Lasst uns vorsichtig sein mit der Liebe

Ein "love you" am Ende des Gesprächs ist sogar bei wackligen Beziehungen Pflicht, bedeutet aber das gleiche wie "let's have lunch" - nämlich nichts.

„Johann Mario Simmel ist es aufgefallen, dass Liebe nur ein Wort ist. Allerdings eines, vor dem ich größten Respekt habe“, bemerkt Thomas Gottschalk in seinem (unterschätzten, sehr kultivierten) Bestseller „Herbstblond“. Derlei Respekt scheint unserer Gegenwart immer mehr verloren zu gehen …

Ich habe neulich eine längere Heimfahrt auf einem einsamen Autobahnparkplatz unterbrochen. Das mache ich in letzter Zeit bevorzugt dort statt bei SANIFAIR, weil ich nicht mehr willens bin, an einem verriegelten Drehkreuz stehend horrende Preise für eine Eintrittskarte berappen zu müssen. Im Waschbeckenbereich des Nasszellenhäuschens sah ich einen Mann, der seine linke Hand am Gebläse trocknete und zeitgleich mit der rechten Hand ein iPhone am Ohr hielt. In dieser Pose beendete er sein Telefonat mit den Worten „Ich liebe dich“. Dann haute er ab.

„Ich liebe dich“ als Handy-Hülse

Also: „Ich liebe dich“ – das sagt man nicht einfach so! Ein „Ich liebe dich“ braucht eine gewisse atmosphärische Würde. Klar, jeder hat seine eigene Vorstellung davon, wann eine solche gewahrt ist und wann nicht. Aber: in einem Gratis-Raststätten-WC zwischen Dinslaken und Oer-Erkenschwick mit ’ner Pissrinne im Hintergrund, in welcher sich gerade die eigene Notdurft mit derjenigen eines polnischen LKW-Fahrers vereinigt, da müssen doch generell und standesübergreifend die Begleitumstände für ein „Ich liebe dich“ als eher unzweckmäßig angesehen werden. Doch der Typ fand das wohl alles super. Hätte nur gefehlt, dass er dort noch ein Selfie gemacht und sogleich per Whatsapp auf die Reise geschickt hätte. Wer weiß, vielleicht wäre die Person am anderen Ende der Leitung angesichts einer solch liebevollen Text-Bild-Kombination total ergriffen gewesen: „Hey Schatz, wie süß von dir, ich hab‘ schon Pipi in den Augen!“

Seit langem wird das Wort „Liebe“ von der Gesellschaft überfordert, indem es schonungslos unterschiedlichste Gefühlsregungen ausdrücken muss: Gefühle für Fußballvereine, für Wahlkreise, für Katzen, für Musik, für jeden Mist. Nun lassen wir die Liebe auch noch zur Staffage verkommen, wir entwerten sie immer mehr durch zu häufigen meist unbedachten Einsatz, uns kommt das Gespür abhanden. Im Großraum eines ICE teilte ich mir mal einen Tisch mit jemandem, der die vollen vier Minuten Wartezeit des Zuges am Duisburger Hauptbahnhof nutzte, um sich durchs verschlossene Fenster von seiner am Bahnsteig verweilenden Liebsten zu verabschieden. Der Kerl drückt seine Hände und seine Nase an der Glasscheibe platt und grient sich einen zurecht: „Hihihi, ich liebe dich, hehehe.“ Immerzu.

Irgendwann dachte ich: „Nein, ich möchte an einer solchen Zeremonie nicht teilnehmen müssen.“ Doch es geht noch fieser: Im Moment des Erklingens der Schaffnertrillerpfeife legt die Lady am Bahnsteig mit ihrem Döneratem auch noch einen Kondensteppich auf die Außenseite der Scheibe, um anschließend mit dem Zeigefinger mittendrin einen Herzchen-Malversuch zu starten. Das Ding sah am Schluss eher aus wie ein erigierter Dackelpenis. Wer nun glaubt, ich sei mit der Abfahrt des Zuges erlöst gewesen, verkennt die Hartnäckigkeit einer engagierten Fingerkuppenpinselei. Ja, der Mann wurde alsbald ruhig, und das Antlitz seiner Madame war fort – doch deren unheilvolles Scheibenkunstwerk fuhr noch kostenfrei bis Hannover mit! Irgendwann kam einer dieser Kaffee-Boys durch den Gang gerollt. „Haben Sie einen Wunsch?“ Ich sag: „Ja, geh raus und mach den Pimmel da weg!“

„… wohlfeiles Versatzstück beliebiger Konversationen“

Ich möchte eine Welt mit mehr Liebe und weniger „Ich liebe dich“. Woher kommt es, dass die Liebe so oft wie nie in unserem Sprachalltag zu finden ist? Tja, woher könnte es wohl kommen? Bemühen wir abschließend nochmal Herrn Gottschalk. In seiner einstigen Wahlheimat USA sei das Wort Liebe, so schreibt er, „nichts als ein wohlfeiles Versatzstück beliebiger Konversationen. Männer können nicht mit ihren Frauen und Mütter nicht mit ihren Söhnen telefonieren, ohne sie dabei mehrfach ihrer Liebe zu versichern. Ein ‚love you‘ am Ende des Gesprächs ist sogar bei wackligen Beziehungen Pflicht, bedeutet aber nichts. McDonald’s bemüht mit dem Slogan ‚I’m loving it‘ das große Gefühl der Liebe sogar für seine Hackfleischklopse.“ Bullseye, lieber Thommy! Wir sollten vorsichtig sein mit der Liebe.

Ludgers CD „Hilfe, ich ludger_cover.cd_mwerd‘ KONSERVATIV!“ gibt es bei uns in Tichys Schaufenster. (Da finden Sie auch ein paar Hörproben.)

Mehr zu Ludger unter www.ludger-k.de

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