Denken wir einmal weiter: Was wird passieren, wenn Männer von Frauen lernen, aber Frauen das Dazulernen von Männern als »mansplaining« ablehnen? Richtig: Der Vorsprung der Männer wird größer.
Es war eine der vielen Kölner Was-mit-Medien-Konferenzen. Eigentlich sollte eine weitere Podiumsdiskussion beginnen, in der wieder einmal erörtert werden würde, wieso Frauen sich noch immer so schwer tun mit dem Einstieg in die Medien-Festeinstellung, genauer: wieso es ihnen so schwer gemacht wird. Die Bühne war mit Frauen besetzt, die Veranstaltung war von Frauen organisiert, im Publikum saßen vorwiegend Frauen. Die Debatte sollte beginnen, doch eine Mikrofon-Störung ließ den Ablauf stocken. Die Moderatorin schaute im vollen Saal umher, rief etwas, alles wartete, nichts passierte. Da stand hinter den Mischpulten ein Mann auf, ging nach vorn unter die Frauen, nahm sich der Technik an, stellte das erste Mikrofon auf einen anderen Kanal, tauschte ein zweites um, und ab da lief es. Meine Gattin flüsterte mir zu: »Wie viele hier wohl die Ironie bemerken?« (Tipp: Moderne Berichterstatter müssen auch die Technik beherrschen, spätestens seit Videojournalisten und Blogger mitmischen.)
Alte-weiße-Männerschultern
Ich bin ein »alter weißer Mann«. Ich schreibe auf einem Gerät, das von alten weißen Männern erfunden und vermarktet wurde. Mein Wissen und Denken über die Welt speist sich zum guten Teil aus Büchern, die von alten weißen Männern geschrieben wurden. Ich stehe als Käfer auf den Schultern alter weißer, meist männlicher Giganten, und ich bin unendlich dankbar dafür.
Ich schreibe diesen Text aber nicht (nur) als »alter weißer Mann«. Ich notiere diese Gedanken auch als Vater zweier Kinder, eines Sohnes und einer Tochter. Und ich schreibe es in einer medialen Debatten-Lage, in der Skandalisierung und Hashtag-Hüpfen längst Fakten, Analyse und Problem-Definition ersetzt haben. Hashtag-Feministinnen können dies oder jenes über die Welt behaupten. Die wenigsten von ihnen tragen Verantwortung für irgendwas außer ihrer Facebook-Seite, nicht für die Folgen ihres Tuns, selten für eine Arbeitsstelle (ein Gnaden-Job bei einer linken Stiftung zählt hier nicht als »Arbeit«) oder gar für eine Firma und deren Mitarbeiter – und nur selten auch für eine Familie. Meine Sicht der Welt dagegen formt die Zukunft meiner Kinder mit. Das ist eine andere Verantwortung.
Wir »alten weißen Männer« sind wieder unter Beschuss. Die Partei Konrad Adenauers und Ludwig Erhards etwa möchte das angebliche Image einer Partei »weißer alter Männer« abstreifen, sagen zwei dafür zuständige »junge« Herren um die 40. »Junge« »Internet-Publikationen« möchten das Erbe der alten weißen Männer schleifen, etwa Dana Agmon in der Huffington Post. Und Lena Dunham, extrovertierte Königin des neuen Empörungs-Feminismus und Hillary-Clinton-Unterstützerin, ist vollständig konsequent. Sie äußert Sympathien für’s Ausrotten weißer Männer insgesamt. (Anschließend geht sie zur Bank, um ihren Empörungsscheck, wahrscheinlich ausgestellt von alten weißen Männern, einzulösen.)
Eigentlich könnte man als eingependelter Kulturzuschauer diesen neuen Hass auf weiße Männer ja leicht ein- und wegordnen, wahlweise als Rassismus oder als kulturellen Selbsthass. Wäre es denn legitim, etwa eine Präsidentschafts- oder Kanzlerkandidatin abzuwerten, weil sie eine »alte weiße Frau« ist? Nein! Wäre es legitim, ein Staatsoberhaupt als »alten schwarzen Mann« abzuwerten? Um Himmels willen, Nein! Das Schimpfen über den »alten weißen Mann« scheint also zunächst das letzte akzeptable Hass-Outlet einer selbsternannten Moral-Elite zu sein. In manischem Furor suchten diese Meinungsprofis, sich und anderen auch den letzten »Hass« auszutreiben. Sie erinnern an jene »konservativen« Schwulenhasser, die irgendwann dann doch am Flughafen mit männlichen Prostituierten erwischt werden.
