Einst schlossen sie einen Pakt, heute sind sie sich spinnefeind: Die Kanzlerin möchte am liebsten Griechenland aus dem Euro scheuchen, der EZB-Chef hält dagegen. Eines ist schon jetzt sicher: Der Euro hat in der jetzigen Form keine Chance zum Überleben.
Was für ein Jahresbeginn! Da fiebern Banker und Börsianer der nächsten Sitzung des EZB-Rats am 22. und der Griechenland-Wahl am 25. Januar entgegen, und schon entlädt sich vorher, am 3. Januar ein verspäteter Monster-Silvesterknaller, der das Zeug hat, beide Ereignisse zu harmlosen Partyknallfröschen zu degradieren: Angela Merkel und Wolfgang Schäuble halten den Grexit, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone, „für verkraftbar“, meldet Spiegel Online. Grund dafür seien die Fortschritte der Eurozone seit dem Krisenjahr 2012. Prompt meldet sich der Sachverständige Peter Bofinger zu Wort; er fürchtet, mit dem Grexit werde „ein Geist aus der Flasche gelassen“. Willkommen im kaum noch zählbaren so und so vielten Akt der Euro-Schmierentragödie!
2012, war da nicht etwas? Genau, man schrieb den April, als EZB-Chef Mario Draghi verlauten ließ: „Was mir jetzt am meisten durch den Kopf geht, ist, dass wir einen Wachstumspakt bekommen.“ Einen mit „Strukturreformen“, legte er nach. Daraufhin Kanzlerin Merkel: „Wir brauchen Wachstum durch Strukturreformen.“ Damit war der Merkel-Draghi-Pakt geschlossen. Wer ihn als Komplott bezeichnete, lag auch nicht falsch. Und siehe da, nur drei Monate später sprach Draghi in seiner berüchtigten Londoner Rede mit dem längst in die Euro-Geschichte eingegangenen Halbsatz „whatever ist takes“ aus, was er unter Strukturreformen verstand: Er werde alles unternehmen, um den Euro zu erhalten.
Was Merkel und Draghi antreibt
Folglich kannte der Jubel an den Börsen keine Grenzen. Denn alles unternehmen, dazu gehörte auch eine gigantische Geldschwemme, die sich über die Anleihen-, Aktien- und Immobilienmärkte ergoss. Mit ihr ging die Konvergenz der Zinsen im Euroraum einher, das heißt, die von 2009 bis 2011 weit auseinander klaffenden Renditen der Bundesanleihen und der Staatsanleihen Griechenlands, Portugals, Italiens und so weiter begannen sich allmählich wieder auf niedrigem Niveau anzunähern, wie dies bereits vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise der Fall war. Oder auf den Punkt gebracht: Banken und Hedgefonds spekulierten erfolgreich mit Staatsanleihen der schwachen Euroländer, als handle es sich um die sicherste Geldanlage der Welt. Gleichzeitig verabschiedeten sie sich von den vorher favorisierten Anleihen der Schwellenländer, deren Kurse mittlerweile in einen Crash übergegangen sind – ein Kollateralschaden, der den Anlegern von Hochzinsfonds bis heute riesige Verluste beschert.
Draghi behauptet bei jeder Gelegenheit, gemäß EZB-Mandat zu handeln. Dazu gehöre zwar auch der Kauf von Staatsanleihen, aber an eine Staatsfinanzierung sei nicht gedacht, sagt er. Will er nur den bisher mit Anleihen erfolgreich spekulierenden Banken helfen, indem er ihnen die Anleihen abkauft und so ganz nebenbei auch zur Rettung maroder Banken beiträgt? Oder hat er etwa vor, in die Budgethoheit der Euroländer einzugreifen? Die zweite Frage mag noch so obszön sein, doch seien wir mal ehrlich: Die Grenze zwischen Anleihenkauf und Budgeteingriff ist derart fließend, dass sich an ihr ein Machtkampf zwischen Draghi und Merkel zu entzünden droht.
Der zum Scheitern verurteilte Schattenstaat-Euro
Insofern ist der eingangs erwähnte Grexit-Vorstoß der Kanzlerin, zumal mit kräftiger Unterstützung durch ihren Finanzminister, eine Warnung an den EZB-Chef: Bis hierher und nicht weiter! Da bietet sich Griechenland als Anlass gerade an, weil dort die Wahl ansteht. Weitere Anlässe sind denkbar, im Extremfall bis zum entscheidenden Auftritt der Kanzlerin mit der Drohung, Deutschland werde, falls Draghi sich weiter als Herrscher über Europa gebärde, den Euro verlassen – das spätere Wahrmachen der Drohung inbegriffen. Damit bliebe vom ursprünglichen Merkel-Draghi-Pakt nichts mehr übrig.
