Die »Qualitätsmedien« werden wie die katholische Kirche in einem Autoritäts-Zwischenreich weiterleben. Das Profit-Center der Kirche ist nicht mehr der Glaube, sondern sind Immobilien, Krankenhäuser, Schulen und nun auch die Flüchtlingskrise.
Es ist Anfang November 2016. In einer Woche wissen wir, wen die Amerikaner zum 45-ten US-Präsidenten gewählt haben. Wird es der Mann mit den durchgeknallten Forderungen sein, oder die Frau, die sich gerade mit dem FBI kabbelt?
Das erste Opfer des Krieges ist bekanntlich die Wahrheit. Der US-Wahlkampf 2015/2016 war ein Krieg der Worte, der Beschuldigungen und Achtelwahrheiten. Das erste Opfer dieses Wahlkampfs aber waren jene, die uns einmal »die Wahrheit« bringen wollten – die »Medien«.
Man muss es einmal klar sagen: Wie Samurai, die für ihren Herrn in den Tod gingen, haben einige »Qualitätsmedien« sich (bzw. ihre Rest-Glaubwürdigkeit) für die Verteidigung Hillary Clintons geopfert.
Erinnern Sie sich an die Washington Post, die Watergate aufdeckte? Inzwischen hat der Amazon-Gründer Jeff Bezos (der lustigerweise 2009 via Internet das E-Book »1984« von den Kindles seiner Kunden löschen ließ) die ehrwürdige Zeitung gekauft und zu einer Art privatem Jeff-Bezos-Blog degradiert. (Noch stehen die Namen von Journalisten über den Texten.) Es wäre nicht gelogen, zu behaupten, dass Bezos kein Freund Trumps ist, bislang.
Erinnern Sie sich an CNN? Es war CNN auf internationaler Ebene (und die hervorragende Leistung von Peter Kloeppel/RTL in Deutschland!), die uns durch 9/11 führten. In diesem US-Wahlkampf beschimpft Trump den Sender als »Clinton News Network«. Sein Vorwurf ist nicht vollständig substanzlos.
Unter »konservativen Beobachtern« (ich übersetze für die mitlesenden Mainstreamer: »rechtspopulistische Verschwörungstheoretiker«) kursiert schon länger ein CNN-Clinton-Bildwitz. Man sieht den CNN-Bildschirm mit einer geschwächten Hillary Clinton, wie ihr eine Treppe hinauf geholfen wird. Dazu Wolf Blitzer und der CNN-Erklärtext: »Breaking News – Hillary Clinton helps two men up the stairs.«
Bandenbildung
Der Wahrnehmung wird nicht geholfen von der Tatsache, dass 96% aller Spenden von US-Medien/Journalisten (wieso spenden die überhaupt?) in die Richtung Clintons gehen. Oder dass CNN-Lichtgestalt Anderson Cooper zeitweise für die Clinton Foundation arbeitete. (Was nicht bedeutet, dass er wirklich Teil der Foundation war, schreibt Jeff Bezos auf seinem Blog.)
Jetzt ist durch WikiLeaks (Übersetzung für Mitlesende: »die Russen«) zumindest in einem Fall herausgekommen, was viele lange ahnten (oder zumindest behaupteten): Die freie CNN-Expertin Donna Brazile hat mindestens eine Debatten-Frage vorab an Hillary Clinton weitergegeben. (Es war eine Debatte gegen Bernie Sanders. Brazile diente übrigens zeitweilig als Interimschefin des »Democratic National Committee«. Sie musste für Debbie Wasserman einspringen. Wasserman war zurückgetreten, als durch die Russen herausgekommen war, dass sie die Kandidaten-Kür der Demokraten zugunsten von Hillary Clinton »gerigged« hatte.)
So weit, so skandalös. Schmunzeln macht an dieser Stelle aber die Reaktion von CNN-Boss Jeff Zucker.
Auf Huffington Post klagt er sein Leid. Der durch Brazile entstandene Eindruck der Parteilichkeit »hurts all of us«.
Man muss es sich erst auf der Zunge zergehen lassen. Anschließend aber muss man es zerpflücken, auslachen und abweisen.