Die letzten wirklich intensiven Triebabfuhren der immerguten Klasse sind ja heute illegal, ob stimulierende Kristalle aus der Chemielehrer-Serie oder schmutzige Bildchen aus dem Ausland – beides zum Glück ausschließlich von einer Mini-Minderheit konsumiert. Nur der Hass auf alte weiße Männer, der ist legal und akzeptiert und vielapplaudiert.
Man könnte es also ignorieren, doch es ist komplexer, und es ist gefährlicher. Die Menschen, die von diesem Hass zerfressen sind, sie sind durch und in und über unsere Institutionen marschiert. »Die Neurose ist politisch« war ihr Kampfschrei, und – Götter, steht uns bei! – sie meinen es ernst. Man fühlt sich erinnert an Hesiods Klage übers fünfte Menschengeschlecht: »Dem grauen Haare der Eltern selbst wird die Ehrfurcht versagt, Schmachreden werden gegen sie ausgestoßen, Mißhandlungen müssen sie erdulden. […] Recht und Mäßigung gilt nichts mehr, der Böse darf den Edleren verletzen, trügerische, krumme Worte sprechen, Falsches beschwören. Deswegen sind diese Menschen auch so unglücklich.« (nach Schwab) Ich würde ihnen ja den Hass auf uns alte weiße Männer gönnen, wenn sie darüber nur nicht so unglücklich wären.
Alte weiße Väter
Müssen wir es wirklich sagen? Die Denkgeschichte – zumindest des Westens – wurde in den letzten Jahrtausenden von Männern geprägt. Einfachfeministinnen mögen Ihnen einen bestimmten Grund dafür angeben. Sie werden sagen, es sei wegen des »Patriarchats«. Wenn man Frauen nur genug förderte, würden sie jeden Tag einen Ulysses schreiben, die Meistersinger komponieren und Weltreligionen erfinden, ja sogar in »Männerberufe« wie Müllmann oder Kanalarbeiter vordringen. Wer nur die Schippe als Werkzeug hat, für den ist eben alles Dreck.
Die Inhalte, die uns die »alten weiße Männer« brachten, sie sind ja nicht alle schlecht oder gar unbeliebt. Sind iPhones abzulehnen, weil Steve Jobs und Tim Cook sie uns verkauftem? (Oder trifft es Jobs nicht, weil sein biologischer Vater ein Syrer war?) Ist die Kritik am Kapitalismus dumm, weil Karl Marx sie formulierte? Ist Penizillin abzulehnen, weil Alexander Flemming es fand? Soll ich Bob Dylan nicht hören, Paul Auster nicht lesen oder mich nicht an Gerhard Richter erfreuen, weil das alles alte weiße Männer sind? Es wäre eine traurige, dümmere Welt.
Mir scheint, in diesem Hass aufs eigene Fundament gärt eine tiefer sitzende Verunsicherung. Wenn Kinder in die Pubertät kommen, suchen sie die Schuld ihrer inneren Zerrissenheit (auch) in ihren Eltern. »Die verstehen mich nicht, wollen mich nur kontrollieren!« Rebellion gegen das Alte ist Teil des Erwachsenwerdens. Bislang konnten Kinder in ihrem Aufbegehren recht gefahrlos völlig falsch liegen. Hatte man sich wieder abgeregt, fingen die gescholtenen Eltern und die so verlachte Gesellschaft einen ja doch wieder auf.
Der neue Hass auf »alte weiße Männer« ist problematischer. Neue Feministinnen und »Social Justice Warriors« begeben sich mit ihrer Anti-Intellektualität in unappetitliche Nähe zu den Statuen-Sprengern, die man aus Geschichte und Nachrichten kennt. Was den eigenen Standpunkt hinterfragen könnte, wird dämonisiert.
Die neuen Kulturfeinde zogen in Redaktionen und Universitäten ein. Sie sitzen in Talkshows und in Parlamenten, sie gewinnen den politischen Hebel, die »alten weißen Männer« zu vernichten. Ihr Werkzeug sind Empörung über Kleinigkeiten, politisch korrekter Sexismus und immer wieder moralische Übergriffigkeit. Sie machen nicht einmal vor Nobelpreisträgern halt.
