Zinsen unter null Prozent, Dividendenrenditen der Aktien dick im Plus, da scheint es keine andere Wahl zu geben, als auf Aktien zu setzen. Doch das ist tückisch und kann mit hohen Verlusten enden.
Noch im vergangenen Jahr galten Aktien unter vielen Bankern und Börsianern als alternativlos. Man brauchte nur den Fernsehkanal n-tv einzuschalten, schon schwärmten die dort vor die Kamera geholten Profis und solche, die sich dafür hielten, von der Super-Gelegenheit, mit Aktien reich zu werden oder zumindest eine hohe Dividendenrendite zu erzielen. Das Schwärmen ist inzwischen der Ernüchterung gewichen. Und die Dividendenrendite, wegen des Kursrückgangs jetzt sogar höher als 2015, bleibt ein schwacher Trost: Dividende je Aktie mal hundert und das Ergebnis geteilt durch den Kurs, diese einfache Formel macht deutlich: Man kann nicht beides zur selben Zeit haben, eine hohe Ausschüttung und obendrein steigende Kurse, sondern im Idealfall erst auf ganz lange Sicht.
Neben dieser Erkenntnis lehrt uns die nun in Gang kommende Dividendensaison, dass die von den Aktienkursen am Zahltag abgeschlagenen Ausschüttungen bei schwacher Börse nicht automatisch wieder aufgeholt werden. Wenn also Konzerne wie BASF und Daimler die Dividende erhöhen, bedeutet das längst nicht, dass ihre Aktionäre davon automatisch profitieren. Oft ist dann sogar das Gegenteil der Fall: Zum Kursverlust gesellt sich ein Abschlagsverlust. Und seit Einführung der Abgeltungsteuer Anfang 2009 nimmt der Staat den Aktionären gut ein Viertel ihrer Dividenden automatisch weg.
Kursziele sind mit Vorsicht zu genießen
Wer auch immer ohne jegliche Differenzierung das Märchen von der angeblichen Alternativlosigkeit der Aktien erfunden hat, gehört an den Pranger gestellt. Ginge es gerecht zu, müsste er dort auf Banker treffen, die sich ebenfalls der Volksverdummung schuldig machen. Eine besonders schlimme Gruppe unter ihnen ist die der Dax-Prognostiker. Als wenn das Sammelsurium an 30 verschiedenen, mit unterschiedlicher Gewichtung im Deutschen Aktienindex Dax enthaltenen Aktien für irgendeine Prognose taugen würde. Was für ein Unsinn. Und was machen die Prognostiker trotzdem? Sie spinnen nicht allein von Kurszielen, sondern auch von dorthin führenden Kurszuckungen, Charts genannt. Der Unsinn geht noch weiter: Der Dax wird gern mit anderen Indizes verglichen, obwohl er ein Performanceindex ist, also Dividenden enthält, während zum Beispiel Euro Stoxx und Standard & Poor’s zu den Kursindizes ohne Dividenden gehören.
Auch Kursziele für einzelne Aktien sind mit Vorsicht zu genießen. Denn entweder beruhen sie auf problematischen Hochrechnungen von Analysten, oder sie entspringen einfach nur deren Phantasie. Lassen wir den zweiten Fall beiseite, weil er indiskutabel ist, so stellt sich die doppelte Frage: Wie stichhaltig sind die Daten, die in die Hochrechnungen eingehen, und folgt ihnen die Masse der Anleger? Selbst bei noch so überzeugender Stichhaltigkeit können große kursbestimmende Anleger zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ganz zu schweigen von Extremfällen wie dem VW-Skandal, der fast über Nacht alle Analysen zu Makulatur werden ließ.
