DER SPIEGEL Nr. 44 – „Der Fall DFB“

Insgesamt bietet der Spiegel Nr. 44 einen bunten Reigen von erfreulicher bis höchst ärgerlicher Lektüre - und wer Recht hat im Fall Sommermärchen ist noch immer nicht entschieden: Spiegel oder DFB?

Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer steigt mit seinem Magazin jetzt offensichtlich auf Fortsetzungsgeschichten um, um die dümpelnde Auflage zu steigern: Letzte Woche wollte er das deutsche Sommermärchen zertrümmern, mit wenig Beweisen, viel Hörensagen und sehr viel Gegenwind. Diese Woche wird nachgelegt. Die dramaturgische Rollenverteilung: zwei vermeintliche Helden – Der Spiegel und Theo Zwanziger – gegen zwei vermeintliche Bösewichter – Wolfgang Niersbach und Franz Beckenbauer. In weiteren Rollen zwei, die sich nicht mehr wehren können: Robert Louis-Dreyfus und Gerhard Meyer-Vorfelder. Dazu noch zwei geheimnisvolle Strippenzieher im Hintergrund: Joseph Blatter und Mohamed Bin Hammam. Wer ist Protagonist, wer Antagonist? Wer ist Täter, wer Opfer? Das alles ist nach dem zweiten Akt nicht entschieden. Das Setting hat alle Anlagen zum großen Drama. Das Publikum wartet gespannt auf den Zuschauerrängen auf den nächsten Akt.

Völlig abwegig finde ich in dieser Woche den Leitartikel von Mathieu von Rohr, den dieser mit der Headline „Die führungslose Welt“ versieht. Da klagt der Spiegel-Autor darüber, dass „der Westen“ keine Verantwortung in Syrien übernehme und ruft nach der starken Hand der USA. Die Zeiten, in denen zwei Großmächte weite Teile der Welt unter sich aufteilen und der Rest kaum mehr als Vasallen sind, die nach deren Pfeife zu tanzen hätten, gibt es nicht mehr. Zum Glück.

Apropos Rückfall in alte Zeiten: Jakob Augstein konstatiert in seiner Kolumne über den Start des Hitler-Films „Er ist wieder da“ trocken: „Er war nie weg“. So kunstvoll die Kolumne den Bogen zwischen den alten und den neuen Rechten spannt, so zeigt sie doch, dass der Autor selbst nicht gefeit ist, deren Sprachklischees zu verwenden. Wer Dresden, als die neue „Hauptstadt der Bewegung“ bezeichnet und sich nicht gleichzeitig durch entsprechende Kennzeichnung von der Begrifflichkeit distanziert, trägt selbst die Sprachmuster weiter, die Victor Klemperer einst als LTI (Lungua Tertii Imperii) bezeichnet hat. Chefredakteure sind unter anderem dazu da, einen Autor vor sich selbst zu schützen, auch dann, wenn der Autor mit Familiennamen Augstein heißt.

Darüber hinaus bietet der Spiegel diese Woche ein buntes Spektrum an Themen.
Nutzwert pur und sehr lesenswert ist der Beitrag „Der Treue ist der Dumme“ von Markus Brauck und Martin U. Müller über die Rabatte, die wechselwilligen Neukunden von allen möglichen Unternehmen geboten werden. So schnell man in einem Vertrag drin ist, so schwer kommt man allerdings wieder heraus. Ein Startup namens Aboalarm zeigt mit seiner Onlineplattform, wie wechseln geht.

Einfach herrlich ist der Beitrag „Alfons, kannst Du Eier?“ von Jonathan Stock, der niedersächsische Mittelständler auf einer Verkaufstour nach Teheran begleitete. Spannend ist auch die Wirtschaftsreportage „Das digitale Chinatown“ über Chinesen, die im Silicon Valley erkunden, wie Internet-Business funktioniert und wie im Internet gegründet wird.

Reichlich Munition für den einen oder anderen Small Talk dürfte das Interview „Die Frau will die Kontrolle“ bieten: die Spiegel-Redakteure Markus Verbeet und Katja Thimm mit der Soziologin Cornelia Koppetsch über den Stand der Gleichberechtigung. Beim Thema Wäschewaschen, so erfährt der Leser, verzichten die Frauen auf die Arbeitsteilung. Zudem haben deutsche Männer angeblich eine Strategie entwickelt, nach der sie sich immer dann als inkompetent geben, um von Frauen bei bestimmten Tätigkeiten nicht immer behelligt zu werden. Aha. Neu?

Spiegel-Kulturreporter Georg Diez verlängert mit „Sirene der Gegenwart“ und einer prägnanten Hommage an den vor einem Jahr verstorbenen Frank Schirrmacher die Liste der lesenswerten Artikel. Am meisten beeindruckte mich darin der Hinweis „Das geheime, dunkle Deutschland übte eine große Anziehungskraft auf ihn aus – und es war Teil der Spannkraft von Schirrmachers Denken, dass er zugleich das helle, das andere Deutschland liebte, das vor 1933 von den Juden geprägt wurde.“ Mir persönlich kommt dieser Aspekt in den Medien viel zu kurz. Die Lücke, die Schirrmacher hinterließ, ist halt immer noch groß.

Zum Thema Holocaust folgt im Spiegel wenige Seiten später mit voller Wucht ein gewichtiges Interview von Redakteur Tobias Tapp mit dem amerikanischen Historiker Timothy Snyder, von dem jetzt das Buch „Black Earth. Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann.“ erscheint.

Insgesamt bietet der Spiegel Nr. 44 einen bunten Reigen von erfreulicher bis höchst ärgerlicher Lektüre.

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