Europas Politiker: gefangen in der eigenen Falle

Warum sollte Alexis Tsipras seine Wahlversprechen brechen, um den Regierungschefs in Berlin und anderswo zu helfen, ihre einhalten zu können? Es braucht keine prophetische Gabe, um zu wissen, dass es zu irgendeinem faulen Kompromiss kommen wird – näher am Wahlversprechen von Tsipras als von anderen.

Die Regierenden und ihre loyale Opposition in den EU-Ländern treiben den politischen Kräften links und rechts außen Wähler und Anhänger zu. Alle wissen es, aber sie wissen nicht, was sie dagegen tun sollen. Mit der Erhebung des Euro und der Eurozone in den Stand der Alternativlosigkeit, sitzen sie in der eigenen Falle.
Roland Tichy zitiert den nächsten griechischen Finanzminister Varoufakis: „Was immer die Deutschen sagen, am Ende werden sie immer zahlen.“ Die Fortsetzung dieser Wahrheit ist, dass immer mehr Deutsche, die Angst vor ihrer Zukunft haben, das von immer mehr Meinungsmachern hören werden. Mit diesem griechischen Motto lässt sich wirkungsvoll Angst machen. Das passt zum ursprünglichen Thema Euro der AfD und ihr nahestehender Gruppen. Und es passt zur Position der Linkspartei gegen die Forderung nach marktwirtschaftlichen Reformen in Griechenland und überhaupt.

Das ist eine Sturzflut auf die Mühlen von Nigel Farage und seiner britischen Unabhängigkeitspartei UKIP, die den Austritt des United Kingdoms aus der EU und einen Stopp der Masseneinwanderung fordert. Das gleiche gilt für Marine Le Pen und ihre Partei in Frankreich, die den Sieg des Sozialisten Tsipras und seine Koalition mit dem Nationalisten Kammenos frenetisch begrüßte. Genau so verhält es sich mit dem Chef der rechtsaußen stehenden Lega Nord Salvini in Italien und dem Anführer der spanischen Linksaußen-Bewegung Podemos Iglesias.

Wie immer der faule Kompromiss mit der neuen sozialistischen und nationalistischen Regierung in Athen aussehen mag, seine Wirkung auf die politische Landkarte der EU-Länder wird in der Stärkung der Extreme links und rechts bestehen. Von Wahl zu Wahl in der EU werden wir das Anwachsen der politischen Extreme erleben. Bis eines Tages Parteien der beiden Extreme in Madrid, Rom, Paris und Berlin an Regierungskoalitionen beteiligt sein werden.

Den Akteuren in Berlin und den anderen Hauptstädten bleibt noch Zeit. Angesichts der weiter guten Wirtschaftsdaten in Deutschland und im europäischen Norden können die Mitte-Links-Regierungen sicher noch eine ganze Weile im Schatten der Beruhigungspille des fröhlichen Konsums der Mehrheit ihrer Völker weiterwursteln wie bisher. Aber wehe, sobald es dabei nicht bleibt. Und wehe dort, wo die griechische Reformverweigerung andere Länder ansteckt. Oder sich das geschenkte Konjunktur-Programm der dramatischen Ölpreissenkung wieder verflüchtigt. Oder sich andere globale Parameter negativ verändern. Bedingungen, auf die Europas politische Elite ebenso keinen Einfluss hat wie auf den Ölpreis. Und Bedingungen, die sie nicht beeinflusst, weil sie sich auf keine Richtung einigen kann.

Die Lunten an Sprengladungen für den Euro und die EU werden jetzt gelegt. Auch wenn Politiker und Medien nichts hören, sehen und sagen wollen. Zünden kann sie eines Tages der kleinste Funke. Die Geschichte ist voller Beispiele. Von den neuen Fehlern werden sie wohl niemanden abhalten. Aber so wie unsere Politik den fallenden Ölpreis nicht „verschuldet“ hat, kann ja plötzlich von irgendwo ein Lichtlein herkommen, das Europas Politiker aus der eigenen Falle befreit.

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