Mit dem Atommüll intelligent umgehen – ja bitte

Für den Atomausstieg haben sich viele engagiert. Seit er beschlossen ist, fragen einerseits manche, ob der Weg zu einem Energiemix ohne Atomstrom ausreichend durchdacht war. Andererseits mahnen andere an, dass der Umstieg nicht konsequent verwirklicht wird, ja dass die bisherigen Schritte die Umweltbilanz verschlechtern. Aber wie der radioaktive Müll in absehbarer Zeit bestmöglich entsorgt werden soll, scheint die wenigsten zu interessieren. Diesen Widerprüchen will ich in ein paar Beiträgen nachgehen. Aber nicht ohne im ersten nötige trockene Fakten zu nennen.

Die gewohnten Aktionen gegen Castor-Transporte dürften durch einen wachsenden Widerstand der Bürger an den Lagerstandorten erheblich verstärkt werden. Atommüll in 26 Castoren muss Deutschland ab 2017 zurücknehmen. Fünf mit mittelradioaktivem Abfall aus Frankreich sollen 2017 ins Zwischenlager Philippsburg in Baden-Württemberg. 21 mit hochradioaktivem Atommüll aus Großbritannien sind bis 2020 für Lager bei den Atomkraftwerken Isar in Bayern, Biblis in Hessen und Brokdorf in Schleswig-Holstein geplant. Doch die erforderlichen Einlagerungsgenehmigungen fehlen. Politischer und juristischer Streit sind programmiert. Baden-Württemberg wählt 2016 seinen Landtag. Die Politik hat noch etwas Zeit, sich mehr einfallen zu lassen als Transporte-Abwicklung mit hohem Polizei-Einsatz.

Es ist ebenso wahr, wie es in den Köpfen der Menschen fehlt und in den Berichten von Medien: Atomare Kernkraftwerke waren keine wirtschaftliche, sondern eine politische Entscheidung. Auf einem freien Markt wären sie nie in Serie gegangen, weil die Haftung für Katastrophen-Folgen keine Wirtschaftlichkeitsprüfung übersteht. Gewerkschaften und SPD bahnten den Weg für die Kerntechnik, die anderen Parteien gingen ihn mit. Die Grünen kämpften gegen Atomkraft, die SPD schloss sich an, Angela Merkel setzte sich nach Fukujima an die Spitze. Der Einstieg in die Kernenergie war das Ergebnis des Primats der Politik, der Ausstieg auch. Aber warum ist es seit der politischen Entscheidung Atomausstieg um die Erblast Atommüll so still?

Ist die Suche des „richtigen“ Bergwerks alles?

Deutschlands Amtssprache ist  auch beim Thema „hoch radioaktive Abfallstoffe“ schon rein sprachlich keine Einladung zum öffentlichen Diskurs. „Entsorgungspfade“ nennt das Fach-Kauderwelsch die verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs mit dem Atommüll. Fünf solcher Entsorgungspfade nennen einschlägige Papiere, verwerfen drei ganz und die verbleibenden zwei je zur Hälfte. Komplett abgelehnt wird

  • der Raketentransport in den Weltraum außerhalb des Schwerefeldes der Erde,
  • das Versenken im antarktischen oder grönländischen Eis,
  • das Versenken im Meer, das Vergraben im Meeresboden oder noch tiefer im Erdinneren.

Da wird sich kaum jemand finden, der das anders sähe. Die endgültige Lagerung auf der Erdoberfläche wollen unsere Regierungsstellen ebenfalls nicht. Auch das werden die meisten verstehen. Das Risiko der absichtlichen oder unabsichtlichen Einwirkung mit katastrophalen Folgen wäre unverantwortlich. Die oberirdische Lagerung für sehr lange Zeit – etwa mehrere hundert Jahre – mit der Option einer Endlagerung irgendwann später will die „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ nicht apriori verwerfen, sondern im Blick behalten. Das ist die aktuelle Politik in den Niederlanden. Was bleibt auch anderes übrig, so lange es keine tatsächliche Lösung gibt? Bei der „Endlagerung in der Erdkruste“ unterscheidet die Kommission drei Varianten:

  • mehrere Meter breite und mehrere tausend Meter tiefe Bohrlöcher, in denen die Abfallbehälter verschlossen werden,
  • Einlagerung in Endlagerbergwerke in Salz, Tonstein oder Kristallingestein, wobei die Rückholbarkeit sichergestellt wird,
  • Einlagerung in Endlagerbergwerken ohne Rückholbarkeit.

