DER SPIEGEL Nr.40 – Was kommt, wenn Merkel geht?

Fehlt Spiegel-Redaktion jede Zukunftsvision? Oder sieht sie die Zukunft darin, dass sich rund ein Dutzend Bundestagsabgeordnete von FDP und Grünen regelmäßig in der Berliner Bar Lebensstern treffen?

Nach der für die Öffentlichkeit überraschenden Niederlage von Volker Kauder gegen Ralph Brinkhaus tritt die Titelgeschichte „Im Abendlicht“ an, den Machtkampf hinter den Kulissen um die Merkel-Nachfolge beschreiben. Die Hamburger versprechen wieder einmal mehr auf dem Titel, als sie halten. Es gibt ausführliche Portraits über Kauder und Brinkhaus, dazu viele Zeilen zu Angela Merkel, aber kaum etwas Neues. Und dann werden – nun wirklich nicht überraschend – Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet und Jens Spahn als potenzielle Erben vorgestellt – auf 34 Zeilen. Sieht so die Zukunft der CDU aus? Oder die Zukunft Deutschlands? Der Titel lässt das offen. Soll ich das als Hinweis nehmen, dass der Spiegel-Redaktion jede Zukunftsvision fehlt? Oder sieht sie die Zukunft darin, dass sich rund ein Dutzend Bundestagsabgeordnete von FDP und Grünen regelmäßig in der Berliner Bar Lebensstern treffen? Setzt der Spiegel auf Jamaika („Diskrete Therapiesitzungen“)? Was halt so alles getuschelt wird in Berliner Wendezeiten.

Es ist nicht ohne Pikanterie, dass ausgerechnet Martin-Schulz-Flüsterer Markus Feldenkirchen im Leitartikel „Es ist Zeit“ Merkel rät, „sie sollte ihre Spätphase so kurz wie möglich halten“.

Bei der Nachfolgediskussion kommt mir das Vorgehen römischer Kaiser, aber auch einiger Unternehmenschefs in den Sinn, möglichst unfähige Nachfolger aufzubauen, so dass sie selbst ihren ehemaligen Mitarbeitern und Untertanen noch lange positiv im Gedächtnis bleiben.

Nikolaus bringts
Merkel oder Union – im Dezember fallen die Würfel
Der Focus benutzt dasselbe zweiseitige Aufmacherbild wie der Spiegel, betitelt das Thema mit „Noch 68 Tage“, spielt damit auf den Termin an, an dem die CDU die Parteispitze neu wählt, und skizziert mögliche Nachfolger (Daniel Günther, Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet und Jens Spahn), deren Netzwerke und vier Exit-Strategien für das Ende von Merkels Kanzlerschaft. Dazu ein 2-seitiges Interview mit Ralph Brinkhaus. Der Spiegel musste sich mit Aussagen von Weggefährten zufrieden geben.

Jetzt sägt die Redaktion schon wieder am Stuhl von Andrea Nahles. „Guerillas im Nebel“ heißt das Stück. Christoph Hickmann spekuliert, ob die Frau aus der Eifel nach den Geschehnissen um Maaßen noch die richtige Parteichefin ist.

Eine nicht unwesentliche Nebenrolle in der Causa Maaßen spielte der Staatssekretär Gunther Adler. Veit Medick portraitiert den preußisch diskret bleibenden Staatsdiener „Die Schachfigur“, der bei dem unwürdigen Gekungel, mit dem ein ordentlicher Beamter wie Maaßen entfernt werden sollte, als Kollateralschaden fast seinen Posten verloren hätte und dem es in allem nur um eines geht: seine Arbeit zu erledigen. Schreibt der SPIEGEL. Dabei ist er auch nur ein SPD-Parteifunktionär, der als Maulwurf im gegnerischen Ministerium platziert wurde. Maulwürfe haben wertvolle Pelze. Das ist die eigentliche Story, die der SPIEGEL dabei nicht erzählt: Die Rolle der Parteibeamten im Staatsdienst.

Mit großer Aufmerksamkeit gelesen habe ich das Spiegel-Gespräch „Langwierig und bitter“ mit dem Münchner Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Michael Hochgeschwendner, über das Thema Migration. Aus den amerikanischen Erfahrungen könnten wir lernen, dass „selbst in Ländern …, die auf Migration eingestellt sind, … Einwanderung ein schwieriger Prozess (ist), und zwar für beide Seiten, für die Migranten wie für die aufnehmende Gesellschaft. Integration ist immer langwierig und bitter und war in den USA oft mit Gewalt verbunden.“ Katholiken – vor allem auch die deutschen, denen nachgesagt wurde, religiöse Fanatiker zu sein – galten in den USA des 19. Jahrhunderts als Feinde von Demokratie und Freiheit. Lange wurde, so erzählt Hochgeschwendner bildreich, in den USA an der Loyalität besonders der deutschen Einwanderer, von denen mehr Amerikaner abstammen als von jeder anderen Gruppe, gezweifelt. Das wichtigste für den Erfolg von Integration war für die USA der Zustand des Arbeitsmarktes. Hochgeschwendners Fazit aus der amerikanischen Einwanderungsgeschichte für uns heute: „das Wissen um die Schwierigkeit.“

