern mehrere Expertologen. Sind diese wie zum Beispiel in Behörden wie dem Robert Koch Institut (RKI) oder Umweltbundesamt (UBA) tätig, können Spitzenpolitiker die gewünschte Meinung und bei Bedarf deren Kehrtwendung anordnen. Bei NGOs und ihren Schwestern wie der Bertelsmann Stiftung lassen sich Studien genannte Meinungstraktate bestellen, die den gleichen Zweck erfüllen.

Alle Spitzenpolitiker, die sich jetzt zu Corona und so weiter äußern, können sich für jede beliebige Meinung auf mindestens einen Expertologen berufen – morgen für das Gegenteil auch.

Stets aber steht die populistisch erfühlte Meinung der Spitzenpolitiker fest, bevor sie entscheiden, auf welche(n) Expertologen sie sich berufen, wenn sie ihren Massenmedien die Meinung liefern, welche diese als die richtige, wenn nicht sogar alternativlose in die Welt posaunen. Wobei Massenmedien ebenso wenig Probleme damit haben wie Spitzenpolitiker, morgen das Gegenteil von gestern als alternativlos zu verkünden. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.

Als Anschauungsbericht bedienen Sie sich bitte der vielen Möglichkeiten im World Wide Web, in vielen Fällen finden Sie Beispiele hier auf Tichys Einblick. TE hat immer recht? Nein, aber in der Regel schon. Und wenn mal nicht, ist es kein Problem, das zu korrigieren.

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Kommentare ( 114 )

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moorwald
4 Jahre her

Auch eine schwache und inkompetente Regierung kann in Krisenzeiten das Richtige tun. Auf unbekanntem Gelände ist jeder erst mal orientierungslos. Trotzdem würde man sich bei einer fähigen grundsätzlich wohler fühlen. Wann wird der Unterschied deutlich werden? Da man das Experiment wie immer in der Geschichte nicht wiederholen kann, bleibt nur die Abwägung der Maßnahmen und vor allem derFolgen gegen die Erreichung des erklärten Ziels. Dies vor allem mit einem Blick auf andere Länder, wobei die Ausgangslage nie gleich ist. Die Frage: „Was hätte man anders machen können?“ ist deshalb wenig nützlich, weil sich die viel größere stellt: „Wie bewältigen wir… Mehr

Ralf Poehling
4 Jahre her

Das alte Problem der Berufspolitik. Wer als Politiker von seinem Amt lebt, der hat natürlich größtes Interesse, dass sein Job ihm oder ihr erhalten bleibt. Und dafür braucht es natürlich Bestätigung, das er oder sie den Job gut macht. Der Rest erklärt sich von selbst.

Man kann es nicht oft genug wiederholen:
Wir brauchen mehr Basisdemokratie, wo der Wähler selbst in seinem eigenen Sinne entscheidet und kein Mittelsmann mit andersartigen Eigeninteressen dazwischen sitzt, der die Sachlage sowie auch die potentielle Lösung dazu, in seinem anderen Interesse negativ beeinflussen kann.

Besserwisser
4 Jahre her

Bei Großbetrieben sind Manager am Werk, die i.d.R. keine Identifikation mit dem Unternehmen haben und auch nicht darunter leiden, wenn etwas schief geht, eher noch das Gegenteil. Bei Familienunternehmen mit eigenem Kapital im Feuer sieht das Engagement schon anders aus. Letztere schleimen auch nicht bei der BK so, wie beispielsweise der Siemens-CEO.

zaungast
4 Jahre her

Der hier vorherrschende Politikertyp ist prinzipiell von der eigenen absoluten Kompetenz überzeugt. „Beratungsresitenz“ ist dabei ein noch allzu höflicher Ausdruck – Wissenschaftler haben allenfalls die Funktion als intellektuelle Mitläufer Zuarbeiterdienste zu liefern. Sie sind nicht einmal Hofnarren, da diesen an den Höfen absolutistischer Herrscher durchaus Widerspruch zugestanden wurde. Diejenigen „Wissenschaftler“, die sich als Stützen der politischen Kaste anbieten sind eher mit einem Gewerbe zu vergleichen, das anzusprechen meine Höflichkeit verbietet. Die unheimliche Trias aus selbstverliebten Politikern, konformistischen Journalisten und herrschaftsaffinen Wissenschaftlern rekrutiert sich aus dem in deinem Lande offenbar großen Reservoir einer Akademikerschicht, die vor allem jener deutschen Tradition folgt,… Mehr

