DER SPIEGEL Nr. 9 – „Das Auto-Auto“

Ein Fan-Bericht über Mercedes und einer über Merkel: DER SPIEGEL überzeugt nicht wirklich und bejubelt sich selber. Schaffen die das?

Der Mercedesstern leuchtet in dieser Woche auf dem SPIEGEL-Cover. Und eines lässt sich voraussagen: Die Auflage des Magazins mit dem Titel „Das Auto-Auto“ wird steigen. Bei rund 170.000 Mitarbeitern, die Daimler in Deutschland beschäftigt, ist das Potenzial an zusätzlichen Lesern groß. Eine bessere PR-Geschichte kann sich eine Pressestelle nicht wünschen. Erst recht, weil – nach dem Cover – das Auto mit dem Stern vorneweg fährt.

Unter Experten wird der Kampf um die Mobilität als einer der großen „Megatrends“ der nächsten zehn bis 15 Jahre gehandelt. Werden die neuen Player auf dem Markt, die Googles oder Teslas den etablierten Automobilherstellern rund um den Globus das Benzin absaugen, den Stecker ziehen? Sicher, man kann den möglichen Umbruch exemplarisch an Google und Daimler zeigen. Aber diese beiden Unternehmen sind nicht die einzigen, die auf diesem Markt spielen, wie die Titelgeschichte „Steuer frei“ suggeriert. Bei immer mehr Informationstechnologie, die in den neuen Automobilen, erst recht den selbstfahrenden benötigt wird, werden die Karten im Weltautomobilmarkt neu gemischt. Alle großen Hersteller sind dabei – und viele Newcomer.

Das Autorentrio Markus Brauck, Dietmar Hawranek und Thomas Schulz hat bei aller Recherche zu sehr in die Zukunft geschaut und darüber die ganz banale und naheliegende Frage übersehen: Was macht das autonome Fahren mit den Menschen? Welche Arbeitsplätze werden gefährdet, die von Lkw-, Bus- und Taxifahrern? Denn irgendwann in der Zukunft ist das Automobil ein echtes Automobil, der fahrende Roboter, der den Menschen im Cockpit nicht mehr benötigt.

Nichts Neues aus der Politik

Die Beiträge über Horst Seehofer, Winfried Kretschmann und Armin Laschet bereichern das Heft nur geringfügig und bleiben ihren bisherigen Rollen treu.
Für Jürgen Trittin wird ein Traum wahr: Als Vorsitzender der Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs hat der Ex-KBWler, frühere Sponti und Gründungsvater der Grünen jetzt alle Hebel in der Hand, das zu vollenden, was er als Umweltminister angefangen hat. Die Kosten für den Ausstieg aus der Atomenergie sollen die bezahlen, die auch von der Technologie davon profitiert haben, die früher allmächtigen Energiekonzerne. Wie Trittin das macht, schildern Stefan Schultz und Gerald Traufetter in „Der grüne Vollstrecker“. Man staunt; wer tut uns das an, Trittin so viel Macht zu übereignen? Aber diese Frage stellt der SPIEGEL nicht.

Geld aus der Luft

Von den Wirtschaftsthemen haben mich „Die Entzauberung des Goldjungen“, ein Portrait von Michaela Schießl über Paul Achleitner und „Geld aus heißer Luft“ von Manfred Dworschak zum Thema Bitcoins überzeugt. Über die virtuelle Währung hätte ich gerne noch mehr erfahren. Denn Bitcoins sind Sprengstoff: Sie hebeln die Macht der Währungspolitik aus. Das Bargeldverbot verliert seinen Schrecken, wenn es endlich Alternativen zum kontrollierten Staatsgeld gibt.

Handfeste Lebenshilfe für den Umgang mit Handwerkern bietet Juan Moreno mit „Bitte, mach mein Bad“. Und Frank Dohmen macht mit „Drei Männer vom Grill“ Lust auf sommerliches Steakgrillen mit dem Beefer, dem neuen deutschen Supergrill aus Königswinter.

Der Spiegel stellte seinen Lesern die Vertrauensfrage, ob sie ihm noch glauben würden. Beeindruckend: Mehr als 1.200 Spiegelleser antworteten innerhalb weniger Tage.

Das beeindruckt den SPIEGEL, aber nicht mich. Wer Social Media kennt weiß: Das sind eher niedrigen Zahlen. Der Jubel zeigt eher, wie wenig da verstanden wurde.

Laut Spiegel war die Antwort mehrheitlich positiv. Mir gefällt am besten die Antwort von Anna Kallab-Welzel „Jetzt werden Sie mal nicht wehleidig!“

Wir schaffen das

Martin Walser versucht sich in seinem Essay „Die Sprache entscheidet alles“ als Gewissen der Nation, die nach der Wiedervereinigung ein Land ohne Zukunftsvision sei, in dem jeder sein eigenes Glück bestelle, so gut es gehe. Dadurch werde das Gemeinwesen anfällig für Krisen, für Parolen und für Hysterie. Die für ihn wichtigste „Sprachhandlung“ der letzten Zeit ist Merkels Satz „Wir schaffen das“ – nicht zuletzt, weil sich an ihm seitdem die Gemüter erhitzen – und geht mit den Kritikern ins Gericht, vor allem mit solchen, die nach seiner Meinung als „Prominente“ qua Funktion Medienmacht ausüben: Medienmacher, Herausgeber, „Chefs“ und Professoren. Es ist ein weiterer Versuch von „Wir schaffen das“, eine Art Autosuggestion. Ob die Wirklichkeit den Wörtern folgt?

WELT AM SONNTAG Nr. 9, DIE ZEIT Nr. 10, Frankfurter Allgemeine SONNTAGSZEITUNG Nr. 9
Die WamS deutlich mehr am Puls der Zeit
Analytisch ist es nicht. Eher wirklichkeitsfremd, selbstverliebt, verspottet die Kritiker der Euro-Rettung als solche, die anderen hätten einreden wollen, sie müßten dafür zahlen. Nur zahlen wir ja dafür, was für den Millionär Walser vielleicht nicht spürbar ist. Das Leben des Literaten vollzieht sich in den Wolken, wehe, wenn sie ihre Sprachwolke für Wirklichkeit ausgeben.

Zum Schluss: Volker Weidermann stellt die literarische Sensation vor. Im Nachlass von Siegfried Lenz fand sich ein kompletter Roman. „Der Überläufer“, die Geschichte über einen Wehrmachtsoldaten, der am Ende des Krieges zur Roten Armee überläuft, hätte das zweite große Werk des Schriftstellers werden sollen. Doch Anfang der 1950ger Jahre war sein Verlag, Hoffmann und Campe nicht bereit, ein Buch mit derartigem gesellschaftlichem Sprengstoff zu veröffentlichen. Für Lenz-Fans ist die Neuentdeckung ein Muss.

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