30,6% wählten Weiter-so. 19% wählten Ich-glaube-alles-was-im-Fernsehen-läuft. 13,2% bzw. 3% wählten Es-war-damals-nicht-alles-schlecht. 4,5% wählten mehr Blümchen und weitere 3% befanden, Meck-Pomms drängendstes Problem sei der Mangel an hippen Start-ups. 20,1% aber skandierten via Kreuzchen ihr Merkel-muss-weg.
Verdunkeln Sie die Fenster, bringen Sie Ihr Smartphone außer Hörweite und bedecken Sie Ihren Kopf mit einem Nudelsieb aus Metall. Niemand soll Ihre Gedanken lesen können. Ich will Ihnen eine gefährliche Idee vorstellen. Sind Sie bereit? Gut, hier ist die Idee: In einer Demokratie ist es völlig legitim, die Abwahl des Kanzlers zu fordern. Ja, sogar die Abwahl der Kanzlerin. Noch weiter gar: Einen Politiker via Wahlzettel von der Macht zu entfernen, das ist die Demokratie selbst.
Haben Sie sich vom Schrecken erholt ob meiner Unverfrorenheit? Gut, dann lassen Sie uns über die gestrige Wahl in Mecklenburg-Vorpommern reden.
Wir kennen das Ergebnis. 30,6% wählten Weiter-so. 19% wählten Ich-glaube-alles-was-im-Fernsehen-läuft. 13,2% bzw. 3% wählten Es-war-damals-nicht-alles-schlecht. 4,5% wählten mehr Blümchen und weitere 3% befanden, Meck-Pomms drängendstes Problem sei der Mangel an hippen Start-ups. 20,1% aber skandierten via Kreuzchen ihr Merkel-muss-weg.
Dieses unverschämte »Merkel-muss-weg« trieb am Wahlabend den Wahlkämpfern und Journalisten (aber ich wiederhole mich) die Röte des moralischen Zorns in die erschöpften Gesichter. Besonders ein gewisser Bundesvorsitzender der Grünen sah seinen Traum einer kommenden Merkel-Özdemir-Regierung in den Wassern der mecklenburgischen Seenplatte absaufen. Özdemir hatte in den letzten Wochen das Land Mecklenburg-Vorpommern bereist, um dessen Einwohner für Merkels Politik der Entgrenzung zu gewinnen. Die innere Logik von »Merkel hat Recht, also wählen Sie die Grünen« erschloss sich zu wenigen Wählern. In Schwerin werden jetzt ein paar ökologisch gesinnte Polit-Fachkräfte dem Arbeitsmarkt neu zur Verfügung stehen.
Die Grünen und mancher Linksaußen der SPD hatten sich einen Anti-AfD-Talking-Point zurechtgelegt, den sie für ungeheuer gewitzt hielten. Immer wieder platzierten sie die Formulierung »die demokratischen Parteien«, welche die AfD als undemokratisch ausgrenzen sollte. Wer Özdemir, Schwesig oder Gajek (Grüne MV) ein Mikrofon hinhielt, bekam wie von Talking-Points-Robotern aufgesagt, »die demokratischen Parteien« hätten Verluste erlitten, und nun müssten »wir Demokraten« neu Maßnahmen ergreifen.
Spätestens aber wenn Özdemir von »wir« spricht, müssen »wir« aufhorchen. »Wir« ist ein missbrauchtes Wort. »Wir« kann Verschiedenes bedeuten.
Özdemir, Schwesig und Co. möchten eine Grenze ziehen zwischen AfD und den übrigen Parteien. Als strammer Populist weiß Özdemir, dass sich eine Einteilung der Welt in »Wir« gegen »Die« gut verkaufen lässt. Von wem er die Idee wohl hat?
Ich stimme sogar Özdemir in einem Punkt zu! Ja, es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen AfD und den übrigen (»etablierten«) Parteien. Doch es ist nicht die demokratische Tauglichkeit, welche die Grenze zieht. Es liegt anderswo.
Die AfD ist die einzige Partei, die zur Abwahl von Merkel aufruft – und es ernst meint.
Der Merkelschen Medienmaschine ist es gelungen, allein die Denkmöglichkeit, Merkel abzuwählen, als »rechts« zu brandmarken. Die AfD kann mit diesem Vorwurf leben. Manche Leute sagen, dass sie ohnehin »rechts« sei.
Sicher, auch die CSU kritisiert Merkel. Sogar Gabriel trötet merkelkritische Töne, vor allem wenn die Chefin sich gerade in China von Erdogan demütigen lässt. Doch sie sind beide von ihr abhängig. Ihre Kritik ist theoretisch, uneigentlich. Weder SPD noch CSU meinen ihre Merkel-Kritik ernst, sie necken nur. Nur, weil man die Trommel schlägt, wird noch nicht marschiert.
Mancher jammert über das Erstarken der AfD. Mancher wünscht sich, es gäbe sie nicht. Ich selbst gehe ins andere Extrem: Insofern als die AfD die einzige Partei ist, welche die (demokratische) Absetzung Merkels fordert, braucht Deutschland viele weitere Alternativen.
Merkels Abwahl zu fordern ist zutiefst demokratisch. Jede Entlassung und Neu-Einstellung via Wahl ist demokratisch. Mehr Entlassung wagen! Es ist verdächtig, wenn Özdemir die konsequente Merkel-Kritik implizit als undemokratisch bezeichnet. Frei nach F. W. Bernstein: Die schärfsten Kritiker der Elche, sind oft selber welche.