Wolfgang Schuckmann
4 Jahre her

Ich glaube nicht mehr, dass es um die Zustimmungsraten zu politischen Aussagen, Maßnahmen geht. Diese Zeiten waren es, die diesen ganzen Schlamassel mit heraufbeschworen haben und die jetzt endgültig am Ende angekommen sind. Und bei den Experten einzuhaken: Eine Atemwegserkrankung wird in der Regel worüber weitergegeben? Richtig, über die Atemwege. Ist zwar eine sehr schwierige Erkenntnis, aber zutreffend. Mundschutz? Hilft doch nur dem Anderen sich möglicherweise durch mich nicht infizieren zu lassen. Und wie ist das umgekehrt?……..Richtig! Aber Mundschutz, nach der wissenschaftlichen Lesart, hilft natürlich nicht echt. deshalb haben alle Operateure in der Chirurgie einen vorm Gesicht. Dient aber nur… Mehr

Jasmin
4 Jahre her

Ja! So ist es! Ich betone schon seit Jahren, das „Hierarchien ausschließlich der Verschiebung von Verantwortung dienen“ (Luhmann), und wenn überhaupt jemand zur Verantwortung gezogen wird, dann ist es mit Sicherheit nicht die Person, die tatsächlich verantwortlich ist. Ich würde heute die Aussage von Luhmann erweitern, und sagen, das Hierarchien ausschließlich der Organisation von Verantwortungslosigkeit dienen. Und da werden die, die gerne erklären, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, immer perfekter. Nicht nur die Ausweitung der Hierarchieebenen vom Bürger über den Sachbearbeiter in der kommunalen Behörde über die Landes-/ Bundes-/ EU bis zur WHO- Behörde (wobei jede Ebene nochmals… Mehr

AHamburg
4 Jahre her

bei merkel haben seit je her Kommissionen und Ethikräte das sagen Diese sind wiederum in staatlich finanzierten NGOs (Linksgrüne Versorgungsposten) involviert oder in engem Kontakt.

Kassandra
4 Jahre her

Dr. Gunter Frank schreibt gestern auch der Achse: „Hätten die vielen kompetenten und unabhängig agierenden Wissenschaftler eine größere Bühne in der Öffentlichkeit und müssten nicht um berufliche Konsequenzen fürchten, wenn sie ihre Meinung frei äußern, wäre eine solche Analyse der Lage längst Allgemeingut, und der immense Schaden des Lockdowns, der erst richtig auf uns zurollen wird, hätte zumindest teilweise vermieden werden können. Die öffentliche Dominanz regierungskonformer Wissenschaftsfunktionäre und Medien schwächt so die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft, in einer Krise um die besten Lösungen zu streiten.“ Zudem beschreibt er, dass die in den Medien verbreitete Panikmache auch durch ärztliche Kapazitäten, fragt man… Mehr

horrex
4 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Ja,
längst lähmt Angst vor … jede Freiheit!

rolf
4 Jahre her

Das sind dann die „Persönlichkeiten“, die sich in jedem System wohlfühlen…mal ist man Nazi oder bei der Stasi, und nach der „Wende“ ist man Ministerpräsident oder gehört zur „Regierungselite“ von Thüringen.

Frage: „Welcher Schuldirektor, Verfassungsrichter, Betriebsratsvorsitzender oder auch Museumsdirektor ist kein Systemling?“.

Sonny
4 Jahre her

Den meisten Menschen in Deutschland ist das vollkommen egal. Und das ist das eigentliche Unglück. Die Sagerspitzen haben dafür gesorgt, dass man sie nur unter großen Mühen wieder los wird, egal, wie schlecht sie arbeiten, denn Rücktritte erfolgen meist nur noch von desillusionierten (erfolglosen) Rechtschaffenen. Und Rechtschaffene in der Politik zu suchen ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mit Demokratie hat das alles nur noch sehr wenig zu tun. Der deutsche Charakter ist anscheinend durch und durch untertänig, denn er zuckt im Falle eines Falles meistens nur mit der Schulter. Und ordnet sich dann in die Schafherde ein… Mehr