„Andere“, die anders sind als die Üblichen, gewinnen Aufmerksamkeit

Journalisten, Wahlforscher und Politiker selbst können keine Erkenntnisse über die Motive von Bürgern finden, weil sie sich innerhalb des selbstbeschränkten Erklärungsrahmens bewegen und die Motive der Nichtwähler ignorieren.

Andrew Buchanan

In meinem Beitrag Der Grünen demoskopischer Aufstieg und Fall zeige ich, wie eine einzige Frage mehr als bei den üblichen Umfragen die aufschlussreiche Erkenntnis brachte, 16,2 Prozent wollen in Sachsen eine andere Partei, als sie wählen können. Ähnliches käme garantiert in anderen Bundes-, Landes- und EU-Umfragen raus.

Journalisten, Wahlforscher und Politiker selbst können keine Erkenntnisse über die Motive von Bürgern finden, weil sie sich nur innerhalb des selbstbeschränkten Erklärungsrahmens bewegen, der sowohl die Nichtwähler ignoriert wie die Motive der Wahlberechtigten für ihre Entscheidungen.

Die Ignoranz des Parteienstaats drückt sich sachlich und semantisch im folgenden Text der Bundeswahlleiterin aus.

In Österreich kommen die oben Genannten auf keinen grünen Zweig bei der Frage, warum die KPÖ zuerst in der steirischen Landeshauptstadt Graz, dann in Salzburg und nun in Innsbruck zurück auf der politischen Bühne ist, von der die Kommunisten schnell nach dem Abzug der Roten Armee 1955 verschwunden waren.

Nein, um eine Wiederbelebung des Kommunismus handelt es sich schon deshalb nicht, weil die von der Grazer KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr (28,9 Prozent), dem Salzburger KPÖ-Vormann Kay-Michael Dankl (23,1 Prozent) und die neu in den Innsbrucker Stadtrat eingezogene KPÖ (6,72 Prozent) keine grundsätzlich andere Politik verfolgen als die SPÖ und in sozialpolitischen Frage auch FPÖ und ÖVP. Dass die KPÖ vorher nicht da war und ihre Spitzenleute in Graz und Salzburg (Innsbruck ist ein Kollateralgewinn, kein Personenerfolg) ganz anders auftreten als die gewohnten anderen Immerwiederselben, machte ihren Erfolg. Nur wenn die KPÖ bei den kommenden Wahlen Personen wie in Salzburg findet, kann sie ihren Erfolg fortsetzen. Bis, ja bis sie absehbar so aussehen wird wie die anderen schon lang.

Viele haben es schon vergessen: Auch Sebastian Kurz gründete seinen Erfolg für die abgewirtschaftete ÖVP auf nichts anderes als seine Andersartigkeit. Dass die ÖVP bei der nächsten Nationalratswahl im Herbst dieses Jahres wieder dort landen wird, wo sie vor Kurz war, halte ich für mehr als wahrscheinlich. Und bitte folgen Sie mir noch ein Stück zurück: Jörg Haider war ein früher Sebastian Kurz der FPÖ. Und auch Jürgen Möllemann mit fast 10 Prozent in Nordrhein-Westfalen 2000 bei einem Einstimmen-Wahlrecht (!) gründete auf dem Anders. Willy Brandt übrigens auch. Und Gerd Schröder.

In Deutschland ruhen alle Erfolgsaussichten des BSW auf dem W. Ohne Sahra Wagenknecht wären auch ihre alten und neuen Genossen mit der SED-PDS-Die-Linke im Orkus der Berliner Republik versunken. Ansonsten ist derzeit niemand in Sicht, der genügend anders wäre oder auch nur anders daherkäme in der deutschen Politikarena. Die AfD hatte schon in der längst vergangenen Gründungsform der Professoren-Partei gegen den Euro keine Person, die sie anders aussehen ließ. Für die folgenden Vorleute gilt das bis heute.

Roland Tichy schrieb im Aufgreifen einer Beobachtung von Gerd Held: Nein, es wird keine Revolution der Tätigen gegen die Regierung geben, die sie zunehmend entmündigt. Wer arbeitet, hat keine Zeit für Demonstrationen.