Vaterlose
Die Frage bleibt jedoch: Was ist der wirkliche Grund für die jahrtausendelange kulturelle Dominanz der Männer? Bleiben wir aus Vorsicht vage, probieren wir tastend Erklärungen aus!
Eine Möglichkeit: Vielleicht ist der Grund für die kulturelle Dauerpräsenz des bärtigen Geschlechts derselbe wie jener, aus dem es eben doch die Männer sind, welche Kriege anfangen und Schlachten als Selbstzweck inszenieren. Vielleicht setzen Männer häufiger das Abstrakte vor das konkret Menschliche. Das führt dann zum Irakkrieg wie auch zum Idealismus, zur Atombombe wie zu Anna Karenina, zu Guernica wie zu Guernica.
Das Abstrakte verschleißt das Individuum, inklusive seines Urhebers. Es war vielleicht nicht Patriarchat, wieso in der Normandie nicht Mütter und Töchter, sondern Väter und Söhne anlandeten. Vielleicht.
Und hier kommen wir zur nachhaltigen Schädlichkeit dieses neufeministischen Hasses: Dass man in Männern das »konkret Menschliche« fördern kann und sollte, ist keine empörungstaugliche These. Ich stimme ihr gern zu. Würde man aber umgekehrt fordern, dass Frauen im abstrakt-formalen Denken gefördert werden sollten, würde man feststellen, dass auch in Deutschland rasche Abschiebung möglich ist.
Es ist eine Asymmetrie des Lernens: Männer lernen traditionell »weibliche« Soft-Skills dazu, während neufeministische Empörung die Forderung nach Dazulernen vom anderen Geschlecht sogar als eine Form der Gewalt ansieht. Und ja, es gibt einen Fachbegriff für das nun »böse« Lernen vom männlichen Geschlecht, nämlich »Mansplaining«.
Denken wir einmal weiter: Was wird passieren, wenn Männer von Frauen lernen, aber Frauen das Dazulernen von Männern als »mansplaining« ablehnen? Der Vorsprung der Männer wird größer. Ich möchte drei Beispiele anführen für Männer, die ihre Macht stärkten, indem sie »von Frauen gelernt« haben: Justin Trudeau, Barack Obama, und, ja!, Donald Trump. Linguisten bescheinigen Trump eine »feminine« Sprache, die viel mehr Eigenperspektive und emotionale Bewertung transportiert als die Sprache »üblicher« Männer.
Ich sehe meine Kinder, und es ist banal, dass sie unterschiedlich sind. Ich wünsche mir für sie, dass sie vom jeweils anderen Geschlecht lernen. Ich wünsche mir, dass mein Sohn und meine Tochter beide so erfolgreiche, kluge und weise Menschen werden, wie es in ihren Möglichkeiten steht. Ich weiß, dass sie nicht glücklich und weise werden, wenn sie sich aus empörter Faulheit von tausenden Jahren Bildungsgeschichte abschneiden.
Eine Hoffnung
In diesem Kampf gegen die Bildung, getarnt als Kampf gegen Unterdrückung durch alte weiße Männer, gibt es zumindest einen Hoffnungsschimmer. Vielleicht ist es doch nur eine dumme Phase, die wieder vorüberzieht. Ein Hinweis: Die scheinbar einzigen Bücher, die ein Großteil der alte-weiße-Männer-Hasser gelesen hat, sind die Harry-Potter-Bände. Früher wurden Marx oder Adorno zitiert, heute eben J.K. Rowling. Theoriebasierte Kritik an Kapitalismus und dem System, ersetzt durch den Glauben an Magie und weiße Eulen.
Doch schauen wir genauer hin! Zuerst: Emma Watson, eine Neufeministin, die es bis zu UN-Ehren geschafft hat, gewinnt ihre Feminismus-Theorie scheinbar größtenteils aus ihrer Rolle als Hermine Granger, einem »muggelstämmigen« Mädchen.
Hermines Kraft wächst an den Widerständen, gegen die sie sich durch-setzen muss – nicht durch die Förderung vom Familienministerium. Hindernisse überwinden und stark werden – statt sich empört zurückzulehnen, so könnte es funktionieren!
Vor allem aber: Wer ist im Harry-Potter-Universum der Träger gottgleicher Weisheit? Richtig! Es ist Dumbledore. Und Dumbledore ist ein sehr alter, sehr weißer Mann.
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