Eliten – blind und ohne Telefonnummer

Die bisherigen Reaktionen der herrschenden Meinung in Europa sprechen für die Wahrscheinlichkeit, dass die Träger des Zeitgeistes auch jetzt nicht analysieren und nachdenken, sondern ihren Stiefel einfach weiter machen wollen.

Merkel wollte Trump nach seinem Wahlsieg anrufen, berichtet Thomas Prior, Korrespondent für Die Presse in Berlin: „Bloß: Niemand hatte seine Telefonnummer.“ Was wie eine Anekdote klingt, birgt eine tiefe und äußerst bedenkliche Wahrheit. Unsere Herrschenden und Mächtigen leben unter der Käseglocke ihrer Wunschwelt. Auf alles, was ihren Wünschen für morgen nicht entspricht, bereiten sie sich nicht vor. Doch so kann kein Politiker seiner Verantwortung gerecht werden.

Angela Merkel und andere Politiker in Europa sagen bis heute, die plötzlich anschwellende Migrantenwelle im Sommer 2015 hätten sie nicht vorhersehen können. Indirekt bestätigten das die Meinungsführer-Medien, indem sie über nichts dergleichen Bevorstehendes berichtet hatten.

Selbstverständlich gibt es in Ministerien, Forschungsinstituten, in den Hochschulen und bei NGOs Sachkundige, deren Wissen Politikern und Journalisten zur Verfügung steht, wenn die sich dafür interessieren. Auch Medien, Wissenschaftler und Organisationen im Ausland stellen viele Erkenntnisse zur Verfügung. Was zwischen dem Wissen der Welt und den Meinungsmachern in Politik und Medien stand und steht, sind zwei Dinge.

Erstens gibt es in ihrem Paralleluniversum einfach nicht den geringsten Unterschied zwischen ihrer Meinung und der Wirklichkeit. Zweitens fehlt daher in diesem Paralleluniversum für eine Überprüfung der eigenen Sicht der Dinge oder gar für Alternativen zum eigenen Handeln absolut jegliches Interesse.

Sieben Überzeugungen dieser Art zählt Claus Christian Malzahn in der WamS auf unter „BLINDE Eliten“ – nachlesenswert:

  • Das Ende der Geschichte
  • Briten bleiben in der EU
  • Der arabische Frühling führt zur Demokratie
  • Wir Deutsche zeigen ein freundliches Gesicht
  • Die Mauer ist eine Realität
  • Deutschland ist kein Einwanderungsland
  • Die werden schon wieder verschwinden

„Wird Trump der beste Freund Deutschlands?“, fragte die Radiowerbung für die aktuelle Ausgabe der WeLT AM SONNTAG tagelang. Die Zeitung geht  in mehreren Beiträgen der Frage nach, „was dafür spricht, dass es doch nicht so schlimm kommt wie befürchtet“, und zählt die Indizien auf von Trumps erstem Statement über den Besuch bei Obama und die abwiegelnden Worte zu Obamacare. Warum Trump Deutschlands bester Freund werden könnte, habe ich im Blatt nicht gefunden. Redaktion und Werbeabteilung reden wohl nicht so viel miteinander.

„Seit 240 Jahren haben die USA alle Krisen gemeistert, ohne autoritären Versuchungen zu erliegen.“, ist die Quintessenz von Jacques Schuster in der WamS, „checks and balances“, „mixed and limited government“ sorgten für das, was Karl Popper als Demokratie beschrieb: „die Errichtung von Institutionen, die so arbeiten, dass auch schlechte Herrscher keinen allzu großen Schaden anrichten können.“ In Deutschland (und in Österreich), das steht (noch) nicht in der WamS, haben die politischen Parteien „checks and balances“ weitgehend ausgehebelt.