Der CNN-Boss versucht, die Taten seines Ladens zum Problem der gesamten Medienlandschaft zu machen. Oder wen sonst meint er mit »all of us«? (Wieder ein Problem mit dem »Wir« der Mächtigen!) Guter Trick, zum Glück zu durchsichtig.
Was heute passiert, ist keine »Vertrauenskrise« der Medien. Wir beobachten, live gestreamt, den Medien-Vertrauenstod.
Die »angesehenen« Medien werden als Firmen nicht so bald verschwinden. Dafür sind sie zu gut verbandelt. Dafür gibt es zu viele Leute wie Jeff Bezos, die an ihrem Fortbestand interessiert sind.
Die selbsternannten »Qualitätsmedien« werden wie die katholische Kirche in einem Autoritäts-Zwischenreich weiterleben. Das Profit-Center der Kirche ist schon lange nicht mehr der Glaube. Es sind eher Immobilien, Krankenhäuser, Schulen und neuerdings auch die Flüchtlingskrise. Wir Zuschauer beobachten, so staunend wie fast ungläubig, wie (derzeit vor allem in den USA) ehemals angesehene Leitmedien ihre Glaubwürdigkeit dahingeben.
Wenn wir schon vom Glauben reden: Ich glaube, dass die USA stark genug sind, sowohl Trump als auch Clinton als Präsident zu »verkraften«. Dass keiner von beiden der vereinigende Erneuerer ist, der ein Präsident sein sollte, ist keine spektakulär neue Erkenntnis.
Sicherer Verlierer: US-Leitmedien
Das nachhaltige Opfer dieses US-Wahlkampfs ist die Glaubwürdigkeit der US-Leitmedien. Ich befürchte, dass selbst Hillary-Clinton-Anhänger vom Medien-Sepuku angeekelt sein werden. Nach dem Rausch kommt der Kater, und dann ist man von sich wie vom Kneipier gleichermaßen angewidert.
Derzeit wird in Deutschland die 500 Jahre zurückliegende Reformation des Martin Luther »gefeiert«. Luther war ja nicht der Erste, der gegen den Papst aufbegehrte. Er war es aber, der die Gutenberg-Presse erfolgreich zu diesem Zweck einsetzte, unter anderem durch die Verbreitung der »Biblia Deudsch«. Seine Bibel war nicht die erste mit deutschen Wörtern. Das war die »Mentelin-Bibel«. Luthers Bibel war die erste in Alltagssprache. Ketzertum! Oder, wie man heute sagen würde: Populismus! (Stellen Sie sich hier meinerseits ein Augenzwinkern vor.)
Ohne das recht neue Medium »Buchdruck« hätte es Luthers Reformation so nicht gegeben. Neue Medien machen neue Gedanken möglich. Neue Medien geben dem »einfachen Volk« eine Stimme. Genauer: Sie geben den Sprechern des einfachen Volkes eine Stimme – so lange bis die Mächtigen einen Weg finden, wieder Kontrolle über die jeweils neuen Medien zu erlangen.
Wir werden die Jahre 2015 bis 2017 als mediengeschichtlichen Umbruch sehen. Viele alte Medienfirmen werden weiter existieren. Einige werden mutieren, andere pleite gehen oder in anderen Firmen aufgehen.
Die Meinungsführerschaft aber entgleitet den »alten Medienmächten« schon länger – 2015-2017 scheint der »Tipping Point« erreicht zu werden.
Dieser »Tipping Point« wird nicht »von selbst« passieren. Die Asche der sich selbst verbrennenden Medien liegt vor uns. Der Phönix, der aus dieser Asche entsteht, wird ein neuer, anderer Phönix sein. Und er wird sein Leben als tapsendes Küken beginnen.
Wir sehen also, im US-Wahlkampf 2015-2016, und im beginnenden deutschen Wahlkampf 2016-2017, ein Feld qualmender Asche alter Glaubwürdigkeit. Und wir sehen neue mediale »Küken«. Es ist an uns, den Lesern und auch den Schreibern, der alten Asche nicht mehr hinterher zu trauern. Lassen Sie uns die neuen Küken pflegen, hegen und aufziehen. Was Medien angeht, sind die Küken unsere einzige Hoffnung.
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