Wer arbeitet, hatte nicht nur schon immer keine Zeit für Demonstrationen, sondern auch keine Aufmerksamkeitsreserven für das Studium von Parteiprogrammen, den Besuch von Parteiveranstaltungen, die Lektüre von Politikartikeln, das Anhören von Politikeransprachen und so weiter. Man wählte, weil man das tut, man wählte, was die Peer Leader wählten, die Multiplikatoren im sozialen Umfeld. Jene, die irgendwann das Gefühl überwältigte, wozu wählen, es bessert sich doch nichts, bilden den Kern der gestiegenen Zahl der Nichtwähler. Strukturell hat sich nichts geändert – nur die Peer Leader sind jetzt anders, aber nicht auf ansprechend sympathische Weise, sondern mit abstoßenden Ansichten und Sitten.

Werte Leser, ich weiß, was Sie schreiben werden, warum das mit der AfD nicht stimmt, die Gegenargumente einzelner unter Ihnen könnte ich hier gleich mit dazu setzen. Aber meine Beobachtungen, die mich zu diesem Befund bringen, betreibe ich seit bald sechzig Jahren ununterbrochen – von drinnen in der FDP bis draußen im riskanten Leben des Freiberuflers seit Mitte der 1990er. Zeitgenossen, die sich informieren, ihre Meinung bilden und dann entscheiden, ob und was sie wählen, gibt es wenige. Die meisten folgen ihrem Umfeld oder ziehen sich in die Gartenlaube zurück wie im Biedermeier des Vormärz.

In meinem eingangs erwähnten Beitrag Der Grünen demoskopischer Aufstieg und Fall steht: Medienmehrheit statt Wählermehrheit ist die Machtbasis der Grünen.

Die Medienmehrheit ist der archimedische Punkt. Wahlen können es beim deutschen Wahlrecht nicht sein, weil das Wahlrecht des Grundgesetzes aus lauter Angst vor Weimarer Verhältnissen die Bürger so gründlich von der Ausübung demokratischer Rechte ausgeschlossen hat, dass die real existierende Berliner Republik geradezu in Weimarer Verhältnisse getrieben wurde.

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Kommentare ( 14 )

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verblichene Rose
7 Monate her

Also: Wer arbeitet, hat keine Zeit für nichts. Aber weil die Wähler der Grünen offensichtlich sehr viel Zeit haben, sind Medien die Machtbasis der Grünen, denn Grünenwähler lesen und bilden sich dadurch quasi weiter. Ganz offensichtlich erkennen diese Wähler nicht die Konsequenzen ihres Verhaltens. Oder sie arbeiten in gut “abgesicherten” Jobs, die nicht selten von meiner Hand in deren Mund bezahlt werden, oder beides! Ich muss also keine (MS-)Medien konsumieren, um zu wissen, dass die Altparteien nicht wählbar sind. Und das heisst, dass es Hunde und Katzen regnen könnte, ich aber wählen gehe! Und dann noch zu Ihrem Satz: Zeitgenossen,… Mehr

Manfred_Hbg
7 Monate her

Zitat: „Wer arbeitet, hatte nicht nur schon immer keine Zeit für Demonstrationen, sondern auch keine Aufmerksamkeitsreserven für das Studium von Parteiprogrammen, den Besuch von Parteiveranstaltungen, die Lektüre von Politikartikeln, das Anhören von Politikeransprachen und so weiter“ > Richtig, so ist es! Ähnliches habe selbst auch ich politischer Dummie hier an anderer Stelle schon mehrmals geäußert weil mir meine Logik sagt, dass z.Bsp. der täglich buckelnde Papa und auch die Mama keine Lust mehr haben nach Feirrabend noch Stunden im Internet zu forschen um nicht nur vom Grün- und Staatsfunk, sondern wirklich objektiv informiert zu sein. Und wie auch schon im… Mehr

W aus der Diaspora
7 Monate her

Sehr richtig! Wir werden nicht von unfähigen Politikern regiert, sondern von unfähigen Journalisten in Zusammenarbeit mit NGOs, die unbrauchbare und/oder unfähige Politiker vor sich her treiben.