Im Wirtschaftsressort schreibt Alexander Jung, dass die Industrie Deutschland als Produktionsstandort wieder neu entdeckt, Betriebe fertigen wieder hierzulande. Allerdings wird die Arbeit von Robotern erledigt. Menschen sind in diesen Hightech-Fabriken kaum zu finden. Die Personalausgaben machen zuweilen weniger als fünf Prozent aller Kosten aus, schreibt Jung in „Einmal China und zurück“.

Die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff veröffentlichte schon 1988 „In the Age of the Smart Machine“. Das Buch, in dem sie kommende technologische Entwicklungen und daraus resultierende Kontrollmechanismen vorhersagte, wurde ein Bestseller. Zuboff war es auch, die den Begriff „Dark Google“ schuf und damit 2014 maßgeblich die Debatte um die digitale Zukunft vorantrieb. Jetzt erscheint ihr neues Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“. Im Spiegel-Gespräch mit Guido Mingels („Es gibt eine unerträgliche Sehnsucht in vielen von uns“) spricht sie darüber, warum die digitale Wirtschaft gefährlicher ist als die Zerstörungen, die die Industrialisierung der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert zugefügt hat: Der Überwachungskapitalismus zerstöre die Innere Natur des Menschen. Im Industriekapitalismus seien die Menschen wechselseitig voneinander abhängig gewesen – als Arbeitskräfte, als Kunden. „Im Überwachungskapitalismus dagegen sind wir kaum noch Kunden und Angestellte, sondern im erster Linie Informationsquellen, Datenmaterial eines Apparats, dessen Funktionsweisen uns weitgehend verborgen bleiben. Es ist kein Kapitalismus für uns, sondern über uns. Er beobachtet uns, um seine Produkte zu entwickeln.“

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Kommentare ( 19 )

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Hadrian17
6 Jahre her

Es ist müßig, sich den Kopf über eine Nachfolge der jetzigen Richtlinienkompetenzinhaberin zu zerbrechen.

Es wird sie nicht geben. Die Bestätigung als PVCDU ist eine Formsache, eine Diskussion über eine/n andere/n Kandidatin/en 2021 ist überflüssig. Es ist schlicht niemand da, respektive niemand wird gemacht.

Alles geht so weiter, das prozentuale Abschneiden wird dann wohl auf rund 24 % absinken, was immer noch reicht, den Regierungsauftrag zu verlangen. Die Koalitionspartner sind austauschbar, rot und grün werden reichen, da Abwanderungsmasse von der CDU an diese Parteien vorhanden sein wird.

Und 2025 … same procedure … .

Eine unendliche Geschichte.

JoergPlath
6 Jahre her

„Überwachungskapitalismus“ – sie erfinden immer neue Horrormärchen und -begriffe und doch ist es immer nur wieder neuer Wein in alten Schläuchen. Technologie- und Zukunftsfeindlichkeit ist ihnen genauso immanent, wie versteckter Nationalismus, der sich in „Globaliserungskritik“ äußert, und generelle ablehung jeglicher kaufmännischer Prinzipien, wie Gewinnstreben und Wettbewerb. Es ist ermüdend, wie langweilig deren Argumente, die in immer neuen Gewändern daherkommen, sind.

Karl Heinz Muttersohn
6 Jahre her

Was nach Merkel kommt leitet sich nicht aus dem Geschwafel des Spiegel ab, sondern von Merkels Anwendung der Relativitätstheorie, die sie als Physikerin ja gut versteht: Installiere einen Nachfolger, der noch inkompetenter, noch farbloser und rhetorisch noch unfähiger ist als man selbst. Diese Kriterien werden von AKK zu 100% erfüllt, ergo wird sie Kanzlerin. Ich denke aber, dass sie nach einer Legislatur fertig ist, denn dann wird es auch in einer Allparteienkoalition gegen die AfD nicht mehr reichen….

