Kicken in Cowboyland: Die Geschichte des Fußballs in den USA

Der dritte Teil der erhellenden Serie von Historiker und Satiriker Ludger Kusenberg alias Ludger K. zur Geschichte des Fußballs in Nordamerika. WICHTG: Das I-Tüpfelchen (zum Status quo) gibt es im aktuellen Print-Magazin von „TICHYS EINBLICK“ (12/2016).

Schon durch die aktuellen „News“ in Deutschland geklickt? Das Finale der amerikanischen „Major League Soccer“ am vergangenen Wochenende war der hiesigen Berichterstattung zwar keine allzu ausschweifende Würdigung wert, aber: Es wird zumindest erwähnt und (ganz wichtig!) sportlich ernst genommen. Das war zur Zeit von Kaiser Franz im Big Apple noch ganz anders.

Die 1968 gegründete (knapp zwei Jahrzehnte währende) „North American Soccer League“ wurde in ihrer Hochphase als eine faktische „Erste Liga“ wahrgenommen, was aber lediglich der Zahlungskraft ihrer Investoren geschuldet war und der legendären amerikanischen Event‐Kultur – das traditionelle Chaos im „Soccer“ zu beenden, vermochte sie nicht. Viel Schein, wenig Sein, Fußball als Schaulaufen. Schon die Vorgeschichte der „NASL“, deren Spiele u.a. Franz Beckenbauer durch sein Stelldichein in New York weltbekannt machte, steckt voller unfreiwilliger Komik:

Als England im Jahre 1966 endlich im eigenen Land die Fußball‐Weltmeisterschaft gewann, stieg auch in Amerika das Interesse am Soccer. Einer der führenden US‐Sender NBC hatte sich kurzfristig zu einer Übertragung des Finales zwischen Deutschland und England entschlossen und damit unverhofft hohe Quoten eingefahren – es war die erste Fernsehübertragung einer Fußball‐WM nach Amerika. Das rief ein paar amerikanische Geschäftsleute auf den Plan, die um das (relativ) hohe Zuschauerpotential an der Ostküste wussten, und schon im Herbst 1966 kam es (nach ein paar Umwegen) zur Bildung zweier Ligen: Die „USA“ als offiziell von der FIFA genehmigte und die „NPSL“ als konkurrierende, inoffizielle „Piraten‐Liga“. Eine aberwitzige Konkurrenzsituation entbrannte: Die rotzfreche „NPSL“ legte vor, sicherte sich die Dienste von allerlei ausrangierten Fußballgrößen aus aller Herren Länder, denen das „So-Nicht!“-Geschrei der FIFA egal sein konnte – wenngleich die im Raum stehenden Sanktionierungen aus Zürich durchaus gepfeffert waren. DER SPIEGEL schrieb 1966 in einem ganzseitigen Artikel über die Situation des Profi‐Fußballs in den USA, dass Spieler der „NPSL“ mit einer lebenslangen Sperre seitens des Weltverbandes zu rechnen hätten. Die „USA“ konterte kapriziös: Komplette Teams aus Europa wurden angeheuert und einfach in fremde Trikots gesteckt! So spielte etwa der schottische Traditionsklub „Dundee United“ während der eigenen Sommerpause als Team der Stadt Dallas und strich dafür gerne ein paar Dollars ein. Am Ende hatten fast alle verloren: Ruf, Zuschauer und jede Menge Geld; ein paar kleine und große juristische Scharmützel sorgten für eine unwürdige Verlängerung.

Da niemand allzu große Lust verspürte auf langwierige und letztlich ergebnislose Treffen vor Gericht, einigte man sich schnell und gründete bereits 1968 in einem aberwitzigen Joint-Venture aus Freund und Feind die North American Soccer League „NASL“. So ist er halt, der Amerikaner: „If you can’t beat them, join them“! Ein Schlamassel, das so wohl nur in Amerika entstehen kann, wurde gelöst mit einem Pragmatismus, den es so wiederum auch nur in Amerika gibt. Wer jemals etwas über die Wirtschafts‐und Sozialgeschichte der USA erfahren wollte, bekommt beim Blick auf die „NASL“ alle Fragen beantwortet. (Eine zugeben sehr vereinfachte Spitze.)

Zehn Jahre später ging es dann richtig rund: Fußballstars wie Franz Beckenbauer, Pelé, Johan Cruyff, Carlos Alberto und nicht zuletzt Gerd Müller liefen auf den Rasen und machten Fußball in den USA zu einem Spektakel, Trainergrößen wie Hennes Weisweiler und Dettmar Cramer ließen die Hütchen aufstellen und sollten für europäische Ernsthaftigkeit und Disziplin sorgen. Viele Beobachter waren sich sicher, dass sich Fußball sowohl als Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in den USA etablieren, als auch auf wirtschaftlich hohem Niveau stabilisieren werde. Als legendär gelten die Treffen der Spieler mit Mick Jagger und anderen Showgrößen in New Yorker Wolkenkratzern, allein die Anekdoten von Kaiser Franz über seine Zeit in „Big Apple“ könnten ein ganzes Buch füllen.