Waldorf
7 Monate her

Mehr Freiheit wagen! Aber dafür muß es erst noch deutlich unfreier werden, insbesondere „im Westen“ Das dürfte auch der Kulminationspunkt sein, der Ost- und Westdeutschland fundamental unterscheidet: die 50+ Bürger im Osten kennen staatlich organisierte Unfreiheit noch aus eigener Erfahrung und „riechen“ die aktuellen Tenzen auf 10m gegen den Wind, während vielen „Westdeutschen“ alles nur rätselhaft ist, was „Berufspolitik“ veranstaltet, insbesondere deren autokratischen (bis totalitäre) Ziele. Unsere „Berufspolitik“ ist seit Jahren dabei, sich von den Unwägbarkeiten von Wahlen zu immunisieren, schlicht sich „unabwählbar“ zu machen – wie damals die SED. Ob die neue Allianz der „Unabwählbaren“ Kartell, Neo-Blockparteien, „Eliten“ oder… Mehr

Wolfgang Schuckmann
7 Monate her

Die Diskussion über ‚Demokratie‘ in Deutschland ist eine Scheindebatte. Was mir fehlt im Diskurs ist die schlüssige Antwort auf viele Geschehnisse seit ich denken kann, auf die nie in irgendeiner Weise auch nur ein Wähler beteiligt gewesen ist. Waren es die Fragen der Währungssicherheit bei der Einführung des Euro( Lucke, Henkel – AFD) war es die Befragung beider deutscher Bevölkerungen zur Wiedervereinigung , die Fragen der Nato-Beteiligung und entgegen aller Zusagen des Westens ihre Ausweitung nach Osten, von vielen Warnern als Stolperstein für das Auskommen der ehemaligen Blöcke wirtschaftlich, als auch militärisch, bezeichnet( ich selbst vertrete die Ansicht, dass die… Mehr

Kassandra
7 Monate her

„Es scheint allenthalben mehr Meinung als Ahnung vorhanden“ Alter Postkartenspruch. Lange bestätigt. Ich weiß immer gar nicht, wo ich mit solchen anfangen soll, über das, was hier lange zu aller Schaden läuft, zu reden – und wenn ich es doch tue höre ich mir selbst zu und fühle mich, versetze ich mich in die Situation meines von örr wie msm besetzten Gegenübers, als Verschwörungstheoretiker. Schlimm, dass die, die dort kleben, so gänzlich ohne Zweifel glauben – und sich dieses Glaubenssystem auch nicht infrage stellen lassen. Da sind sie denen, die mit der fremden Ideologie einreisen, ähnlich. Auch die werden für… Mehr

verblichene Rose
7 Monate her
Antworten an  Kassandra

Danke für die Richtigstellung des Slogans der Grünen.
Ich habe nämlich immer gelesen:
Breit, weil ihr es seid!“
Schade eigentlich, denn mein Verlesen passt eigentlich m.M.n. besser zum Wahlverhalten der Anhänger der Grünen.

Spyderco
7 Monate her

,,Wer arbeitet, hat keine Zeit für Demonstrationen.“

Das mag sein.Zeit zum Nachdenken hat allerdings jeder.
Dabei müsste auffallen,daß Ampel und Union sich bei den Kernthemen(Massenmigration, Klima-und Energiewahnsinn,Milliardengeschenke von Afghanistan bis Ukraine), nur in Nuancen unterscheiden.
Auch das BSW hat lediglich in der Russland-Politik grundlegend andere Ziele.

Fazit:86%,aus welcher Motivation auch immer,unterstützen ein WEITER SO!