Spekulationsrausch mit Folgen
Von Anfang 2009 bis zum Frühjahr 2015 verdreifachte sich der Dax. Zwischendurch, im Spätsommer 2011, war er innerhalb weniger Wochen eingebrochen, um anschließend vom ermäßigten Kursniveau aus um 150 Prozent nach oben davonzuziehen. Allein vom Spätsommer 2014 bis zum Frühjahr 2015 legte er um über 40 Prozent zu. Voraussehbar war das alles nicht, sonst wäre Deutschland längst ein Volk von reichen Aktionären. Wenigstens im Nachhinein lässt sich die imposante Entwicklung erklären: Ihr rasanter Start fiel in eine Zeit, nachdem die Aktienkurse krisenbedingt in den Keller gegangen waren; so etwas heißt Basiseffekt. Nachdem dieser schon mehr als drei Jahre lang kurstreibend gewirkt hatte, verkündete EZB-Chef Mario Draghi, er werde alles unternehmen, um den Euro zu retten. Das verstanden die Börsianer offenbar als Aufforderung, ihrerseits alles zu unternehmen – aber nicht zur Euro-Rettung, sondern indem sie in einen Spekulationsrausch verfielen und ihn mit der Alternativlosigkeit von Aktien begründeten. Dabei war der Rausch vor allem dadurch zustande gekommen, dass die EZB mit ihrer extrem expansiven Geldpolitik den Börsianern immer wieder neues Spielgeld zur Verfügung gestellt hatte.
Besonders die Zeit nach 2011 und innerhalb dieser Zeit erst recht die Phase von 2014 bis 2015 ist der beste Beleg dafür, dass Aktienkurse nicht nur rational zustande kommen, sondern auch irrational: Gier treibt sie nach oben. Sobald der Gipfel der Gier erreicht ist, werden Börsianer von Zweifeln geplagt und später, wenn die Kurse ganz unten sind, von Angst ergriffen. Mit anderen Worten: Erst gibt es stärkere Kursschwankungen, dann setzt ein Abwärtstrend ein, und am Ende macht sich Panik breit. Wenn es ganz schlimm kommt, sind Fondsmanager gezwungen, größere Aktienbestände zu verkaufen, um über genug Geld zur Auszahlung von Anlegern zu verfügen, die ihre Fondsanteile zurückgeben. Das drückt zusätzlich auf die Kurse.
Die EZB will es wissen
So weit ist es an der deutschen Börse zwar noch nicht, zumal die EZB weiterhin reichlich Spielgeld zur Verfügung stellt. Aber jetzt mehren sich die Zeichen dafür, dass erstens die Konjunktur lahmt und dass zweitens Börsianer zu zweifeln beginnen, ob die expansive Geldpolitik überhaupt der Konjunktur zugute kommen kann. Das viele Geld hat die Zinsen unter null Prozent gedrückt, doch größere Investitionsanreize sind damit noch nicht ausgelöst worden. Derweil ist aus der EZB zu hören, man wolle weiterhin alles auf die Karte Geldexpansion setzten, koste es, was es wolle. Die absehbare Konsequenz: Festschreibung der negativen Zinsen, sprich kalte Enteignung der Anleger, dies nicht allein in der Eurozone, sondern innerhalb Europas auch in der Schweiz, in Dänemark und Schweden, darüber hinaus in Japan.
Das Beste, was man den Aktienkursen in diesem Umfeld attestieren kann, ist eine hohe Volatilität, also Schwankungsintensität. Das macht Daueranleger wie auch Fondsmanager total nervös und erfreut Börsenspieler, jedenfalls zunächst – bis sie das Spiel übertreiben und erfahrungsgemäß den größten Teil ihres Einsatzes verlieren. Die aktuelle Kursentwicklung lädt nicht zur Daueranlage ein, auch nicht, wenn die Dividendenrenditen relativ hoch sind, wie etwa bei Münchener Rück und Allianz. Diese Renditen sind aus den eingangs erwähnten Gründen tückisch. Der kalten Enteignung mit der Anlage in Aktien zu entgehen, ist nicht minder tückisch. Am besten, man beobachtet das Börsengeschehen, bleibt geduldig, gibt sich bis auf Weiteres mit mageren Tagesgeldzinsen zufrieden und beginnt erst mit Aktienkäufen, nachdem die Kursschwankungen in den nächsten größeren Kursrückgang übergegangen sind.
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