Der Verein „Cosmos New York“ gilt als symbolisch sowohl für das, was den Fußball in den USA zu einem derart rasanten Aufstieg führte, als auch für dessen tiefen Absturz. Das Ende der „Cosmos“ in den 1980ern markiert auch das Ende der „NASL“ und damit die tiefste Krise des Fußballs in den USA. Was waren die Probleme?

1. Der fehlende sportliche Wert

Spätestens als das gemeinsame Auflaufen von Pelé und Beckenbauer das New Yorker Team Ende der 1970er zur herausragenden Größe machte, wurde das Gefälle innerhalb der Liga einfach zu mächtig – dass man dennoch zwischen 1977 und 1982 „nur“ vier Meistertitel in den Big Apple holen konnte, täuscht eine relative Ausgeglichenheit lediglich vor.

2. Die konfuse Amerikanisierung

Die „NASL“ war so frei, ein paar Regeln den amerikanischen Sehgewohnheiten anzupassen. „Unentschieden? Kennen wir nicht!“, hieß es seitens der Organisatoren, und so beschloss man

a) jedes Spiel zur Not durch ein Penalty‐Schießen zu entscheiden und

b) diese Penalties nicht etwa wie sonst im Fußball üblich als Strafstoß aus 11 Metern ausführen zu lassen, sondern wie beim Eishockey: Von der Spielfeldmitte aus geht’s für den Angreifer los, er muss den Torhüter ggf. umdribbeln, was dessen Chancen erhöht, die Prozedur verlängert – aber vom Charakter des Fußball‐Alltags überall sonst auf der Welt eine Entfremdung bringt. Wenn in Europa Aufnahmen eines solchen „Shoot‐Outs“ liefen, dachten Fans nur eines: Was für ein Zirkus! Die Amerikaner erhielten ihrerseits ein schiefes Bild des „Soccer“.

Auch die Abseitsregel wurde auf dem Altar der Amerikanisierung modifiziert: Die Yards‐Linien des in den Stadien jeweils beheimateten American‐Football‐Vereins dienten als Orientierung. Allein optisch blieb dadurch überall in den USA der Status des Fußballs in den Spielstätten sichtbar: Wir sind hier nur zu Gast.

Kein Unentschieden, neues Abseits – das waren die dicksten Pflastersteine auf dem amerikanischen Sonderweg, der nur ein Ziel kannte: mehr Spektakel, mehr Tore! Die FIFA zeigte sich der Experimentierfreude gegenüber erst entgegenkommend, später gnadenlos ablehnend. Hinzu kamen (natürlich) ein paar „Eigenwilligkeiten“ in der Inszenierung: Die Spieler liefen nicht als Mannschaft, sondern einzeln mit Fanfare begleitet in der Reihenfolge ihres „Ranges“ auf den Rasen, die Spieluhr zählte rückwärts, und Cheerleader wie Maskottchen hüpften bei so ziemlich jeder Spielunterbrechung im Dreieck, während auf der Anzeigetafel Klatsch‐Kommandos gezeigt wurden.

3. Die viel zu großen, oft ungeeigneten Spielstätten

Allein Pelé war Garant dafür, dass auch größte Arenen bei Gastspielen der „Cosmos New York“ gut besucht woran. Sogar wenn er verletzungsbedingt nur auf der Reservebank Platz nahm, wollten die Amerikaner den brasilianischen Ballkünstler sehen und sorgten für eine Rekordkulisse. Ansonsten aber belegten die Zuschauer nicht selten gerade mal ein Fünftel der Plätze – absolut gesehen waren zum Beispiel 15.000 Besucher zwar gar nicht übel und entsprachen durchaus den Zahlen in Europa, doch angesichts bis zu 60.000 leerer Sitze konnte kein Gefühl vermittelt werden, einem Massenevent von besonderer Tragweite beizuwohnen. Zudem ließ speziell in New York der Umzug von einem Provisorium ins nächste erst gar kein Zugehörigkeitsgefühl aufkommen.