Der Grünen-Politiker und selbsternannte »Kommunikationsberater« Daniel Mack, ein »Wessi«, brachte die Haltung vieler »Demokraten« gutmenschlicher Prägung auf den Punkt: »Mecklenburg-Vorpommern, das am dümmsten besiedelte Bundesland.«
Vielleicht kann der Westdeutsche an sich den ostdeutschen Wähler nur bedingt verstehen. Die Vergangenheiten sind sehr unterschiedlich. Ost- und Westdeutschland stehen heute am selben Punkt der Geschichte, doch sie sind auf verschiedenen Wegen hier angelangt.
Die westdeutschen Bürger der Bundesrepublik sind groß geworden mit Kanzlern, die – zumindest aus heutiger, vielleicht verklärter Erinnerung – immer nur das Beste des Volkes wollten. Sie gaben sogar einen Eid, dem Wohl des deutschen Volkes zu dienen. DDR-Bürger sind dagegen aufgewachsen mit Politikern, deren Koordinatensystem ausschließlich zwischen Ideologie und Machtsucht aufgehangen zu sein schien. Einige Ostler erkennen nun in Merkel den Widerhall der eigenen Vergangenheit – und die Westler wissen nicht, wovon der Osten redet. Manche Ostdeutsche sehen in Merkel einige Ideologie und unendlich viel an Machtwillen, aber immer weniger die unbedingte Bereitschaft, das Wohl des eigenen Volkes an erste Stelle zu setzen.
Merkel-Getreue haben allmählich Ähnlichkeiten mit manchen US-Republikanern, die noch immer tapfer zu Trump halten: Sie hoffen, dass es einen »zweiten Trump« gibt. Einer, dessen Äußerungen auch einen Sinn ergeben. Einer, der ihnen alles erklärt, was er so trieb. Tag für Tag hoffen Sie, dass Trump auf die Bühne tritt, lacht, und verkündet: »Ihr dachtet, ich sei verrückt? Haha, nicht wirklich, oder? Jetzt lasst uns ernst werden.« – Ebenso hoffen Merkel-Wähler, dass die Kanzlerin die Maske der Ad-Hoc-Ideologie abzieht, sich ernst macht und uns erklärt, wie sie kurz vor der Klippe das Steuer umzureißen plant, ja schon immer plante.
Merkel zu wählen, bedeutet, auf ein Wunder zu hoffen. Das Wunder der Einsicht. Oder der Erklärung. Der CDU-Anhänger singt mit Cohen: »Nothing left to do when you’ve got to go on waiting, waiting for the miracle to come.«. Der Protest-Wähler dagegen nimmt sich dasselbe Lied vor, und singt, einige Verse weiter: »Let’s do something crazy, something absolutely wrong, while we’re waiting for the miracle, for the miracle to come.«
Die AfD ist die einzige Partei, die sich eingesteht, dass es keine bislang geheim gehaltene Wundermerkel gibt. Die Slogans der AfD sind »Mut zur Wahrheit« und »Mut zu Deutschland«. (»Einzige Wahrheit« und »Nation zuerst« sind stets die ersten Claims jedes Qualitäts-Populisten.) Ein genauerer Slogan wäre: »Wir haben den Mut, die Hoffnung aufzugeben.«
Wir brauchen mehr Parteien, die diese falsche Hoffnung aufgeben. Deutschland hat zu lange gehofft, dass ein Wunder geschieht und Merkel plötzlich für uns, statt für diffuse höhere Werte arbeitet. Wann wird aus harrender Hoffnung bloße Lethargie? Wann Wahn?
In Mecklenburg-Vorpommern »wanderten« 23.000 Wähler von der CDU zur AfD. 23.000 mal sagte jemand: Ich habe die Hoffnung auf das Merkelwunder aufgegeben. Und 9.000 wanderten ins Grab. Aber nicht nur CDU-Wähler sterben. In jeder deutschen Minute, die zwischen Flensburg und Konstanz vergeht, verliert ein Wähler den Glauben ans kommende Merkelwunder. Diese Menschen suchen eine politische Heimat.
Deutschland braucht Alternativen zur Alternative. Die AfD darf nicht die einzige Partei bleiben, die offen eingesteht, dass das Merkelwunder ausbleiben wird. Es ist Platz für mindestens eine liberale Alternative zur Alternative, eine ökologische und auf jeden Fall eine soziale.
Solange Deutschland noch auf das Merkel-Wunder hofft, hat Merkel dieses Land im Griff. Unsere Hoffnung ist unsere Kette.
»Losing all hope is freedom.« Falsche Hoffnung aufzugeben ist auch Freiheit. Wir alle wissen, dass wir nach Merkel das Land neu aufstellen müssen. Ein neuer Anfang beginnt damit, sich falscher Illusionen zu entledigen. Das Merkelwunder, das manche am Horizont zu sehen meinen, ist eine Fata Morgana. Das Trugbild flirrt bunt in der heißen Luft leitmedialer Parolen. Es ist Zeit, den Rücken gerade zu machen, der Realität ins Auge zu sehen und neu einzuatmen.
Manche Bürger haben Zweifel, dass es Deutschland (bald) gelingt, einen neuen Kanzler zu bestimmen und neu zu beginnen. Ich aber glaube an uns. Ich will an uns glauben! Diese Demokratie hat noch viel Saft! Sicher, es erfordert Mut, doch unsere Demokratie ist es wert. Wir sind es wert.
Merkel abwählen und neu anfangen? Wir schaffen das!
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