Hegauhenne
6 Jahre her

Merkelnachfolge? Herr Canibol , da iss nix, nicht in der CDU. Günther vom Deich 🙁 Gretel aus dem Landkreis Saar 🙁 Arminius der Lasche 🙁 Jens Spahn wäre noch gegangen, als Vorsitzender wenigstens, aber seit seiner Idee mit der Organfledderei, ebenfalls. :-(. Der findet aber schnell einen neuen Job beim Krankenkassenverband. 😉 Also da iss nix. Sollte im Spätherbst noch ein vergessener Paradiesvogel vom Baum fallen, den man bisher übersehen hat? Ich kann es mir nicht vorstellen. Falls die CSU gesamtdeutsch für Neuwahlen antreten würde, könnte sie nach dem Zerfall der CDU noch die Schwerbeschädigten aus der Werte-Union integrieren und… Mehr

Teufelskralle
6 Jahre her

Im aktuellen Spiegel ist auch ein Artikel über das Fetale Alkoholsyndrom (FAS) erschienen. Darin wird geschildert, wie ein Kinderarzt (!) nacheinander drei schwer vorgeschädigte Kinder unter Opferung des Lebens seiner Frau unter der Losung „Wir schaffen das“ adoptierte und voraussehbar völlig scheiterte. Es ist eine Geschichte mehrfachen Versagens infolge emotional begründeter Ignoranz sowie Realitäts- und Vernunftverweigerung, was wohl häufig dahintersteckt, wenn jemand sagt „Wir schaffen das“.

Dreiklang
6 Jahre her

Vorzeitige, Merkel betreffende Abgesänge sind unerwünscht. Ich glaube an die Lawine genau ab dann, wenn sie anfängt, abzugehen. Wir haben bisher nur Lawinenwarnungen, davon allerdings reichlich. Eine Lawinenwarnung besonderer Art kann man dem http://www.windjournal.de entnehmen: Es lag die Einspeisung durch Windkraft heute, den 30.09., zwischen 19:00 und 20:00 bei sagenhaften 526 MW . Solar gab es nichts mehr, da dunkel. Wenn ich also lesen kann, dass die Firmen nun gerne unter Einsatz von Robotern in Deutschland fertigen: Roboter brauchen Strom. 526 MW : Das sind ein paar Prozent des gesamten Energiebedarfs. Woher also den Strom nehmen: „Aus dem, was im… Mehr

Thorsten
6 Jahre her

Nach Merkel kommt die „Putzkolonne“, um die Fehler Migration und Euro-Rettung zu beheben.

Falls die AfD in die Verantwortung kommt, kann ich nur zu einem BRUTLOS SCHONUNHSLOSEN KASSENSTURZ raten. Falls dieser unterbleibt werden Merkels toxische Altlasten wie ESM, Target-2, die hohe Kriminalität der Migranten und die „Migration in die Sozialsysteme“ an der AfD hängenbleiben.

Mich würde es nicht wundern, wenn der Euro zusammenbricht und damit auch die sozialen Netze totalreformiert werden müssten.

Delion Delos
6 Jahre her

TE geht wieder einmal sehr hart mit dem Spiegel um. Vielleicht ist es aber gar kein Mangel an Visionen, der dem Spiegel fehlt. Vielleicht ist es ein Mangel an guten Journalisten. Kann es sein, dass die Fluktuation höher ist als früher? Gehen dem Blatt einfach die guten Leute aus? Gibt’s da vielleicht nur noch Volontäre aus den Regionalblättern und die gestandenen Leute haben sich schon vom Acker gemacht, ohne die Nachfolger anzulernen? Denn wer von den sog. besseren Journalisten möchte sich später (wohl eher: demnächst) sagen lassen, er habe als Merkelist bis ganz zuletzt der Autokratin die Stange gehalten. Ich… Mehr

Ali
6 Jahre her

Zitat: „Was kommt, wenn Merkel geht?“ Egal was danach kommt. Nichts könnte schlimmer sein als dieses linksrotgrüne Schreckensregime Merkels zu Lasten des Deutschen Volkes. Ein kapitalistisch regierter Sozialismus, der aus ehemals souveränen Bürgern linientreue Arbeitssklaven machte. Regiert von einem ebenso feigen wie Rückgratlosen Pöstchen-Adel, der nun völlig zu recht selbst durch den Sultan der Gemüsehändler und Müllmänner -denen finanziell das Wasser bis zum Hals steht -auf eigenem Territorium- ja selbst in Schloss Bellevue gezeigt wird, wer nun hier das sagen hat. Eine zutiefst verkommene Clique, die das eigene Volk verkauft hat, um der strippenziehenden Industrie ein paar fette Export-Jahre zu… Mehr

Th.F.Brommelcamp
6 Jahre her

Lieber Herr Canibol.
Die meisten hier, jedenfalls ich, lesen Tichys Einblick damit man nicht mehr mit irren Artikeln wie aus dem Spiegel behelligt werden. Ich schätze Ihren Langmut sich solche Lektüre anzutun, aber bitte……