4. Die Dominanz des Geldfaktors bei fehlender sportlicher Kompetenz

Der Boss des Unterhaltungsriesen TIME WARNER Steve Ross wollte mit seinem Engagement im Soccer durch einen Seiteneingang ins amerikanische Sportgeschäft, sonst nichts. Natürlich ging es ihm als Stratege hinter der Marke „Cosmos New York“ nicht um den langfristigen Aufbau einer Struktur, wichtig war erstmal, möglichst schnell möglichst viele Einnahmen zu gewährleisten, und das geht am einfachsten über das Austragen möglichst vieler Spiele. So mussten etwa in der Saison 1978 landesweit 30 Teams ran, um 24 Teams der Endrunde auszuspielen – ein sportlicher Witz! Obendrein tourte sein Team zu Werbezwecken um die ganze Welt, das konnte nicht gut gehen.

5. Der Mangel an einheimischen Talenten und damit an einheimischen Fans

Aus meiner Sicht zieht sich dieser Schwachpunkt als einziger wie ein dunkelroter Faden durch die gesamte Geschichte des Fußballs in den USA, spätestens seit der gescheiterten „ASL“ der 1920er: Fußball = Fremdheit.

Die frühen 1980er markieren die Wendezeit der noch immer recht jungen „NASL“ – hin zum Schlechten: „Der Profi‐Fußball ist in den USA in eine Krise geraten“, stellt der SPIEGEL im Jahre 1983 fest, „die zwölf Profiklubs verzeichneten im letzten Jahr 25 Millionen Dollar minus. Anstelle von 77 691 Zuschauern wie im August 1977 zog Cosmos in diesem Jahr gegen denselben Klub, Fort Lauderdale, 18 710 Zuschauer. Statt an Schulen und Universitäten aufzubauen, wollten die Geldgeber des US‐Fußballs sofort Profit und gründeten ihre Profiliga. Statt geduldig amerikanische Stars heranzuziehen, kauften sie abgetakelte Spieler aus der Alten Welt und Südamerika. Sport in den USA lebt jedoch von der Schau, die sich um Hauptdarsteller rankt, um Heldenfiguren.“

Wohl wahr, und die wenigen davon verabschiedeten sich allmählich und wurden nicht adäquat ersetzt, die Investoren, allen voran TIME WARNER, zeigten sich unzufrieden mit der Renditesituation (die hohen Einnahmen relativierten sich beim Blick auf die Ausgaben) und stellten ihr wirtschaftliches Engagement ein. Dass derweil auch in der Breite eine stattliche Anzahl an Fußballspielern und ‐fachleuten den Weg in die USA gefunden hatten, nun aber keine Perspektive mehr sahen, macht den Niedergang der „NASL“ rückblickend umso schmerzlicher. Spätestens als die Übertragungsvereinbarungen mit den großen TV‐Stationen endeten und Soccer damit fast vollständig von amerikanischen Bildschirmen verschwand, kam was kommen musste:

1984 war Schluss – mit Franz am Hudson River, mit der „NASL“, mit Soccer. Historisch mag man „Cosmos New York“ attestieren, weltweit der erste Fußballclub gewesen zu sein, der das Aufkaufen der besten Spieler aus dem Ausland als Strategie hatte. Dass europäische Top‐Clubs wie Manchester United, Real Madrid oder Bayern München heute ähnlich geartete Einkaufgebaren an den Tag legen, ist aber wohl eher einer allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung Richtung Globalisierung geschuldet und weniger das Resultat eines Nacheiferns der Sitten aus Amerika.

Natürlich sollte es auch nach dem Scheitern der „NASL“ weiter Liga‐Fußball in den USA geben, doch sogar die 1990 ambitioniert gegründete „American Professional Soccer League“ war im Bestfall semiprofessionell. Wer damals eine erfolgreiche neue Liga namens „Major League Soccer“ prophezeit hätte, in der eine Vielzahl inländischer Talente gemeinsam mit großen Europäern auf Torejagd geht, der wäre mit viel Wohlwollen als unverbesserlicher Fußball‐Romantiker belächelt worden. Es bedurfte in dieser Talsohle weit mehr als Good‐Will und optimistische Rufe für eine Rückkehr nach oben, am besten eine klug provozierte Fügung des Schicksals – und genau das sollte auch kommen …

Hier endet unsere kleine Serie. Wenn Sie wissen möchten, wie die Geschichte weitergeht: In der aktuellen Print-Ausgabe von „TICHYS EINBLICK“ (12/2016) finden Sie ein abschließendes, ausführliches Essay anlässlich des grad gespielten diesjährigen Finales der „Major League Soccer“ mit Informationen zum Satus quo der USA in Sachen Fußball und nicht zuletzt zum Entstehungsprozess der heutigen, überaus erfolgreichen Profiliga „MLS“ in den 1990ern.

Schöne Woche!

LudgerK_CD

Mehr zu Ludger unter www.ludger-k.de.

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