DER SPIEGEL Nr. 47 – Obamas Erbe oder die bedrohte Demokratie

SPIEGEL-Redaktion und andere „große“ Medien wollen immer noch nicht sehen, dass sie sich massiv verspekuliert haben aus Hybris, genau zu wissen, was in der Welt los ist.

„Das Gejammer der deutschen Politiker über den Erfolg von Donald Trump ist ebenso ermüdend wie sinnlos.“ Markus Feldenkirchen beginnt seinen Leitartikel „Raus ins Leben!“ des aktuellen SPIEGEL mit diesem Satz. Das Gejammer der Politik? Das Gejammer der meisten Medien nicht minder, will man hinterherrufen.

SPIEGEL-Redaktion und andere „große“ Medien wollen immer noch nicht sehen, dass sie sich massiv verspekuliert haben aus einer Hybris heraus, genau zu wissen, was in der Welt los ist. Der Katzenjammer im Nachgang der Präsidentschaftswahl zeigt vor allem eines deutlich: die Krise der etablierten Medien. Welche Demokratie sieht die SPIEGEL-Redaktion bedroht?, muss man fragen. Die Demokratie der USA, die Demokratie Deutschlands? Nein, das ist nicht dasselbe. Auch wenn sich Deutschland durchaus glücklich schätzen kann, dass die USA die treibende Kraft waren, im Nachkriegsdeutschland (West) eine Demokratie zu etablieren, so ist das eine nicht dasselbe wie das andere. Der Einfluss der weiteren Besatzer – hat zu einem föderalen System geführt, das nicht immer einfach zu händeln ist, das aber dazu führt, dass es hierzulande eben keine „Ost- und Westküstenpolitik“ gibt, sondern dass regionale und Landesinteressen ein Korrektiv bilden.

Im Mai 2014 wurde eine Studie der Princeton und Northwestern University veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kam, dass die USA von einer kleinen, reichen Elite regiert würden. Seit der Reagan Ära hätte sich die politische Sphäre so verändert, dass wirtschaftliche Eliten und Wirtschaftsgruppierungen als private Akteure einen sehr hohen Einfluss auf politische Entscheidungen hätten. Autoren der Studie „Testing Theories of American Politics: Elites, Interest Groups and Average Citizens“ waren Prof. Martin Gilens und Prof. Benjamin I. Page. Der US-Journalist Eric Zuess schriebt dazu für das Investigativportal Counterpunch: „Die amerikanische Demokratie ist reine Augenwischerei, egal wie sehr sie von den Oligarchen, die das Land regieren, aufgepumpt wird.“ Und weiter: „Die USA sind, anders formuliert, im Grunde so ähnlich wie Russland oder die meisten anderen dubios ,wahlrechtlich demokratischen’ Länder. Das war nicht immer so, aber heute ist es Realität.”
Ist das die Demokratie, der wir hinterhertrauern? Doch wohl nicht!

Was hat Präsident Obama dazu beigetragen, die USA im Sinne der Studie demokratischer zu machen? Was ist sein Erbe? Der SPIEGEL hatte die Ehre Mr. President höchstpersönlich und exklusiv zusammen mit der ARD auf seiner Abschiedstournee zu interviewen. Der klopfte seiner Herzensfreundin Angela Merkel auf die Schulter und zählte seine Großtaten auf. Immer wieder wurde in Rückblicken auf Obamas Erfolg im Kampf gegen die Finanz- und die Automobilkrise hingewiesen. Gerade in Bezug auf die Finanzkrise ist allerdings anzumerken, dass weder Merkel noch Obama am System der organisierten Verantwortungslosigkeit eine Korrektur vornahmen. Kein Aufsichtsrat einer Landesbank und kein Aufsichtsrat der IKB wurden für ihre Saumseligkeit belangt. Solange die Zocker bei Führungsversagen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt das System verletzlich. Ob die Ära Barack Obama im geschichtlichen Rückblick Solitäre bleiben oder Wirkung zeigen, wird sich erweisen. Genauso wie die Spekulationen über Donald Trumps Regierungszeit vorerst Makulatur sind.

Aber vielleicht lehrt uns die aktuelle Diskussion das eine: dass Demokratien satt werden können, allzu satt. Dass das Sättigungsgefühl verlorengeht und ein unstillbarer Appetit um sich greift. Ein Appetit, der auch die Medien erfasst hat, die Macht und Einfluss ausüben wollen und Teil dessen sind, was der SPIEGEL fälschlich als Elite bezeichnet. Establishment wäre der richtige Begriff. Mehr denn je sind die Medien ein Teil davon. Und wenn Jan Fleischhauer in seinem Debattenbeitrag die sogenannten Echokammern beschreibt, in denen sich Facebook-Nutzer bewegen können, wenn sie denn mal als zu einer bestimmten Gruppe zugehörig identifiziert wurden („In der Echokammer“), so führt das zu der Frage, was die etablierten Medien dazu beigetragen haben, dass Facebook heute nicht mehr das ist, als was es einst startete, ein soziales Netzwerk für – echte – Freunde und Bekannte. Als Unternehmen, Organisationen und Medien anfingen, sich des Netzwerks für ihre Botschaften zu bedienen, fiel auch die Grenze zwischen journalistisch sauber recherchierten News und privater Meinungsmache. Die Medien sahen in Facebook wertvolle Quellen und befeuerten das System geradezu. Dass diese Aufwertung inzwischen zu einer Überflutung mit Hoaxes führt, die kaum noch zu kontrollieren sind, darf eigentlich nicht verwundern. Die Klage der Medien, dass Facebook zu wenig unternehme, um die Auswüchse zu stoppen, ist scheinheilig.

Es sei darauf hingewiesen, dass die SPIEGEL-Redaktion durchaus Gedanken Raum gibt, wie die Demokratie zu neuem Leben zu erwecken sei. So darf der belgische Historiker David Van Reybrouck in dem Essey „Lieber Präsident Juncker“ seine Idee darlegen, wie nützlich es doch wäre, die Volksvertreter per Los bestimmen zu lassen. Kann das die neue Form der Demokratie sein? Das Losen schaffe eine neue Öffentlichkeit, jenseits von Massenmedien inklusive der sozialen Netzwerke. Gerade letztere haben eine Eigendynamik entwickelt, die durch Losverfahren wohl nicht zu bändigen sein wird, wenn ein durch Los zusammengesetztes Gremium nicht das Ergebnis bringt, das sich bestimmte Gruppen vorstellen. Kann es sein, dass ein Demokratiedefizit beklagt wird, aber eigentlich unsere Toleranzfähigkeit gemeint ist?

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