Endlagerbergwerke mit Rückholmöglichkeit empfiehlt die Kommission als Lösung aktiv weiterzuverfolgen, womit es bei der bisherigen deutschen Vorgehensweise bliebe. Die Endlagerung in Bohrlöchern will sie „weiter beobachten“, weil es bisher keine Technik gibt, die das erprobt könnte. Endlagerbergwerke ohne Rückholbarkeit lehnt sie ab. So einleuchtend das letzte für mich ist, so wenig überzeugt mich, dass die Fortsetzung der bisherigen Bergwerkssuche alles sein soll. Aber weiter geht der gesellschaftliche Konsens bisher nicht, an dem die Kommission arbeitet.

Politische Tabus verstellen Atommüll-Alternativen

„Vorstufe zur Entsorgung“ nennt die Kommission die Perspektive „Transmutation“. In früheren Zeiten wollten Alchemisten mit Transmutation Gold aus anderen Elementen herstellen. Heute wird nach Wegen gesucht, strahlendes Material mit Transmutation in weniger strahlendes, kürzere Zeiten strahlendes oder gar nicht mehr strahlendes umzuwandeln. Ob das gelingt, wissen wir nicht. In Laborversuchen sollen Fortschritte gemacht worden sein. Aber bisher gibt es keine Transmutationsanlage, die nukleare Abfälle beseitigt. Eine europäische Forschungsanlage in Belgien soll 2023 in Betrieb gehen: Zukunftsmusik also. Die Rückholbarkeit in Endlagern ist auch wegen solcher Perspektiven wichtig.

Der deutsche Haken: Das Atomgesetz verbietet eine kerntechnische Industrie, die zur Wiederaufbereitung ebenso notwendig wäre wie zur Suche nach Transmutations-Wegen. Deutschland wäre von seinem technischen Knowhow mindestens gleich gut wenn nicht besser geeignet für diese Suche als andere, hat sich aber selbst die Hände gebunden. Wenn Deutschland bei seinem Kurs bleibt, rücken andere Optionen in den Blick. Australien und Russland schlagen kerntechnische Wege ein, die beide Länder als Exportziele für Atommüll interessant machen.

Australien will gebrauchte Brennelemente importieren und in Schnellen Brütern einsetzen, die ihre Wärmeenergie zur Stromerzeugung nicht mit Wasser und Dampf transportieren, sondern mit flüssigem Natrium. Gebrauchte Brennelemente aus bisherigen Kernkraftwerken enthalten noch immer 90 Prozent der Gesamtenergie frischer Elemente. Australien rechnet sich aus, dass Länder wie Südkorea und Deutschland, die nicht wissen wohin mit dem Atommüll, ihm das Material für seine neuen Schnellen Brüter gern und günstig liefern werden: Zumal sie die Konfrontation mit ihren Bürgern zunehmend scheuen, die das Zeug nicht in ihrer Nähe gelagert wissen wollen.

Einen solchen Reaktor hat das amerikanisch-japanische Unternehmen GE Hitachi Nuclear Energy (GEH) erfolgreich getestet. Russland hat seinen Schnell-Reaktor BN-800 mit 789 Megawatt Leistung in Belojarsk fertig und bereitet einen BN-1200 mit 1130 Megawatt für 2020 vor. Sie können Uran und Plutonium aus russischen Atomwaffen verwenden, aber nach Aufbereitung jeden Atommüll. Bei Russland und Australien als denkbaren Entsorgungsadressen deutschen Atommülls wird es nicht bleiben. Die Option des Atommüll-Exports sollte die deutsche Planung also wohl in ihre Überlegungen einbeziehen.

Wer A wie Atomausstieg sagt, muss auch E wie Entsorgung ernsthaft einer zeitnahen Lösung zuführen. Die Suche nach den richtigen Bergwerken als Atommüll-Gräber dauert schon viel zu lange – und sollte sich nicht weiter im Kreis drehen. Mit der oberirdischen Lagerung weiterzuwursteln ist risikoreich. Wenn der nächste Castor kommt, steht das Thema wieder auf der Tagesordnung. Den öffentlichen Diskurs vorher offensiv zu führen ist besser.

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