Last edited 7 Monate her by Spyderco
Gabriele Kremmel
7 Monate her

Medienmehrheit statt Wählermehrheit ist die Machtbasis der Grünen. Damit ist einem Satz alles gesagt, und hier liegt auch der faulige Kern unserer, unter dem Würgegriff oppositionsfeindlicher Medien röchelnden Demokratie. Der Punkt ist, dass die vielbeschäftigte Bevölkerung (nicht nur die arbeitende) sich ihr Bild allenfalls aus Schlagzeilen und der ÖR-Berichterstattung macht, der sie vertraut. Dass dieses Vertrauen missbraucht wird und die Medien sich zu einem tendenziösen, aktivistischen Pro-Regierungs-Propagandaapparat entwickelt haben, ist den meisten überhaupt nicht bewusst. Ich las einmal, die Rechten sind zur damaligen EU-kritischen Partei nur deshalb gekommen, weil die Medien und die politischen Gegner begonnen haben, ihr das rechtsextreme… Mehr

verblichene Rose
7 Monate her
Antworten an  Gabriele Kremmel

Vielen Dank! Mir hat die letzte Vokabel „trotzdem“ sehr gefallen. Obwohl dieses Trotzdem suggeriert, dass die AfD (welche Sie wohl ansprechen) tatsächlich rechtsextrem wäre. Tatsache ist aber, nur für mich, dass die AfD in ihrem Parteiprogramm kaum einen Millimeter vom Grundgesetz abweicht, sondern es quasi interpretiert, also auf keinen Fall verfassungsfeindlich ist/sein kann. Was jedem Menschen, der seine sieben Sinne noch täglich erfährt aufzeigt, dass die Altparteien momentan beinahe jeden Artikel des GG für ihren Machterhalt zum Gummiparagraphen umgedeutet haben und auch noch dagegen verstossen, denn Andersdenkende sind ja z.B. nach deren Denke folgerichtig „rechts“! Was mir die Altparteien also… Mehr

ThomasP1965
7 Monate her

Aufstieg und Fall?
Seltsamerweise stehen die Grünen erneut bei 17 Prozent. Sie sind seit mehreren Jahren konstant in der Range zwischen 13-20.
Die unsachliche Hetze der Mainstream- und Rechtspresse (Bild, Burda & Co.) gegen die Grünen wirkt nur gegen die FDP, die jetzt unter der 5 Prozent Hürde zu verschwinden droht. Auch bei der SPD erinnern sich immer mehr Wähler, was für die Gasknappheit durch schlechte Diversifizierung der Lieferungen ursächlich ist.

verblichene Rose
7 Monate her
Antworten an  ThomasP1965

„Die unsachliche Hetze der Mainstream- und Rechtspresse (Bild, Burda & Co.) gegen die Grünen wirkt nur gegen die FDP, die jetzt unter der 5 Prozent Hürde zu verschwinden droht…“ Könnten Sie mir bitte erklären, was Sie unter einer Drohung verstehen? Und wenn Sie das können, dann können Sie mir sicherlich erklären, was Sie unter dem Begriff Wählerwille verstehen, oder? Mithin sind Sie bitte so nett, den Huftritt einiger MS-Medien erklären zu können, die nichts weiter bedeuten, als das eines nach Luft schnappenden Ertrinkenden. Die Steine, von denen Sie also sprechen, haben sich einige Medien allerdings selber ans Bein gebunden und… Mehr

Biskaborn
7 Monate her

Interessanter Artikel, der aus meiner Sicht den Kern der Sache trifft. Nur ganz wenige Menschen beschäftigen sich wirklich mit Politik, belesen sich sich vielseitig. Die Masse folgt dem Herdentrieb, informiert sich ausschließlich über die Systemmedien, kritisieren hier und da und wählen, wenn überhaupt, dann doch wieder die von ihnen gerade Kritisierten. Übrigens, auch die AfD gibt, leider, aktuell kein wirklich gutes Bild ab! Auch ein Grund für die hohe Zahl Nichtwähler , es fehlt wohl doch an echten Alternativen!

Proffi
7 Monate her
Antworten an  Biskaborn

Die Mutter allen schädlichen Unsinns ist die Vorstellung, dass ein Klimakollaps droht, der unbedingt besonders von Deutschland aus, durch Ruinieren der Energieversorgung und des Individualverkehrs verhindert werden muss. Jede Partei, die diesem Unsinn huldigt ist, unwählbar. Diese Parteien sind schädlich und uninteressant. Man braucht keine Gedanken an sie verschwenden.