Was auch immer die kommenden Wochen bringen, die Börsen werden es durch ein heftiges Hin und Her vorwegnehmen. Es geht ja nicht allein um die Auseinandersetzung zwischen der Kanzlerin und dem EZB-Chef sowie um die ständigen Querelen zwischen diesem und dem ehemaligen Merkel-Vertrauten Jens Weidmann in der jetzigen Doppelfunktion als EZB-Ratsmitglied und Bundesbank-Präsident. Es geht auch um die Grundfesten des Eurosystems, vom Ökonomen Thomas Mayer treffend so beschrieben: Den staatlichen Hintergrund für den Euro kann man als Schattenstaat bezeichnen mit „einem kaum entwirrbaren Netz von interventionistischen Vereinbarungen und Verträgen“. Den meisten Beteiligten sei offensichtlich klar, „dass der Schattenstaat langfristig nicht von Bestand sein kann“. Mayers Fazit: „Der eingeschlagene Weg einer staatlichen Konstituierung des Euro dürfte daher zum Scheitern verurteilt sein.“
Vor uns die unruhigen Zeiten
Spannende Fragen: Was wird denn aus dem Euro, wenn ihm offenkundig die Basis fehlt? Ist der angedachte Grexit nur ein kurzfristiges Gedankenspiel? Oder kommt es doch zum Grexit und geht das ganze Eurosystem anschließend wieder zur Tagesordnung über? Folgen Portugal, Italien und weitere Euroländer den Griechen? Wird es einen Nord- und einen Süd-Euro geben? Verlässt Deutschland den Euro, weil Merkel mit Draghi die Faxen dicke hat? Oder schmeißt Draghi vorzeitig hin, weil er in Merkel seine Meisterin gefunden hat? Wer wird dann Draghis Nachfolger? Wie reagieren die anderen Euroländer? Wie viel verliert der Euro gegen den Dollar an Wert? Wann wird die Schweizerische Nationalbank die Bindung an den Euro aufgeben?
Meine Prognosen für Anleger
Anleihen werden bis auf Weiteres irrsinnig überbewertet bleiben, aber etwa zur Jahresmitte an Wert verlieren, weil dann die Zeit extrem niedriger Inflationsraten und damit auch Anleiherenditen zu Ende gehen wird. Ein möglicher Grexit, falls es nur bei ihm bleibt, wird daran nicht viel ändern, das Festhalten Griechenlands in der Eurozone auch nicht.
Aktien bleiben – neben Immobilien – zunächst der Fluchtpunkt für das große Geld, aber unter erheblichen Schwankungen. Für private Anleger eignen sie sich weiterhin als Spekulationsobjekte. Daueranleger müssen sehr starke Nerven mitbringen.
Wechselkurs: Der Euro ist zwar reif für eine Erholung gegen den Dollar, aber das absehbare weitere Gerangel in der Eurozone wird ihn im Trend weiter schwächeln lassen. Das ist ja auch das Ziel der EZB, um die Exportkonjunktur anzukurbeln. Der Euro ist ohnehin bereits am Montag im fernöstlichen Handel zum Dollar auf den tiefsten Stand seit Anfang 2006 gefallen: Die Gemeinschaftswährung kostete 1,1860 Dollar. Am Freitag war sie noch mit 1,2002 Dollar gehandelt worden. Händler nennen den Grexit als Ursache. Aber stabilisiert sich die Lage wieder?
Also Fragen über Fragen. Für Antworten ist viel Phantasie vonnöten. Gehen wir nur mal von der These aus, dass der Euro in seiner jetzigen Form als Gemeinschaftswährung für ein Sammelsurium grundverschiedener starker und schwacher Länder auf Dauer nicht zu halten sein wird. Dann haben wir die Wahl zwischen ständigen Euro-Unruhen unter dem Dach des unentwirrbaren Schattenstaats und einer wie auch immer gearteten Euro-Reform. Diese könnte in der Konzentration der Gemeinschaftswährung auf wenige starke Länder unter deutscher Führung bestehen. Denkbar wäre auch der Abschied Deutschlands vom Euro und die Wiedereinführung der D-Mark, dann allerdings mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass die exportstarke deutsche Industrie in eine schwere Krise geriete. Wie gesagt, man muss schon viel Phantasie bemühen, um alle denkbaren Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Das wird in nächster Zeit eine im Hinblick auf die Geldanlage herausfordernde Aufgabe sein – wahrscheinlich schon beginnend an diesem Montag, denn die Reaktion auf Merkels und Schäubles Vorstoß in Sachen Grexit kann Banker und Börsianer nicht kalt lassen.
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