Bildschirmfoto 2016-11-13 um 11.38.12„Nachrichten vom Ende der Welt sind verfrüht“, titelt Die Presse am Sonntag. Ihr Leitartikler Christian Ultsch sagt alles Nötige zum SPIEGEL-Titel „Das Ende der Welt (wie wir sie kennen)“ kurz und bündig: „Das ist einfach nur noch hysterisch.“ Ultsch stellt klar, dass Trump „nie das transatlantische Bündnis per se infrage“ stellte. Dass Obama von der Weltpolizistenrolle abrückte und den Reset-Knopf mit Russland drückte. Er stellt andererseits auch den Unterschied heraus: Trump ist kein Multilateralist. Ultsch resümiert: „In mancherlei Hinsicht stellt sich Trump in die realpolitische Tradition seines Vorgängers Obama.“

Was Christoph Schiltz für die WamS aus Brüssel schreibt, knüpft oben an: „Ratlos in Brüssel“. Nun dämmert es wohl, dass der US-Verteidigungsschirm nicht so kostengünstig bleibt, wie er war.

fullsizeoutput_34

Dirk Schümer erinnert an etwas, was die Europäer schon deshalb wissen müssten, weil sie sich doch selbst nie „europäisch“ verhalten, sondern immer national(istisch): „Rücksichtsloser Nationalismus, den Donald Trump für Amerika angekündigt hat, wird auf dem Kontinent längst praktiziert. Wieso soll Europa unter diesen Umständen weiter zusammenrücken?“.

In „Götterdämmerung in der Demokratischen Partei“ schildert Oliver Grimm für Die Presse am Sonntag das Ende der Clinton-Ära, welche die Demokraten republikanischer machte. Grimm bezweifelt, dass Bernie Sanders und Elizabeth Warren die Demokraten „zum Linkspopulismus bekehren“ können und sich Sanders mit seiner Forderung durchsetzt: „Die Partei muss sich auf das Amerika der einfachen Leute konzentrieren.“

Warum Trump als Advokat der Vernachlässigten trumpfen konnte, zeigt der Bericht von Jakob Zirm für Die Presse: „Der amerikanische Albtraum“. 98 Prozent aller neuen US-Jobs seit 1990 entstanden „beim Staat oder dem oft schlecht bezahlten Sektor persönlicher Dienstleistungen“ und: „36,9 Prozent mehr als ein Highschool-Absolvent verdiente ein College-Absolvent im Schnitt Anfang der 1970er-Jahre. Bis zum Anfang dieses Jahrzehnts stieg dieser Wert auf 50,9 Prozent an.“ Nach Amerika schauen, ist immer noch wie durch ein Fenster in Europas Zukunft.

Auch in Die Presse am Sonntag erfahren wir von „Donald Trump, der große Zinsenwender“ und vom Börsentrend und Paradigmenwechsel an den Märkten:

  • „Weg von den Techs, hin zu den Trump-Profiteuren“ (Infrastruktur- und Rüstungsprogramm)
  • Old Economy hui, New Economy pfui
  • Die Kurse der Staatsanleihen fallen wg. bevorstehender großer Staatsverschuldung (wie bei Reagan): Sinkt der Kurs, steigt die Rendite

Warum neun von zehn Menschen Rechtshänder sind, erfahren wir hier auch und dass Linkshänder einen niedrigeren IQ haben. An einer Stelle ist hier Entwarnung: Bush, Clinton und Obama sind Linkshänder, Trump ist Rechtshänder.

Das Fass, warum sich praktisch alle „Experten“ und Journalisten bei ihren Prognosen irrten, mache ich nicht neu auf. Erwähnt sei nur, was Rainer Nowak sehr zurückhaltend über seine Gastrolle in der Redaktionskonferenz der New York Times notierte: „Bei uns wird mehr über Inhalte, Meinungen und Positionen gestritten als bei den verehrten Kollegen.“ Das ist schon nicht mehr Wiener Charme, sondern ausgewachsener Wiener Schmäh (Vorsicht, sehr vieldeutiges Wort).

Unterstützung
oder

Kommentare ( 22 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

22 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen